Die wichtigsten Werke von Johann Karl Wezel. Johann Karl Wezel

Die wichtigsten Werke von Johann Karl Wezel - Johann Karl Wezel


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nach einer kleinen Pause aus. – »Was habe ich getan? – Beste Adelheid! Dich, meine einzige Freundin, beleidigt! – Siehe, mit Tränen bitte ich dich um Verzeihung! Nur einen einzigen freundschaftlichen Blick gönne mir! Beste Adelheid!«

      Und so wandte die beste Adelheid sich um und umarmte ihre reuige Freundin so brünstig und mit so trocknen Augen, als wenn ihre Quelle seit Jahrhunderten schon versiegt wäre; gerade als wenn sie nur böse geworden wäre, um sich wieder versöhnen zu können oder, sagt meine sinnreiche Muhme, um wider einige Spötter zu beweisen, daß ein Frauenzimmer ebensogern sich versöhnt als erzürnt.

       Inhaltsverzeichnis

      Zu Verhütung fernerer Uneinigkeiten wurde indessen beschlossen, daß ein jedes ein Stück von dem vorrätigen Papiere empfangen sollte, um für sich suo Marte den Schmetterling darauf zu beklagen. Fräulein Adelheid tummelte sich noch mit verzweiflungsvoller Hitze auf ihrem Pegasus herum, so ängstlich beherzt, wie ein Schüler, der erst ein paar Stunden die Reitbahn besucht hat und schon auf dem Springer reiten muß, und eben war sie im Begriffe, abgeworfen zu werden, als Fräulein Kunigunde triumphierend hustete und sie um Aufmerksamkeit zu Anhörung ihres Produktes bat. Ohne ihre Einwilligung zu erwarten, fing sie an:

      Klage

      auf den Tod eines Schmetterlings

      O klagt, ihr Tulpen, klagt, ihr Rosen,

      Um ihn, den schönsten Schmetterling!

      Wenn zärtlich andre euch liebkosen,

      Dann denkt, wie oft er an euch hing,

      Und gießet dankbar statt den Tränen

      Mit süßem, treuem Sehnen

      Auf seine Gruft zween Tröpfchen Tau!

      O ruft, verliebte Weste,

      Ruft durch die schlanken Äste,

      Durch Tal, durch Feld und Au:

      Euch, Veilchen, wird er nicht mehr küssen!

      Nicht mehr euch, Nelke, Majoran,

      Lavendel, Rosmarin und Thymian,

      Euch Schlüsselblumen, euch Narzissen!

      Aurikeln, Tausendgüldenkraut!

      O sagt, ihr Vögelchen im Haine,

      Noch spät, bei hellem Mondenscheine,

      Zu der entschlafnen Braut:

      Er schwärmt nicht mehr auf bunten Matten,

      Er gaukelt nicht im kühlen Schatten

      Am nahen Wasserfall

      Im Hain und überall.

      O rufe, Widerhall!

      Er starb in früher Jugend,

      War liebenswert durch jede Jugend,

      Durch Schönheit und Verstand.

      Die boshafte Adelheid! Steif sah sie vor sich auf den Teich hin und gönnte ihrer verlegnen Freundin nicht einmal einen mitleidigen Blick, deren Verlegenheit dadurch noch vergrößert wurde, daß sie sich in den drei letzten Zeilen aus ihrer Gattung höchst unvorsichtigerweise verirrt hatte und mit »Verstand« reimen wollte, einem Reime, der in ihrer Gattung nicht erscheinen kann, weil die Erfinder derselben wegen überhäufter Geschäfte, ihn mit einem Körper zu versehen, bis hieher vergessen haben.

      »Durch Schönheit und Verstand – – –, wiederholte sie etlichemal. »Durch Schönheit und Verstand – – – and, band, cand, dand, sand, gand, Hand – – –«

      »Ah, ah, ah!« schrie Fräulein Adelheid wie eine Beseßne und stieß, indem sie mit der linken Hand auf eine Stelle des Teichs wies, mit dem rechten Ellebogen ihre reimende Nachbarin an.

      Fräulein Kunigunde erwachte aus der Reimbegeisterung, fuhr mit dem Kopf in die Höhe, sahe auf den Teich.

      »Ah, ah, ah!« stimmte sie mit ein und verbarg ihr Gesicht an Adelheidens Brust –

      Das war das fürchterliche Feldgeschrei, das meinen Tobias erschreckte, als er bis an die Mitte des Leibes in dem Teiche daherwandelte und wovon ich meine Leser, um sie nicht so plötzlich davon überraschen zu lassen, schon vorläufig nach Pflicht und Schuldigkeit benachrichtigt habe.

      Lange hatte ihn die eine Nymphe – ich meine Fräulein Adelheiden – schon von ferne bemerkt; doch als einem witzigen Frauenzimmer, das durch vieles Lesen und Schreiben die Augen geschwächt hat, muß man es ihr nicht übel deuten, daß sie den ganzen Tobias für nichts als einen lustigen Hecht ansah, der sich mit Luftsprüngen die Langeweile vertreibt. Je näher er kam, desto wunderbarer wurde die Erscheinung für sie; sie wurde einer Menschenfigur immer ähnlicher. Der heimtückische Schadenfroh, die Phantasie, kramte im Augenblicke alle die abenteuerlichen Erzählungen von Wassernixen, grünen und gelben Zwergen, die auf den Raub der Keuschheit ausgehn, Meerriesen und andern Wundertieren aus, die in der frühesten Jugend ihre geschwätzige Amme Regine als einen Schatz in ihrem Kopfe zu künftigem Gebrauche niedergelegt hatte, und gewiß, viel fehlte nicht, so war Tobias ein Wassernix, und Fräulein Adelheid fürchtete ihn so sehr, als sie sonst über Wassernixen zu lachen gewohnt war. Sie war fest überzeugt, daß dergleichen überirdische Wesen nur in den Köpfen der Ammen wohnten, und dessenungeachtet setzte ihr doch ihre Einbildungskraft aus den Hirngespinsten ihrer Amme und der Figur des Tobias eine so seltsame Vorstellung in dem Gehirne zusammen, daß beinahe ebendieselbe Wirkung in ihrem Herzen entstund, als wenn sie noch so fest an Wassernixen geglaubt hätte. Seine Annäherung vertrieb wohl zum Teil diese Furcht; aber was war das gute Kind dadurch gebessert? Tobias war, wie schon gemeldet worden ist, mit dem ganzen entblößten Oberleibe bis drei Linien über dem Nabel außer dem Wasser. Mußte ein solcher Anblick für eine so delikate Frauenzimmerseele nicht entsetzlicher sein als ein Wassernix? – Sie sah den guten Tobias, der von allen diesen Begebenheiten ihrer Empfindung ununterrichtet war und darum dreist, ohne sie gewahr zu werden, bis an den Damm auf sie zu marschierte, mit unverwandten Augen an und – schrie.

      Lauter Umständlichkeiten, die ganz unnötig wären, wenn man nicht von manchen Lesern besorgen müßte, daß sie leicht auf einen Mißverstand über die Ursache dieses Schreiens geraten könnten!

       Inhaltsverzeichnis

      Tobias, ein völliger Ignorant in allen Vorfällen des schönen Lebens, ließ sich es nicht eine Sekunde einkommen, dieses Geschrei seiner wahren Ursache zuzuschreiben. Nein! er dachte eben, als es entstund, daran, wie unumgänglich seine bedrängten Umstände menschliche Hülfe erfoderten, und nichts schien ihm daher gewisser, als daß man ihm durch diesen Lärm den nötigen Beistand anbieten wollte, ohne die Unwahrscheinlichkeit zu bedenken, daß eine Seele außer ihm wissen konnte, daß er Beistand brauchte. Um, dieser Auslegung zufolge, gegen eine solche Güte nicht undankbar zu sein, kam er dem ausdrücklichen Anerbieten der Hülfe durch eine flehentliche Bitte zuvor, und sein Vortrag, seine Miene, seine Sprache und tausend andre Dinge, wodurch gewöhnlich die Menschen gerührt werden sollen und worunter vielleicht in dem gegenwärtigen und ähnlichen Fällen kein einziges für sich an der Rührung Anteil hat – genug, diese oder andre Umstände taten eine so starke Wirkung auf die Herzen beider Nymphen, daß sie auf der Stelle beschlossen, dem armen Notleidenden nach allen ihren Kräften mit Hülfe beizustehen. Verschiedene Leute, die sich mit Grillenfängereien über die Ursachen der menschlichen Handlungen abgeben, sind der wunderlichen Meinung, daß bei jeder andern Verbindung der Umstände, wo Tobias sich unentblößt gezeigt hätte, die Hülfe entweder gar nicht oder wenigstens nicht so angelegentlich betrieben sein würde. Wenn man nun aus diesem Einfalle einen allgemeinen Grundsatz ziehn wollte, so könnte man wohl gar sagen, daß Frauenzimmer oft darum gegen die Mannspersonen so mitleidig und barmherzig sind, weil sie – ich kann es nicht denken, viel weniger schreiben! – Fruchtbare


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