Die wichtigsten Werke von Johann Karl Wezel. Johann Karl Wezel

Die wichtigsten Werke von Johann Karl Wezel - Johann Karl Wezel


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es hat ihnen ein Schurke schon etwas zu naschen gegeben.« – Er klingelte; es kam der Jäger, der Verwalter mit untertänigsten Berichten und unmaßgeblichen Vorträgen, und das Schicksal meines Tobias blieb unentschieden, außer daß die beiden Fräulein während dieses wirtschaftlichen Auftrittes in dem einen Fenster stunden und heimlich Operationsplane für ihn machten.

      Man setzte sich zu Tische; das einzige Gespräch bei der Suppe und dem ersten Gerichte war Tobias, bis endlich der Herr Hauptmann, als eben die zweite Schüssel und in derselben ein stattlicher Rehrücken aufgesetzt wurde, mit halben Unwillen ausbrach: »Meinethalben macht ihn zu euren Kammerpagen! Laßt mich nur wenigstens ruhig essen!« Dieser Bescheid brachte es dahin, daß die sittsamen Schönen ganz schwiegen, bis der Rehrücken zerschnitten war. Alsdann fingen sie von neuem an, jedoch ohne ihre Rede in gerader Linie an den Herrn Hauptmann zu richten, sondern es war nur ein halblautes Gezischel und dauerte so lange, bis endlich die gnädige Frau vom Hause mit einer phlegmatischen Neubegierde sich erkundigte: »Was habt ihr denn?« – Die Erzählung hub von neuem an und wurde von ihr mit derselben kalten Aufmerksamkeit angehört, mit welcher sie schon dreimal sie vernommen und wieder vergessen hatte. Den Schluß machte abermals eine Peroration an den Herrn Hauptmann, und der Herr Hauptmann ergrimmte, ließ den schönsten Bissen, der jemals durch seine Zähne gegangen war, aus dem Munde fallen und rief sprudelnd: »Geht zum – mit eurem Bettler!«

      Der unmenschliche Wilde! Wenn der Himmel mich einst zu seinem Grabe kommen ließ, wie wollte ich meinen Tobias rächen! – Zwar, rächen? an ihm? einem Toten? – Wäre das nicht viel unmenschlicher, als den Lebendigen seine Hülfe versagen? Nein, auf seinen Leichenstein will ich mich setzen und mit drei lauten Seufzern ihn beklagen, daß die Natur ihm das größte Glück entzog – ihm ein Herz und kein Gefühl gab. Mit nicht geringerem Erstaunen, als mein und meiner Leser Unwille sein muß, hörten die beiden Fräulein jene schrecklichen Worte aus dem Munde ihres Vaters und Onkels und verstummten. Gern hätten sie laut wider ihn gezürnt, wenn es nur nicht Vater und Onkel gewesen wäre. Es blieb also bei einer aus Unwillen, Erstaunen, Scham und Verlegenheit zusammengesetzten Empfindung, die sich aber nicht weiter hervorwagte als bis auf die Wangen, wo sie sich durch ein glühendes Rot ankündigte. Der erzürnte Hauptmann kaute indessen mit so vieler Heftigkeit, als wenn er den beiden Schönen trotzen wollte, die allen Appetit sogleich verloren hatten. Eine fünfminutliche allgemeine Stille herrschte über dem ganzen Tische, bis endlich die Frau Hauptmännin, die ungemein langsam dachte und empfand und also itzt erst am Ende der fünf Minuten die Erzählung ihrer Tochter gefaßt hatte, ohne den fürchterlichen Befehl ihres Mannes gehört zu haben – bis diese, sage ich, das Stillschweigen unterbrach, indem sie mit langgedehntem Tone fragte: »Wo ist er denn her?« – »Das wissen wir nicht«, war die Antwort. »Er will Soldat werden«, setzte Fräulein Kunigunde halbzitternd hinzu.

      »Soldat?« fragte der Hauptmann kauend. – »Ist der Junge groß?« – »Sehr klein, gnädiger Papa.« – »Was, Henker, will denn der Zwerg unter den Soldaten? – Laßt ihn herkommen!«

      Bei diesen letzten Worten wurde die Röte auf den Backen der beiden Fräulein um die Hälfte höher und glühender, und die Freude nebst der Dankbarkeit sprach durch Augen, Mienen und Gebärden.

      Tobias kam, redete mit vielem Enthusiasmus von seinem kriegerischen Plane, und der Herr Hauptmann wurde so sehr mit ihm ausgesöhnt, daß er ihm mit eigner Hand ein Stück Braten abschnitt und nebst einem Glase Wein überreichte. Nur das konnte er ihm nicht vergeben, daß er so klein, bucklicht und also ohne alle Talente zum Soldatenstande war; dieser ungünstige Umstand war auch Ursache, daß das Wohlwollen, welches Tobias' Neigung zum Soldatenleben ihm abzwang, um ein großes nicht so warm und herzhaft war, als es gewesen sein würde, wenn die Natur den Stoff zu seinem Körper ein paar Ellen länger gedehnt hätte. Sein Patron würdigte ihn der Ehre, seine Figur mit etlichen höchst faden Einfällen zu belachen, und erteilte ihm, als er erschöpft war, den Befehl, sich hinwegzubegeben, nachdem er ihm noch zuletzt geraten hatte, seinen Buckel auf die Schultern zu nehmen und ins Land der Liliputer zu wandern, wo er gewiß Flügelmann werden würde.

      »Wo ist das Land?« fragte Tobias hitzig. – »Draußen vor meinem Tore.«

      Mein Held hörte, verstund es und war nicht einen Augenblick empfindlich darüber, sondern küßte allen an der Tafel lächelnd die Hände und ging davon. Seine Wohltäterinnen hingegen empfanden statt seiner für ihn, gaben ihm einen Zehrpfennig auf den Weg und begleiteten ihn mit wehmütigen Augen bis zum Zimmer hinaus, worauf der witzige Paroxysmus des Hauptmanns von neuem anfing und binnen acht Tagen Rot und Weiß auf den Wangen der armen Fräulein mit jeder Minute abwechseln ließ!

       Inhaltsverzeichnis

      Du guter Tobias! dein Schicksal ist das Schicksal der besten menschlichen Tugenden, die in der Hütte und im Kleide der Armut getan werden! Niemand kennt die großmütige Aufführung, die du bei deinem Abschiede von dem empfindungslosen Hauptmann beobachtest! Niemand kannte sogar deinen Namen, bis ein Schriftsteller, ebenso unbekannt wie du, in einem unbekannten Winkel deine Geschichte schrieb und sie der Welt zu lesen gab, die wenigstens deinen Namen auf dem Titelblatt erfuhr, wenn sie auch gleich nicht Neubegierde genug hatte, dein merkwürdiges Leben zu erfahren. Mir hast du alles zu danken, und mir sollst du es auch zu danken haben, daß jeder, der diesen Absatz liest, die Erhabenheit deines Betragens in ihrer völligen Größe empfindet und bewundert. Alexanders, Scipios, Caesars und andrer Großmut wurde ihnen ins Gesicht gepriesen und wird durch die Denkmäler der Kunst und der Geschichte verewigt; deine hingegen wird von einem verächtlichen deutschen Autor erzählt und, ehe er noch den Mund wieder geschlossen hat, schon vergessen.

      Aber warum nur das? – War denn Tobias' Großmut von schlechterem Schrot und Korn? War sie von einem schlechteren Metalle? von geringerem Werte als die berühmten Beispiele der Großmut? – Nein, alles nicht! Das Gepräge fehlte – Kann wohl etwas Unbilligers sein, als daß ein Goldstück, des innern Gehaltes ungeachtet, darum nicht gelten soll, weil es noch kein Gepräge hat?

      Ich bin von jeher allemal der erste gewesen, der aus den erzählten Handlungen der Menschen das wenige Gute, das darinnen enthalten war, herauszuklauben suchte, und bin es gewesen, ohne den vorsetzlichen Willen, es zu sein – denn ich bemerkte erst diese Neigung an mir, als ich schon längst unbewußt nach ihr gehandelt hatte –, ich bin noch itzt ebenso bereit, der Sachwalter aller zweideutigen Reden und Handlungen zu sein, als willig, die offenbar guten durch keine zu eindringende Zergliederung zu entkräften; ich halte es überhaupt für eine der ersten Pflichten eines Weltbürgers, die ganze Summe des moralischen Guten auf diesem Erdenrunde so hoch zu berechnen, als es nur immer, ohne ganz falsch zu rechnen, geschehen kann; aber wenn ich bedenke, daß auf diese Rechnungsliste Tugenden gesetzt worden sind, die aus keinen bessern Ingredienzen bestunden als die mehrern ausgelaßnen, dann – ja, dann überfällt mich ein heimtückischer Eifer, jene glücklichern zu erniedrigen und diese verschmähten zu erhöhen, wenn nur Wünschen und Geschehn eins wäre.

      An keinen hat in diesem Falle die Geschichte eine so stiefmütterliche Gleichgültigkeit erwiesen als an den Privattugenden, und unter diesen an keiner mehr als an der großmütigen Ertragung der Beleidigungen; diese hat sie kaum eines Seitenblickes gewürdigt. Abgerechnet, daß bei den zwei vorzüglichsten polizierten Völkern, unter denen sie uns Charaktere aufstellt, der Grundsatz, seine Ehre an jedem Beleidiger zu rächen, herrschend war und also überhaupt ein gelaßner Charakter, der ruhig das Unrecht erduldet, ein seltner Charakter sein mußte, ist noch ein andrer Grund, der das Stillschweigen der Geschichte hierüber rechtfertigt, wenigstens entschuldigt. Dieser Charakter entsteht gerade aus zwo Dispositionen des Geistes, die beide ihren Besitzer zur Entfernung von der öffentlichen Geschäftigkeit gleich geneigt machen, welche doch immer das vornehmste Kennzeichen der Merkwürdigkeit für die Geschichte gewesen ist; wer ihn besitzt, dessen Gemüt muß zu der Stille gelangt sein, die entweder aus der Überlegenheit der Vernunft über die Affekten oder aus der Untätigkeit erwächst; er muß entweder unumschränkter Herr über seine Leidenschaften sein oder gar keine haben, wenigstens schwache und in geringer Anzahl; er muß entweder ein stoischer Weise – nämlich im Sinne des Antonins! –


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