Die wichtigsten Werke von Johann Karl Wezel. Johann Karl Wezel

Die wichtigsten Werke von Johann Karl Wezel - Johann Karl Wezel


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Hand zum linken Ohre, graute auf demselben Wege die rechte Seite des Kopfs ein wenig und fuhr fort:

      »Ich brachte sie gleich ins Bette mit dem Kinde, und es währte lange, ehe sie wieder zu sich kam. Meine Klare erzählte mir den andern Morgen, daß sie mich hatte kommen sehn und daß sie sich niedergesetzt hatte, um auf mich zu warten; da war sie eingeschlummert, und wäre ich nicht gleich gekommen, so wär sie erfroren – gewiß erfroren.

      Bei der guten Marthe – so hieß die Frau, bei der wir eingekehrt waren –, die brave Marthe! bei der mußte sie acht Wochen im Bette liegen, so krank war sie. Das schlimmste dabei war, ich wußte nicht, wie ich sie erhalten sollte; aber es ging doch. Im Dorfe war kein Dienst für mich. Weit wollte ich nicht gerne von meiner Klare weggehn. Ich ging also des Tags über auf die Arbeit, wo es was zu tun gab, bald hier, bald dort, im Dorfe und auf den Dörfern in der Nachbarschaft; des Abends lief ich zu meiner Klare und brachte ihr meinen Verdienst. Manchen Tag hab ich gehungert, wenn ich nicht viel verdienen konnte, damit es nur ihr nicht fehlte. Ich hab's gern getan, sie hat mir's genug vergolten.

      Endlich wurde sie wieder gesund, wir fanden Dienste, aber nicht an einem Orte, und die gute Marthe behielt unser Kind bei sich. Sie war eine arme Witwe, und ich mußte ihr wöchentlich etwas bezahlen. Kannst du dir vorstellen – Aha!« rief er, als er gewahr wurde, daß Tobias' Kopf bis auf die Hälfte der Brust herabgesunken und also seine letzte Anfoderung an dem unrechten Orte angebracht war. – »Du schläfst?« sagte er. »Geh zu Bette und schlaf wohl!«

      Tobias zauderte nicht lange, seinem Rate zu folgen.

       Inhaltsverzeichnis

      Den folgenden Morgen merkte Tobias genau, daß ein großer Teil seines Projektes in der vorhergehenden Nacht verdunstet war. Es stiegen allmählich Schwierigkeiten in seinem Kopfe auf, von denen Tags vorher kein Schatten der Möglichkeit vorhanden gewesen war. Die dadurch verursachte Dämpfung des Feuers, mit welchem er vorher seinen Plan verfolgt hatte, war einer von den wichtigsten Gründen, warum er auf die Bitte seiner Bewirter ohne sonderliche Umstände sich entschloß, noch einen Tag und eine Nacht in diesem glücklichen Hause zuzubringen. Wäre gleich ein neuer Entwurf bei der Hand gewesen, so wäre ihm einerlei Schicksal mit Ergasten begegnet, der neulich ohne Bedenken die Abwartung seines Amtes ganz unterließ, weil seine Tulpenzwiebeln aus Holland angekommen waren – er hätte den Alten ganz vergessen.

      Jeder noch so geringfügige Umstand erinnerte ihn den ganzen Tag über daran, wie unansehnlich seine Figur war. Er maß sich in Gedanken mit jedermann, der ihm begegnete, und allemal, sooft es nicht sechsjährige Kinder waren, fiel das Urteil dahin aus, daß er viel kleiner wäre; – doch nicht gar zu viel! setzte er bei sich hinzu; ohne Zweifel geschah das aus Liebe zum Projekte, denn unser Kopf behält lange, oft zeitlebens, gegen jeden Gast, den er beherbergt hat, eine höchst galante Gefälligkeit. Aus dieser Ursache war Niklas, der Sohn seines Wirtes, dessen Länge die seinige gerade drittehalbmal hielt, in seinen Gedanken nur einen guten Kopf größer als er.

      Er brachte einen großen Teil des Tages neben dem Lager seines Wirtes zu, dessen geschwätzige Laune zu seiner großen Zufriedenheit einen aufmerksamen Zuhörer an ihm fand. Nachmittags, als das Gespräch zu ermatten anfing, bat ihn Tobias, die Erzählung seiner Schicksale fortzusetzen, und er setzte sie ohne Weigerung fort.

      »Wie ich's ausstehen konnte«, fing er auf seine Frage an, »daß ich nicht bei meiner Klare war? – Nicht gut! Aber ich mußte! Ich besuchte sie oft, und noch hätte ich mit allem dem zufrieden sein wollen, wenn nicht wieder eine verdrießliche Sache dazwischen gekommen wäre.«

      »Ach! was denn?« rief Tobias hitzig.

      »Was? Meine Klare war hübsch; das habe ich dir wohl schon gesagt. Der Edelmann in dem Dorfe, wo sie diente, war ein junges Herrchen, das kaum von der Universität wiedergekommen war. Er dachte, weil er Herr vom Dorfe wäre, so wäre er's auch von meiner Klare. Sie gefiel ihm, und weiter, meinte er, wäre nichts nötig. Aber Klare war gescheut. Die Sache war schon lange im Werke, und ich wußte kein Wort davon. Endlich komme ich einmal des Sonntags zu ihr. Kannst du dir vorstellen? – Da sitzt sie in ihrer Kammer und weint und – weint!

      Ich war in Todesangst. Ich zitterte am ganzen Leibe vor Schrecken und konnte kein Wort aufbringen. Endlich fragte ich sie: ›Was hast du denn? – Was hast du denn?‹ noch einmal; aber da war keine Antwort. Sie weinte, sie schluchzte, und das griff mir das Herze so an! – ich setzte mich zu ihr und weinte mit. Ich möchte es noch itzt tun, wenn ich daran denke, wie mir damals war.«

      Tobias schlug die Augen nieder und zupfte an seiner Weste.

      »Endlich erzählte sie mir die ganze Sache. ›Der Edelmann‹, sprach sie und weinte immer mit unter – ›der Edelmann hat mich vor vier Tagen in den Stock werfen lassen, und heute früh bin ich erst wieder losgekommen. Er gab mir schuld, ich hätte auf seinen Wiesen Gras geholt, und in meinem Leben habe ich das nicht getan. Aber ich weiß schon, warum ich so hart bestraft wurde. Er hat mich schon länger als vier Wochen gequält und mir wunderliches Zeug vorgeschwatzt. Am Montage abends kam er zu mir in meine Kammer; aber ich machte Lärm, und er mußte fort. Er hat – Deswegen mußte ich mich so beschimpfen lassen.‹

      Ich kannte mich vor Zorn nicht. Ich lief fort, gerade auf das Schloß. Ich traf ihn auf dem Hofe mit der Flinte an. Gleich ging ich auf ihn los und sagte ihm die Wahrheit. Ich weiß nicht, was ich im Zorne alles sagte. Genug, er wurde böse und wollte mit der Flinte nach mir schlagen. Ich wurde noch böser und wehrte mich. Merk dir's, mein lieber Sohn, und werde in deinem Leben nicht böse. Ach, was der Zorn für eine entsetzliche Sache ist! Man ist kein Mensch mehr, wenn man darein gerät. – Meiner bekam mir übel. Ich mußte ein ganzes halbes Jahr bei Wasser und Brot sitzen und sollte gar auf den Bau kommen. Das möchte aber alles noch gewesen sein, wenn nur meine Klare zu mir gedurft hätte. Ein ganzes halbes Jahr durfte ich sie nicht sehen und wußte nicht, wie es ihr ging.

      Endlich fand ich eine Gelegenheit und entwischte. Ja, wo sollte ich sie nun suchen? Manchen Tag bin ich herumgelaufen, auf allen Dörfern; aber sie war nirgends. Ich dachte gar nicht daran, daß sie mich hätten wieder haschen können. Ich wußte keinen bessern Rat, als – ich wagte mich nach Hause. Der Pfarr war unterdessen anderswohin gesetzt worden, und meine Mutter lebte noch. Sie hatte viel Freude, mich vor ihrem Ende wiederzusehen. Klare blieb immer weg. Meine Mutter wollte beständig, ich sollte heiraten; aber wohl tausendmal hab ich ihr zugeschworen, daß ich lieber sterben wollte, als jemand anders nehmen wie meine Klare. – Sie ließ mir meinen Willen.

      Es verging ein Vierteljahr, ein halbes Jahr, und ich hörte immer nichts von meiner Klare. Ich arbeitete brav, und wenn ich mir was verdient hatte, so dachte ich allemal: Ach, wenn du nur ihr was davon geben könntest!

      Einmal sitz ich des Abends am Tische – es war im Frühjahre, so in der Dämmerung. – Ich war schläfrig von der Arbeit und so verdrießlich, weil mir's gar nicht nach meinem Willen ging, daß ich darüber einschlief. Meine Mutter saß im Winkel und nickte auch. – ›Du!‹ hör ich sie auf einmal rufen, ›es klopft jemand.‹ Ich stolpere, halb im Schlafe, zur Haustür und mache auf, und so kömmt eine Weibsperson hereingetreten und bittet um ein Nachtquartier. Ich hält ihr's beinahe abgeschlagen, weil ich nicht wußte, wer es war. – Je nu! dacht ich, weil sie doch meine Mutter kennt, wie sie spricht, so mag sie doch wohl ehrlich sein. Ich hieß sie in die Stube gehn. Sie bat meine Mutter gar sehr um eine Herberge und sagte, sie wäre – Klare +++!

      ›Klare!‹ rief ich. ›Je wo denn du her? – Je, Töffel! je wo denn du her? – Je wo denn du her?‹ so fragten wir uns, wer weiß, wie lange, und keins antwortete dem andern vor großen Freuden. Meine Mutter schlug indessen Licht an; und nun sah ich's! Da war's meine leibhafte Klare! aber gar jämmerlich sah sie aus – hager, eingefallen wie der Hunger!

      ›Je wo denn du her?‹ – ›Von der Marthe‹, sagte sie. ›Mir ist es unterdessen gegangen! wenn du wüßtest!‹ und so fing sie an zu weinen.

      Wir dachten gar nicht ans Essen, bis meine Mutter etwas für sie brachte. Ich mußte ihr alles


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