Die wichtigsten Werke von Johann Karl Wezel. Johann Karl Wezel

Die wichtigsten Werke von Johann Karl Wezel - Johann Karl Wezel


Скачать книгу
Weile wandte er sich zu seinem Gesellschafter, der mittelmäßig gut mit einem braunen Rocke und einer schwarzen Weste bekleidet war und zischelte ihm ins Ohr, daß er in dem Betragen dieses jungen Menschen etwas ganz besonderes, ein gewisses je ne sai quoi fände, das seinen ganzen Beobachtungsgeist beschäftigte. Der andre kehrte eine Minute lang sich nach ihm um, und da er nichts als einen gewöhnlich gebildeten, nur etwas bucklichten Menschen mit den gewöhnlichen menschlichen Gliedmaßen in ihm fand, so drehte er sich von ihm wieder weg, tat einen Schluck aus seinem Kruge und sagte nichts. Bald darauf erneuerte er das Gespräch, indem er zu dem andern, der über seiner Beobachtung ganz abwesend mit seinen Gedanken war, in einem ziemlich lauten Ton sagte: »Aber was halten Sie davon, mein Herr? Darüber haben Sie sich noch gar nicht erklärt.«

      »Was ich davon halte?« fragte der andre halb zerstreut und schwieg.

       A.

      »So antworten Sie mir doch! Was Sie davon halten, frage ich Sie. – Nu?«

      DIENSTFREUNDLICHE ANZEIGE

      Jedermann, der an ernsten Gesprächen keinen Gefallen findet, wird freundschaftlich ersucht, alle folgende Blätter, deren Inhalt einem Gespräche ähnlich sieht, wohlbedächtig zu überschlagen, d. h. von dieser Anzeige an gerechnet. Darauf, denke ich, soll jedermänniglich vom 25. Absatze bis zum Ende des Bandes ohne Anstoß fortfahren können. –

      Cuique suum.

       B.

      (halberwachend) »Die Wahrheit zu sagen, nicht viel!«

       A.

      »nicht viel? – Sie wissen wohl nicht mehr, wovon wir redten? Wir sprachen von dem Bekehren der Menschen, die eine falsche Religion bekennen.«

       B.

      »O ich weiß es sehr wohl! Ich weiß auch, was ich Ihnen dazu sagte, als wir unterbrochen wurden.«

       A.

      »Und was? – Das ist mir wahrhaftig entfallen.«

       B.

      »Ich sagte Ihnen, daß es die höchste Verwegenheit von einem Menschen sei, eine Religion geradezu für falsch zu erklären.«

       A.

      »Was? man könnte nicht wissen –«

       B.

      »Erlauben Sie mir, mein Herr! Sie werden sich erinnern, was ich Ihnen vorhin bewies! – Ein Mensch, wurden wir einig, kann niemals kompetenter Richter über die Wahrheit desjenigen sein, wodurch ein andrer von seiner Meinung abweicht; denn zween Leute, die verschieden denken, sind Parteien, und ist es wohl jemals erlaubt gewesen, daß eine von den beiden Parteien über ihren eignen Rechtshandel entschied? Natürlicherweise würde, wenn dieses verstattet wäre, die rechtsprechende Partei die andre den Prozeß verlieren lassen: Das ist ohne Zweifel?«

       A.

      »Ohne allen Zweifel.«

       B.

      »Finden Sie wohl einen Menschen, der mit dem andern völlig gleichförmig denkt?«

       A.

      »O ja!«

       B.

      »Ich versichre Sie, gewiß nicht! – O ja! den Worten, dem Anscheine nach! Oft bildet man sich's selbst ein, und niemand zweifelt daran; aber wenn an jeder Stirn von zween Menschen, die miteinander übereinzustimmen glauben, eine Öffnung und ein Vergrößerungsglas darein gesetzt wäre, so fein geschliffen, daß wir die Seele durch dasselbe, wie die Bienen durch einen gläsernen Bienenstock, arbeiten sehen könnten, so bin ich überzeugt – ja, was dächten Sie wohl, daß wir sehen würden? – In zween Bienenstöcken sehen sie ähnlichen Honig, ähnliche Arbeiterinnen, die nach ähnlichen Gesetzen ähnliche Werke hervorbringen; aber wer alles genau untersuchen wollte, würde so viele Verschiedenheiten entdecken, die eine Gleichheit im geringsten nicht zulassen. So würde man in zween Köpfen eine ähnliche Werkmeisterin finden, die nach ähnlichen Gesetzen ähnliche Gedanken zum Vorschein bringt; aber wer weiß, was für kaum merkliche Nuancen, Schattierungen usw. bei Gedanken stattfinden – kurz, wer weiß, daß Gedanken und Lichtstrahlen unendlich mannigfaltige Veränderungen leiden können, wo der Unterschied nur geschlossen und nicht empfunden wird; ein solcher kann sich gar nicht wundern, wenn er durch jene Gläser an der Stirne Gedanken beobachtet, die so ähnlich und so verschieden sind, daß man schwören kann, es sind dieselben und auch nicht dieselben.«

       A.

      »Das ist zu subtil.«

       B.

      »Es sei! Indessen wenn eine Subtilität wahr ist, so ist es diese; wiewohl man sie nicht einmal nötig hat, um die Verschiedenheit der Meinungen zu beweisen. Sie äußert sich mehr als zu sehr, und zween Menschen, hinderte sie nicht Höflichkeit oder eine andre Ursache, würden kaum zehn Worte ohne Widerspruch miteinander reden.«

       A.

      »Es kann sein.«

       B.

      »Wenn alle Menschen verschieden denken, so sind sie auch alle Partei und folglich keiner – Richter. Sobald einer entscheidet, daß der andre Unrecht hat, so maßt er sich widerrechtlich einen Richterspruch an, da ihm doch als einer Partei nichts gebührt, als die Gründe für seine Sache vorzutragen, die Gründe des andern für die seinige anzuhören und alsdann in Güte von ihm zu gehen und den Ausspruch von dem Richter ruhig zu erwarten; und wenn dieser vor ihrem Tode nicht geschieht, so ist es eine verjährte Rechtssache, die keiner verlor und keiner gewann, weil keiner ihr Ende erlebt hat.«

       A.

      »In allen Dingen laß ich mir das gefallen. Nicht gern; aber – es mag drum sein. Nur in der Religion kann ich dies unmöglich gelten lassen.«

       B.

      »Und warum nicht?«

       A.

      »Weil alsdann gar keine falsche Religion sein könnte.«

       B.

      »Freilich klingt das nach den gewöhnlichen Begriffen gefährlich. Aber anders ausgedrückt: Keiner ist imstande, die Religionsmeinungen des andern mit Gewißheit für falsch zu erklären – was meinen Sie nun dazu?«

       A.

      »Es gefällt mir ebensowenig.«

       B.

      »Und warum nicht?«

       A.

      »Weil alsdann keine Gewißheit möglich wäre, und diese ist doch unentbehrlich notwendig.«

       B.

      »Unentbehrlich notwendig – darüber möcht ich mir einen Beweis ausbitten. – Ich denke, eine Vollkommenheit, zu welcher ein Geschöpf keine Kräfte hat, ist ihm nicht unentbehrlich notwendig. Die Kunst zu fliegen war dem Menschen nicht bestimmt, weil ihm die Natur keine Flügel und keine Brust mit starken fleischichten Muskeln gab. Aber dafür kann er gehen, und wenn er gleich nicht über die Wolken steigen kann, so hat er doch auf der Erde schon Platz genug, um seine Füße nicht müßig ruhen zu lassen.«

       A.

      »Mein Herr, ich merke, Sie sind ein Metaphysiker.«

       B.

      »Keineswegs!


Скачать книгу