Die wichtigsten Werke von Johann Karl Wezel. Johann Karl Wezel

Die wichtigsten Werke von Johann Karl Wezel - Johann Karl Wezel


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vorhabenden Falle ein jeder sich die Sache denken, wie es seine Erfahrung oder Neigung zuläßt! Das muß aber doch alle Menschen gleich stark ärgern, daß sich, wie bei den meisten guten Handlungen, den löblichen Absichten der beiden Mitleidigen ein beinahe unüberwindliches Hindernis in den Weg stellte. Tobias war nackt; wie konnte man ihn daher, ohne vor – Empfindlichkeit will ich's unterdessen nennen – beinahe zu sterben, in einer solchen Verfassung aus dem Teiche steigen sehn? – Und aus dem Teiche mußte er doch, wenn er ihre Hülfe genießen wollte! Denn eine Viertelstunde weit bis in das Schloß des Rittergutes zu gehn und jemanden mit den notdürftigen Kleidern zu ihm herauszuschicken, der ihn alsdann hereingeführt hätte, um eine kleine Mittagsmahlzeit einzunehmen, das fiel keiner einzigen ein, und ein Mittel, woran man nicht denkt, ist, wie bekannt, nicht mehr wert als ein unmögliches.

      So lange hat gewiß noch keine Schöne mit und ohne Ahnen über der Wahl einer Bandgarnitur oder Y** über der Wahl eines Hofmeisters für seine Kinder beratschlagt, als itzt geschah. Endlich kam es zum Schlusse. Beide – man höre nur, welches wirksame Mitleid! –, beide legten die entbehrlichsten Stücke ihrer Kleidung, zwo florne Saloppen, mit säuberlicher Sittsamkeit, mit zugekehrtem Rücken und weit hinter sich ausgestreckten Armen an den äußersten Rand des Dammes, so daß Tobias nur einen Sprung aus dem Wasser zu tun hatte, um sie zu ergreifen und sich damit zu bedecken. Kaum waren sie hingelegt – husch! liefen sie davon, so schnell, als Frauenzimmerfüße es erlauben. Tobias tat nach der Verordnung seiner Wohltäterinnen und folgte ihnen sogleich auf dem Schritte nach, ohngefähr so gut bedeckt als unsre ersten Großeltern seligen Andenkens, da sie zuerst für nötig erachteten, sich voreinander zu schämen. In einer Entfernung von zwölf Schritten folgte er ihnen nach, welches eine Sünde wider ihre Verordnung war, die ich an meinem Tobias nicht rechtfertigen kann; denn sie hatten ihm ausdrücklich befohlen, sich ihnen unter sechzehn Schritten nicht zu nähern.

      Freilich, wenn man es genau betrachtet, war wohl die Natur vorzüglich schuld daran, und das ist auch die einzige Entschuldigung, die mich mit meinem Helden wieder aussöhnt. Darinnen machte es die Natur sehr gut: sie gab, wie Anakreon in seiner philosophischen Laune sagt,

      – den Stieren Hörner,

      Den Rossen gab sie Hufe,

      Dem Hasen schnelle Läufte,

      Den Löwen weite Rachen,

      Dem Fisch die Kunst zu schwimmen,

      Den Vögeln leichte Flügel,

      Dem Manne Mut und Weisheit; –

      Fürs Weib war nichts mehr übrig? –

      O leider viel! – die Schönheit!

      Die dient statt Schwert und Bogen,

      Statt Spieße, Schild und Panzer.

      Alles recht sehr gut! Hätte nur die liebe Natur die Vorsicht gebraucht, mit diesem gefährlichen Geschenke der Schönheit, mit diesem zweideutigen Geschenke, das, wie das Schießpulver, die Feinde tötet und bei der kleinsten Unvorsichtigkeit uns selbst ums Leben bringt, ein andres zu verbinden, das sie an ein verächtliches Tier verschwendet! Sie gab

      Dem Hasen schnelle Läufte!

      Warum gab sie nicht dem Weibe bei den täglichen Gefahren dieses Geschlechtes

      Die Schönheit und die schnellsten Füße?

      Und so hätte Tobias seine Entfernung von sechzehn Schritten richtig halten können. Seine Führerinnen marschierten zwar aus allen Kräften, um sich ihn nicht zu nahe kommen zu lassen, und waren sogar genötigt, sich oft nach ihm umzusehen; allein man kann es ihnen ebensowenig zur Last legen, daß sie immer noch nicht geschwinde genug liefen, als der guten Syrinx, daß sie sich ihre Lenden vom Pan umfassen ließ, ehe sie zum keuschen Schilfe wurde.

      Manche paradoxe Sonderlinge äußern bei dieser Gelegenheit schon wieder eine ungereimte Meinung. Sie behaupten, daß dieser Mangel an Schnelligkeit der Füße von einer weisen Vorhersehung der Natur herrühre, die wohl gewußt hätte, daß sie dem schönen Geschlechte ein unnützes und überlästiges Geschenk damit machen würde. – Ich widerspreche dieser ketzerischen Behauptung geradezu. Meine Gründe dawider – die soll man ein andermal hören.

       Inhaltsverzeichnis

      Vorausgesetzt unterdessen, daß man nicht weiß, ob ein solches Geschenk Nutzen haben würde oder nicht, könnte sich das schöne Geschlecht es um die Hälfte entbehrlicher machen, als es ihm itzo ist.

      Ja, wenn ich nur nicht befürchten müßte, einen großen Teil meiner Leserinnen zu verlieren, so sagte ich gerade heraus – Aber nein, gesagt muß es sein, sollte ich auch ein Märtyrer meiner Offenherzigkeit werden müssen.

      Ich möchte gern – erröten Sie nicht! – ich möchte gern einen feinen Cynicismus unter dem schönen Geschlechte einführen, oder, wenn dieses Wort zu gefährlich klingt, ich möchte gern die deutsche Etikette der Schamhaftigkeit in verschiednen Gegenden um vieles einschränken – wenn meine Wenigkeit zum Einführen und Einschränken Macht hätte.

      Nu, nur Geduld! ich will mich ja näher erklären! – Ich begreife gar wohl, daß die Schamhaftigkeit, die wahre Schamhaftigkeit, die größte Schutzwehr und zugleich so gewiß die größte Zierde des andern Geschlechts ist, als dieses Geschlecht die Zierde des menschlichen Geschlechts ausmacht; ein schönes Frauenzimmer ohne Schamhaftigkeit ist eine Zitadelle ohne Geschütz, aber wohl gemerkt! ohne wahre Schamhaftigkeit, ohne Schamhaftigkeit, wirklich unzüchtige Sachen zu denken und zu tun.

      Aber wie man es überhaupt unsrer Etikette und unsern Komplimenten in vielen Fällen noch anmerkt, daß unsre lieben Vorfahren einmal Tag und Nacht vom Kopf bis auf die Füße in steifen Panzern gingen, so sieht man es der Schamhaftigkeit der meisten an, daß unsre Vorfahren Zotenreißer waren und wir – zum Teil noch sind, oder wie es einer meiner Freunde in seiner moralisierenden Laune zu erklären pflegt, daß die Verderbnis unsrer Sitten so groß ist, daß viele Frauenzimmer, bei denen es sich aus mancherlei Ursachen nicht schickt, unzüchtig zu handeln, sich doch nicht enthalten können, unzüchtig zu denken, und dabei ehrbarkeitshalber Prüden werden.

      Meine Meinung zu erläutern und zu beweisen, will ich eine Stelle hieher setzen, die dieser nämliche Freund bei seinem Aufenthalte in Peking aus einem kanonischen Buche der Chineser, dem Li-ki, ausgezeichnet hat und die allgemein für die Arbeit des Prinzen Tschehu-kong ausgegeben wird.

      »Die Blume der Schamhaftigkeit«, sagt der erhabne Verfasser, »ist eine sanftriechende Blume; sie welkt, sobald ihr, ihr Töchter der Schönheit, scharfe Essenzen und starkriechende Wasser darauf schüttet, um den sanften Geruch zu verstärken. Eine Schöne, die bei jedem unschuldigen Worte an eine Zweideutigkeit denkt und eine glühende Morgenröte auf ihren Wangen aufgehn läßt, ist eine Besatzung, die von Hunger beinahe aufgerieben ist und mit den letzten Broten auf die Belagerer wirft, um sie zu bereden, daß Überfluß in ihren Mauern herrscht. Ihr Töchter des Palastes, laßt diese Schminke nie eure Wangen entehren! Haltet euer Herz und eure Sitten rein! Zürnt nicht mit verstelltem Gesichte, wenn ein freier Scherz wie ein mutwilliger Schmetterling um eure Ohren flattert! Die Frühlingsblume bleibt unbewegt stehn, solange ein scherzendes Insekt nahe um sie herumgaukelt, und beugt sich nur dann erst unwillig nieder, wenn der Verwegne sich auf sie setzt.

      Vergebt, ihr Väter der Weisheit, daß ich – – – – – Liousa, edelste der Schwestern! auch deiner will ich gedenken! Unverdächtig ist bei dir das Lob des Bruders: denn alle Tugendhafte loben dich. Dein Beispiel sei Lehre für andre! Deine Unschuld wohnt im Herzen und in den Sitten; sie ist eine reife Frucht, deren Blüte auf den Wangen längst abgefallen ist, die durch ihren reifen Geruch beweist, daß sie nicht mehr wachsen kann. Trotz dem Verwegnen, der sie unreif schilt, weil sie nicht mehr blüht!

      Eine Regel laßt euch leiten, ihr Lieblinge der Schönheit! Die Unschuld eurer Wangen macht die Unschuld eures Herzens verdächtig. Ein Kind, das die Freuden der Wollust nicht kennt, hört sie, in die Hülle feiner Worte versteckt, ruhig, unerrötend


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