Die wichtigsten Werke von Johann Karl Wezel. Johann Karl Wezel

Die wichtigsten Werke von Johann Karl Wezel - Johann Karl Wezel


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seine Lektüre und die Veränderungen des Körpers vorgegangen waren und die jeder Leser in der Folge dieser Geschichte vielleicht noch erfahren soll, war es gegenwärtig mit ihm dahingekommen, daß sein Charakter eine wunderbare Komposition von Eigenheiten, vernünftigen Grillen und vernünftiger Philosophie war. Der Schwung seiner Einbildungskraft schien gesunken zu sein; aber er war es nicht, er hatte nur eine andre Richtung. Noch war sein tägliches Leben – Spekulation, Spekulation über die unbedeutendsten Gegenstände. Um diesem spekulativischen Hange Nahrung zu verschaffen, besuchte er, bald verkleidet, bald in seiner gewöhnlichen Gestalt, die Wirtshäuser der umliegenden Gegend. Jeder Einkehrende wurde von ihm entweder im Winkel oder im Gespräche beobachtet. Am liebsten belaurte er die unverdorbnen Landleute.

      Wenn ein Fremder durch Besonderheiten seine Neugierde reizte, so beherbergte er ihn selbst in seinem eignen Hause; denn die besondern Charaktere waren sein eigentlicher Raub, auf den er am liebsten ausging. So kam es, daß sein Haus eine moralische Raritätenkammer war, wo oft die abenteuerlichsten Charaktere nebeneinander figurierten. Nächstdem war es eine sichre Zuflucht für alle, die menschlicher Hülfe bedurften, und oft nicht viel besser als ein Lazarett. Beide Endzwecke erfoderten einen großen Aufwand, der sein großes Vermögen allmählich erschöpfte. Er für seine Person lebte so nüchtern wie Epikur, teils aus Grundsätzen, teils aus Notwendigkeit. Obendrein hatte er sogar die gutherzige Schwäche, daß er niemanden, wenn er nicht freiwillig sich zur Abreise entschloß, auf irgendeine höfliche Art nötigen konnte, ihn zu verlassen; auch wenn er ihm wirklich zur Last war, konnte er's nicht. Diese Gutherzigkeit wußten viele auf die unverschämteste Weise zu nützen; sie blieben zu halben Jahren bei ihm. Er wetzte seinen Scharfsinn an ihren Mienen und Handlungen, und sie füllten ihre Mägen aus seinem Beutel.

      Das wäre ohngefähr Herr Selmann in einer flüchtigen Skizze – nur so weit ausgezeichnet, als zur Belehrung eines jeden nötig ist, der ihn nur aus der Schilderung im siebenundzwanzigsten Absatze kennt. Er wird für meinen Tobias ein höchst wichtiger Mann werden, und also ist er auch mein Mann.

       Inhaltsverzeichnis

      Er war, wie gesagt, der Besitzer des Dorfes, in welchem er meines Tobias' Bekanntschaft machte, und bewohnte daselbst ein artiges geräumiges Haus, das sein Vater zu Schmäusen und Bällen erbaut hatte und der Sohn, wie auch schon gesagt worden ist, zu einem psychologischen Theater machte, wo er Mienen, Blicke, Handlungen anatomierte und durch ein so denkendes Leben entweihte, daß man sich wundern muß, wenn der Vater nicht darinnen umgegangen ist.

      Denkende Menschen sollten, dächte man, ganz Vernunft sein und bei ihren Handlungen nur dem Willen dieser Gebieterin folgen, ohne in der Sklaverei der Gewohnheit zu stehen, die bei dem undenkenden Haufen Bewegungsgrund, Triebfedern, Grundsatz und alles ist. Aber wieviel fehlt daran! Es geht bei dem Weisen zu wie in gewissen Staaten, die die Freiheit im Munde und im Wappen und in ihren Mauern den Despotismus haben. Bei dem Weisen ist zwar die Gewohnheit keine Selbstherrscherin, nicht so ein grämlicher Despot wie ein Sultan oder ein persischer Schach; aber dafür ist sie die Favoritin einer schwachen Monarchin, der Vernunft, die nichts tut, als daß sie ihren Namen zu den Verordnungen hergibt, die jene durch sie macht. Welcher Despotismus besser ist, das mögen unsre Staatsklugen entscheiden: Ich bin indessen für den letztern.

      Eine Anmerkung, die ein Sprößling von der Spekulation des H. Selmanns ist und die der gute Mann sehr oft durch sein eignes Beispiel bestätigte!

      Eigentlich unterhielt er mit dem dortigen Landadel gar keinen Umgang, welches sie ihrerseits erwiderten, und zwar aus der ganz natürlichen Ursache, weil sie nicht ihm und er nicht ihnen ähnlich war. Demungeachtet hatte es sich durch einen Zufall getroffen, daß er in den ersten Jahren, nach seiner Niederlassung in dieser Gegend, ein paarmal hintereinander gewisse Häuser zu Anfange des Julius auf eine Mittagsmahlzeit eingeladen hatte. Zum ersten und zweiten Male, daß es geschah, hatte er gute Ursachen dazu; aber zum dritten Male geschah es schon bloß, weil es zum ersten und zweiten Male geschehn war. Sooft in den nachfolgenden Jahren der Julius sich näherte, so erinnerte ihn ein gewisses Gefühl daran, daß es nun Zeit sei, den Herrn von †† und den Herrn von ††† zu Tische zu bitten; und zu gleicher Zeit regte sich auch in diesen beiden Herren von ein gewisses Gefühl, daß sie von ihm zu Tische gebeten werden müßten. Es geschah alle Jahre an einem der ersten Tage des Julius so richtig und ordentlich als der Aufgang und Untergang der Sonne und geschah, solange der eine einladen und die andern kommen konnten. Oft, wenn eine von Selmanns spekulativischen Perioden in diesen Teil des Julius fiel, stutzte er über diese Gewohnheit bei sich selbst und sann nach, aus welchem Bewegungsgrunde sie jährlich beobachtet worden wäre. Eigentlich war kein andrer da, als – sie wird beobachtet, weil sie beobachtet wird; aber seine liebe Vernunft ermangelte niemals, ihn mit einem Haufen Ursachen auf das gefälligste zu versorgen. Er tat es also aus Gewohnheit immer fort, sann sich hinterdrein Gründe aus, warum er's getan hatte, und so ließ er sich von seiner Vernunft bereden, er habe nach vernünftigen Gründen gehandelt.

      Die Ankunft meines Tobias traf gerade in diesen Zeitpunkt. Auch war die besagte Einladung den Tag, als er ankam, wirklich schon geschehn, war angenommen worden, und den Tag darauf, als er ein Abendessen in diesem Hause verzehrt und eine Nacht vortrefflich darinnen geschlafen hatte, mittags um zwölf Uhr kam die Gesellschaft an.

      Ein Zug von vier Pferden, deren Kolorit so zweideutig geworden war, daß sie schlechte Pferdekenner für Schecken ansahen, obgleich nach den Absichten der Natur die zween vordersten – Mohrenköpfe und die hintersten – kastanienbraune sein sollten, die insgesamt traurig die Köpfe zur Erden hingen, um den Leuten nicht ins Gesichte zu sehen, die sie vor achtzehn Jahren als schöne Gaule bewundert hatten – dieser originale Postzug schleppte unter dem Kommando eines sechzigjährigen Postillions eine ebenso originale Kutsche an einem Geschirre, das bei Abgange des Riemenwerks durch Stricke und Bindfaden zu ferneren Diensten tüchtig gemacht worden war, mit dem schwerfälligsten Schritte zu Selmanns Tore herein. Der Wagen konnte, wenn man mit kritischer Genauigkeit verfahren wollte, unter keine einzige von den bekannten Gattungen der Wagen gerechnet werden; doch kann ich durch einen gerichtlichen Beweis, aus der Eingabe des Wagners bei dem Konkurse, in welchen das Vermögen seines Besitzers in der Folge geriet, überzeugend dartun, daß er nach dem Plane des Künstlers zu einem Landauer bestimmt war. Vor achtzehn Jahren hatte er kurz nach seiner Verfertigung zum Brautwagen gedient und vielen Beifall gehabt; itzt war er ohne Türen, und die eine Hälfte der Decke war gleichfalls so unbrauchbar geworden, daß sie auf immer davon abgesondert wurde, um dem Effekte des Ganzen keine Schande zu machen. Hinter der Kutsche lehnte eine Gruppe von zwei bleichgelben Figuren, wovon eine in einem gelbgrünen Jägerhabite, die andere in einem Reisemantel drapiert war. Der Postillion trug wegen eines Flußes im Kopfe, die Verhinderung der Transpiration zu verhüten, eine Stutzparücke, doch nur im größten Staate, wenn eine Pelzmütze, die er sonst zu diesem Endzwecke gebrauchte, wider den Wohlstand gewesen wäre. Ein abgelebter Regenmantel verwahrte Ober- und Unterleib vor den schädlichen Einflüssen der Witterung; die Füße hingegen hatte er wegen der unrichtigen Bezahlung seines Lohns in Stiefeln ohne Sohlen Wind und Wetter bloßstellen müssen. Er und seine Rosse liebten die geschwinden Bewegungen gar nicht; demungeachtet gab ihm, sooft er zu einem Hofe hineinfuhr, ein zurückgebliebnes point d'honneur einen so starken Stich in die linke Seite, daß er mit zusammengerafften Kräften auf seine Gaule loshieb, bis sie taumelten, welches unachtsame Zuschauer für einen Trab hielten.

      Kaum war er zum Tore herein, als dieses unglückliche point d'honneur ihm den Sporn in die Seite setzte, und gleich schwang er die Peitsche und klopfte mit den Füßen das Sattelpferd, auf dem er saß, mit allen Leibeskräften so herzhaft in die Flanken, daß jeder Schlag von einem vernehmlichen Echo in dem Leibe des armen magern Tieres wiederholt wurde. Er arbeitete sich mit Händen und Füßen müde; Hiebe und Schläge waren ohne Wirkung. Sein runzlichtes Gesicht fing an zu glühen, und der Zorn gab ihm neue Kräfte. Als er um die Ecke eines Gebäudes herumfahren sollte, das ihm zur rechten Hand stund, indem linker Hand die Pferdeschwemme war, verdoppelte er seine Hiebe, gab in dem Feuer der Ehrbegierde auf den Wagen nicht Achtung, verfehlte das Gelenke, fuhr an die Ecke an, und – der Wagen fiel um, gerade in die Pferdeschwemme hinein und die zwo Damen, die darinnen saßen, mit ihm.


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