Die wichtigsten Werke von Johann Karl Wezel. Johann Karl Wezel

Die wichtigsten Werke von Johann Karl Wezel - Johann Karl Wezel


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      »Von dem letzten, das Sie mit einem so nachdrücklichen Tone aussprachen, habe ich selbst eine Erfahrung gemacht. Ich habe in meinem Leben beständig den Selbstmord verabscheut. In einer Krankheit vor sechs Jahren war ich fest überzeugt, daß er die rechtmäßigste Handlung von der Welt sei –«

       B.

      »Und Sie hätten nach dieser Überzeugung gehandelt –«

       A.

      »Wenn ich nicht gesund geworden wäre – vermutlich!«

       B.

      »Ohne Zweifel! – Noch mehr! Wenn ich rohen Schinken und Erbsen in einer gewissen Quantität gegessen habe, so ist meine Seele nicht unsterblich, und wenn ich alle Schriften von Platos ›Phädon‹ bis zu meines Pfarrs Predigten darüber nachläse, umsonst! Nach einer nüchternen Mahlzeit von sanften, mildernden Speisen halte ich sie für unsterblich auch ohne Beweis und fühle unwiderstehlich, daß sie es sein muß.«

       A.

      »Das ist –«

       B.

      »Zuviel! wollen Sie sagen; doch ist es wahr und leicht zu erklären. Unsre Gewißheit hängt von der Deutlichkeit und Lebhaftigkeit unsrer Ideen ab. Was diese hindert, hindert auch jene, und harte Speisen erfodern zu ihrer Verarbeitung einen so großen Teil der Lebensgeister, daß zur Belebung der Gedanken nicht genug übrigbleibt.«

       A.

      – – – – – –

       B.

      »Ein Wort, ein Gedanke, der sich in unserm Kopfe einmal das Eigentumsrecht erworben hat, besitzt oft so eine magische Kraft, als roher Schinken kaum haben kann. – Wenn die Gewißheit des Menschen auf so schwachen Stützen ruht, die noch dazu so leicht, gleichsam durch einen kleinen Wind, aus ihrer Stelle verrückt werden können, wenn große und kleine Geister etliche tausend Jahre hindurch nach der Wahrheit im Finstern getappt haben und, sooft sie einer erwischt zu haben glaubte, zwei, drei andre mit schönen Gründen ihm bewiesen, daß er nur nach einem Schimmer gegriffen haben müsse, da sie dieselbe leibhaftig besäßen, ohne daß allgemein entschieden wurde; was meinen Sie denn von der menschlichen Gewißheit?«

       A.

      »Freilich kann sie da nicht allzugroß sein. Nur darf man es nicht öffentlich sagen.«

       B.

      »Warum?«

       A.

      »Es ist eine gefährliche Meinung.«

       B.

      »Und mich däucht, es ist eine nützliche Meinung, die man nie laut genug sagen kann. Wenn sie herrschend wäre, würden die Menschen nicht toleranter und weniger positiv sein als gegenwärtig? Man würde sich nicht verfolgen, nicht hassen, weil man verschieden denkt: Denn glauben Sie nicht, daß in unserm aufgeklärtem Jahrhunderte diese Verfolgungen aufgehört haben! Es scheint; aber sonst verfolgte man sich in offnem Kriege, itzt durch Kabale. Alles das könnte verhütet werden, wenn sich die Leute überreden ließen, daß man in dieser Welt nichts tun kann und darf als sagen, was einem dünkt, und anhören, was andern dünkt. Eine Sache, die in der Liste derjenigen obenan stehen muß, von denen uns die meiste Gewißheit verstattet ist!«

       A.

      »Das ist alles wohl wahr, aber das kann ich mir doch nicht überreden, daß der Mensch keine Gewißheit hat.

      Hieß das nicht: Die Gründe glaube ich wohl, nur nicht das, was sie beweisen – weil ich es immer nicht geglaubt habe?«

      Eben wollte ihm sein Gesellschafter antworten, als der Gastwirt, der vor einigen Minuten hinausgegangen war, mit einem Buche in der Hand wieder zurückkam und um Erlaubnis bat, das Gespräch auf einige Augenblicke zu unterbrechen. Er berichtete, daß ein Herr in einer schlechten Kleidung nachts vorher bei ihm eingekehrt sei und nicht viel vertan habe. Dieses Taschenbuch habe er nach seiner Abreise auf seiner Stube gefunden und nach der Eröffnung einen Haufen wunderlicher Papiere darinnen angetroffen. Er überreichte es zugleich dem Herrn B., der die Papiere durchsah und mit fester Überzeugung die Anwesenden versicherte, daß es einem deutschen Schriftsteller gehörte.

       Inhaltsverzeichnis

      »Nicht übel!« rief er, als er an ein Papier kam, das sich durch seine Größe von den übrigen unterschied.

      »Nicht übel!« sagte er noch einmal, indem er einen Teil davon heimlich überlief. – »Wollen Sie es hören? Der Anfang ist nicht vorhanden.«

      Er räusperte sich schon, um anzufangen, als er den Wirt einige Besonderheiten von dem Besitzer des Taschenbuchs erzählen hörte, die ihn als einen psychologischen irrenden Ritter, der nach abenteuerlichen Charakteren ausgeht, mit seiner ganzen Aufmerksamkeit so stark auf sich zogen, daß er das Blatt sinken ließ und der angefangnen Erzählung zuhörte.

      »Er schlich«, sagte der Wirt eben, »wie eine Katze, die genascht hat, in das Stübchen, das wir ihm anwiesen. Ich fragte ihn, ob er etwas verlangte. ›Eine warme Suppe‹, sagte er. Ich riet ihm lieber zu einer frischen Milch, weil es so schwüles Wetter wäre. ›Behüte!‹ rief er, als wenn er von Sinnen kommen wollte – ›mich friert! Eine Suppe! und zwar gleich! –‹«

      Mit einem lauten Gelächter versicherte der Erzähler bei diesen Worten, daß er geglaubt hätte, der Mann wäre aus einem Tollhause entsprungen. – »›Mich friert!‹ sagte er, und wir wollten alle vor Hitze ersticken! – Ich traute ihm nichts Gutes zu. Deswegen sah ich von Zeit zu Zeit nach ihm; und allemal, wenn ich kam, saß er am Tische und schrieb. Ich ging etlichemal nahe zu ihm und sahe ihm über die Schultern, aber er blickte mich nicht an. Einmal, als ich so hinter ihm stand, sprang er auf einmal auf und brummte etliche Worte. Dabei verdrehte er die Augen so fürchterlich, daß ich erschrak und davonlief. Der Teufel – Gott sei bei uns! – kann keine abscheulichern Augen haben. Ich fürchte mich sonst für nichts; aber da wurde mir wahrhaftig angst. Ich lief zur Tür hinaus; er hinter mir drein und rief mir nach – es ist mir noch, als wenn's erst vor ein paar Minuten geschehen wäre – ›Wenn du in deinem Blut dich wälzest‹, rief er. Das übrige konnte ich vor Schrecken nicht verstehen. Um des Himmels willen, dachte ich, nun ist's mit dir vorbei. – Ich fürchte mich sonst nicht leicht, aber hier war mir nicht wohl zumute. Der Tausend! dachte ich, der Mensch ist rasend und wird dich umbringen. Ich lief; er immer hinterdrein. Er hätte mich nicht gehascht, aber ich blieb am Treppengeländer mit dem Ärmel vom Hemde an einem Nagel hängen und fiel, als ich schon auf der untersten Stufe war. Wahrhaftig! ich bin so leicht nicht in die Furcht zu bringen, aber da er mich hinterwärts bei dem Kopfe faßte, da fing ich an zu beten. Ich hörte vor Schrecken nichts, als daß er mich fragte: ›Ist Er tot?‹ – Ich konnte bloß ›nein‹ antworten, und noch sehr schwach. – ›Nu, so ist es gut‹, sagte er, ›bringe Er mir meine Suppe!‹ – und so ging er hurtig die Treppe wieder hinauf.«

      »Der Mann«, unterbrach ihn Herr B., »ist ohne Zweifel ein Tragödienschreiber – kurz, ein Dichter gewesen; er hat in der Begeisterung, da er Ihm nachgelaufen ist, einen Vers unbewußt hergesagt; und im Grunde lief er Ihm wohl nur nach, um Ihm zu sagen, daß Er seine Suppe bringen sollte.«

      »So war es!« sagte der Gastwirt. »Er hat mir's hernach selber gesagt, als ich ihn darum fragte. Er hätte mich beim Kopfe gekriegt, meinte er, um mich zu erhalten, da er mich fallen sehn. Daß er die Worte gesagt hatte, davon wußte er nicht einen Mucks mehr.«

      »Erwärmte ihn die Suppe nicht?« fragte der Gesellschafter des Herrn B. mit Lachen.

      »Ach, bei der gab's noch Händel!« antwortete der Gastwirt. »Es fehlte ohngefähr noch zween Finger breit an der Schüssel,


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