Die wichtigsten Werke von Johann Karl Wezel. Johann Karl Wezel

Die wichtigsten Werke von Johann Karl Wezel - Johann Karl Wezel


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im Lande und vielleicht auch die einzige in Europa war, redte itzt mit einer so trocknen Ernsthaftigkeit als ein Chineser. Außerdem hatte ihn auch das Vorurteil zum Besten, das alle Söhne Adams von Morgen bis zum Abend zur Kurzweile gebraucht. Der Ton der Unterhaltung wird von dem Vorurteile nach der ersten Vorstellung gestimmt, die sich ein Mensch von dem andern gemacht hat. Wer zum ersten Male mit einer ernsthaften, denkenden Larve erschienen ist, über dessen Einfälle lacht schwerlich jemand, und wenn er sie in einem Polichinellskleide hersagte. Hingegen wer sich gleich zu Anfange der Bekanntschaft in einer Harlekinskrause gezeigt hat, über den lacht jedermann – ich glaube, wenn er gleich Basedows »Sittenlehre für alle Stände« hersagte. Das sonderbarste ist, daß in beiden Fällen die Sache ganz mechanisch ohne Vorsatz und Willen zugeht und daß selbst, wenn wir bei näherer Bekanntschaft den Ton umstimmen müssen, noch immer ein kleiner mechanischer Widerhall von dem ersten sich dazwischendrängt.

      Der Hauptmann hatte Selmannen das erstemal in seiner größten spekulativen Laune gesehn; und nun, wenn dieser gleich die heftigste Anwandlung von Witz und muntrer Laune hatte, konnte der H. Hauptmann, sooft er ihn sahe, seinen Mund zu nichts weiter als höchstens zu einem ernsthaften Lächeln bringen, hätte er gleich mit einem lauten Gelächter alle seine Gläubiger bezahlen können: Es war umsonst; die Muskeln fielen von selbst in die Miene einer Nonne, die Profeß tut.

      Ihr lieben Mitbrüder, das heißt, ihr lieben Musensöhne! – Die erste Vorstellung, die man andern von sich gibt –! Sapienti sat.

      Bei der gegenwärtigen Unterredung, wo freilich Selmann so trocken war, daß sein Gesellschafter seine Laune nicht sehr an ihm schärfen konnte, suchte dieser seinen Witz am Fenster, an der Stubentüre und fand ihn nirgends; das Gespräch glimmte – und glimmte und – erlosch endlich gar.

      Wie war es aber anders möglich? Selmann lief die psychologischen Systeme durch und der Hauptmann alle Pferdeställe und Scheunen der ganzen umliegenden Gegend. Zween Leute, die auf so verschiednen Wegen, einer zum Nordpole, der andre nach Süden reist, können unmöglich in einem Wirtshause unterwegs zusammenkommen.

      Wie gesagt, die Unterredung erlosch, und zwar am Fenster.

       Inhaltsverzeichnis

      »Hm!« brummte der Hauptmann – »Hm!« noch einmal und dann zum dritten Male »Hm! was für ein Don Quichotte ist das?«

      Selmann nahm sein Fernglas und sahe in der Richtung hin, in welcher des Hauptmanns Finger nach dem Tore zu gewiesen hatte, und erblickte – die Karikatur muß ich malen, während daß sie ihren Einzug hält. Palett und Pinsel her.

      Eine menschliche Gestalt, sechs Fuß und etliche Linien hoch, so gespenstermäßig mager, daß man bei etwas starkem Winde sie ohne Besorgnis nicht ansehn könnte, mit einem gelbgedörrten, knochichten Gesichte, das völlig einen umgekehrten Kegel vorstellte, woran das Kinn die Spitze ist. Aus der Mitte streckt sich eine lange, spitze, kupfrichte Nase in gerader Linie hervor, die, wenn man mathematisch genau zu Werke gehen und das ganze Gesicht von dem Kinne bis zum Anfange der Stirnhaare in zehn Teile teilen wollte, einen so großen Raum mit ihrer Grundfläche bedecken würde, daß für Mund und Kinn höchstens drei und für die Stirn 1¾ Teile übrigblieben. Die großen hervorstehenden Augen, in denen auf dem Weißen der Stern wie ein kleiner Punkt zu schwimmen scheint, funkeln an den beiden Seiten der Nase mit mattem Schimmer, gleich einem Paar Sternen in der Morgendämmerung über einem hohen Gebürge, und die Augenbraunen hat die Natur aus großer Eilfertigkeit gar vergessen. Der weite Mund zieht sich in einer krummen Linie nach der rechten Seite herunter und zeigt durch seine beständige Eröffnung zwo Reihen gelber Zähne, die bei näherer Bekanntschaft es deutlich zu verstehen geben, daß der Scharbock an ihnen sich bald in Fäulnis verwandlen wird. Um diesen rictus – was kann ich dafür, ihr guten Unlateinischen, daß ihr unsre Muttersprache mit keinem deutschen Worte versorgt habt? –, um diesen rictus über die ausgeschweiften Backen hin bis an die herabhängenden Ohren steht ein Bart! – o ein Bart! gilbicht mit silbernen Spitzen, in einem Alter von wenigstens acht Tagen. Dieser Hogarthische Kopf steckt in einer pechschwarzen Haarbeutelperucke, woran jedoch vom Haarbeutel wie von einer alten Kirchenfahne nur noch unkenntliche Fragmente hängen, und unter einem breiten Hute, dessen Ecken wie ein paar Dachrinnen an beiden Seiten hervorragen, einem Hute, der Regen und Sonne trotzen kann, ohne das geringste von seinem Kolorite zu verlieren. Der übrige Teil der Figur ist in einen Mantel, Rokelor, Ridingcoat oder wie man es etwa nennen möchte – denn sein Geschlecht ist so zweideutig, daß der gelehrteste französische Kenner es nie würde bestimmen können –, also lieber in eine mantelähnliche Kleidung von blaugewesenem Tuche eingewindelt, an dem Ratten und Mäuse hin und wieder und der Zahn der Zeit überall ganz unbarmherzig genagt hat; und, das Porträt zu vollenden, diese ganze Gestalt verliert sich nach unten zu in ein paar brauntuchne Kamaschen, worinne ein paar Gerippe verwahrt werden, die unter diesem Leibe die Stelle der Beine vertreten und unter jedem andern ihre Dienste nicht eine Minute tun würden.

      Das Ganze zusammengenommen wird von einem Gaule getragen, der als Enkel von dem Blackberry des Dr. Primmrosen abstammt. Ein Schweißfuchs ohne Schwanz, ohne Schaberacke, mit den Hinterfüßen steif, so mager, wie sein Reuter, auf dem rechten Auge blind – und mit mancherlei Übeln behaftet, die ein unwissender Gelehrter kaum den Namen nach kennt und der Herr Hauptmann V++ ihm schon in der Ferne ansah.

      Diese zwo Figuren denke man sich als Reuter und Pferd miteinander vereinigt, dazu den Reuter mit so niederhängendem Kopfe, der bei jedem Auftritte des Pferdes von einer Schulter zur andern fällt, als wenn er nur durch einen schwachen Bindfaden mit dem übrigen Leibe verbunden wäre, krummgebückt, vor sich hinsehend – und alsdann muß das ganze Bild in dem Kopfe eines jeden, wie auf Leinwand gemalt, stehen, oder ich oder seine Einbildungskraft wissen mit dem Pinsel schlecht umzugehen.

      Kein Wunder war es, daß der H. Hauptmann bei Erscheinung dieser Rittergestalt mit allen Kräften seines Leibes lachte. Neben dem Pferde her, in einer schüchternen Entfernung, schlich der Gastwirt aus dem Dorfe. Kaum hatte Selmann diesen erkannt, als sich seine ganze Miene aufheiterte. »Was wett ich«, sagte er, »das ist der Mann, von dem mir mein Gastwirt so seltsame Sachen erzählt hat. Hören Sie! das ist ein Originalkopf!«

      »Ja, das merk ich«, antwortete der Hauptmann und hielt sich beide Seiten. Indem Selmann nach der Klingel gehn wollte, um Befehl zu geben, daß man ihn sogleich, wie er da wäre, das Pferd ausgenommen, in das Zimmer führen sollte, trug sich ein Zufall mit dem langsam daherkommenden Ritter zu, der ihn noch einen Augenblick am Fenster zurückhielt.

      Hatte das Pferd einen ebenso grillenhaften Originalkopf wie sein Besitzer? Oder hatte es die sehr natürliche Grille eines hungrigen Pferdes, wenn es in der Nähe eines Stalles ist? Oder – genug die Ursache bleibt unergründet – aber die Sache selbst war diese: Sowenig seine Gestalt vermuten ließ, daß es öftern Anfällen von heftigen Leidenschaften ausgesetzt sein möchte, so wurde es doch auf einmal mitten im Hofe so verschiedner Meinung mit seinem Herrn, daß es mit aller Gewalt den Weg nach der linken Seite zu nehmen wollte, obgleich der gerade Weg zum Wohnhause rechter Hand führte. Der Reuter demonstrierte ihm durch ein paar Rippenstöße und einen sehr nachdrücklichen Zug an dem Zügel, höchst begreiflich, daß es in einen groben Irrtum verfallen wäre. Das Pferd bestund auf seiner Meinung; der Reuter machte noch einen Versuch, es eines Bessern zu belehren; allein da seine Hartnäckigkeit aller Überzeugung widerstund und er doch, ohne der Wahrheit zu nahe zu treten, kein Haarbreit von seiner Meinung abgehn konnte, so ergriff er die klügste Partie, die ein Bekehrer wählen kann – er setzte ab, welches das Pferd sehr willig verstattete, ließ es mitten im Hofe stehen und ging auf dem geraden Wege nach dem Hause zu. Der Gastwirt war schon voran.

      Ein Bedienter, dem der letztre die Ursache seiner Ankunft zu melden aufgetragen hatte, trat in das Zimmer und bestätigte Selmanns Vermutung. Er befahl, den Fremden sogleich hereinzuführen, der sich lange weigerte und um nichts als sein Taschenbuch bat, das Selmann abends vorher zu sich genommen hatte. Endlich kam er, und der Hauptmann besuchte den Kutscher im Pferdestalle.

      Die erste Frage, die Selmann an ihn tat, betraf sein letztes Abenteuer im Gasthofe. »Warum zitterten, warum schrien Sie?« fragte er.

      Lange


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