Die wichtigsten Werke von Johann Karl Wezel. Johann Karl Wezel

Die wichtigsten Werke von Johann Karl Wezel - Johann Karl Wezel


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–, lange besann sich Stesichorographus, legte das Kinn auf die linke Hand und klemmte die Nasenspitze zwischen die zween ersten Finger der Rechten, rieb an der Stirne, grunzte, druckte beide Backen mit der linken Hand zusammen – und wenn er sich obendrein auf den Dreifuß des Apollo gesetzt hätte – ich glaube, es wäre umsonst gewesen. Er konnte sich schlechterdings nicht besinnen, wen und was Selmann meinte.

      Endlich – schlug er mit der geballten Faust an die Stirn, und – nun wußt er's. »Wie könnt es anders sein?« schrie er mit hohlem keuchendem Tone. »Die Boshafte wagte es sogar, mich anzugreifen. Wollte der Himmel, dies ganze widerwärtige Geschlecht hätte nur einen Kopf, daß ich's mit einem Streiche aus der Welt schaffen könnte.«

      »Das schöne Geschlecht?«

      »Das schöne? – Sagen Sie, das häßlichste, das abscheulichste, das auf einem Planeten anzutreffen ist! Meine ganze Natur gerät in Aufruhr, wenn ich nur ein Geschöpf von fern sehe, das dazu gehört; und bedenken Sie nur! ich saß damals ganz ruhig in dem Wirtshause,« so kömmt auf einmal ein solches Ungeheuer auf mich zugerennt; ich flüchte, aber sie setzt mir nach – ich bin niemals in so einer Angst gewesen – ich zitterte am ganzen Leibe – ich schwitzte – ich war nicht bei mir vor Entsetzen. – Keinen Augenblick konnte ich länger im Hause bleiben. Um Mitternacht sattelte ich mein Pferd und ritt fort.«

      »Und wie konnten Sie sich heute wieder in das Haus wagen?«

      »Aus Liebe zu meinem Taschenbuche, das ich in der Eilfertigkeit vergessen hatte. Ich vermißte es gleich den Morgen darauf. Ich ging lange mit mir zu Rate. Ich konnte mich nicht entschließen, wieder dahin zu gehn, bis heute; länger könnt ich's nicht entbehren. Es enthält meinen ganzen Reichtum.«

      In dem Augenblicke versammelten sich eine Menge Ursachen in Selmanns Kopfe, die alle diesen Frauenzimmerhaß bei dem Herrn Stesichorographus bewirkt haben wollten: Er ist in der Liebe unglücklich gewesen, sagte eine; Frauenzimmer haben ihn durch das Spiel zugrunde gerichtet, rief eine andre; eine dritte: Er ist durch venerische Ausschweifungen um seine Gesundheit gekommen; nein, fiel eine vierte ins Wort, das zu denken ist wider die Menschenliebe. Es ist natürlicher Instinkt.

      Sie logen alle, wie sich gleich zeigen wird.

      »Wie ist aber diese Abneigung, dieser Haß bei Ihnen entstanden?« fragte ihn Selmann.

      »Wodurch er bei jedem rechtschaffnen Manne entstehen sollte – aus dem Anblicke ihrer Torheiten. Haben Sie noch eine gesehn, die nicht vom Morgen bis zum Abend so viele Torheiten als Schritte tat? Sie denken nicht; sie handeln nicht; was Vorurteil und Eigensinn ihnen eingeben, das tun sie, so mechanisch als mein Pferd. Sie sind Kinder bis ins Grab; und unmöglich können sie ein Werk der Natur sein, oder sie hat sie in der Laune gemacht, in welcher sie Skorpione und Taranteln hervorbrachte. Eitelkeit, dummer Stolz, Spottsucht, unwissende Selbstklugheit, Üppigkeit, Geilheit, das sind die gewöhnlichen Ingredienzen zu ihrem Charakter. Kann ein denkender, vernünftiger, weiser Mann ein solches undenkendes, unvernünftiges, niedriges Geschlecht lieben, nur dulden? Muß er es nicht verachten, hassen, fliehen?«

      Der Schweiß brach ihm aus, so hatte ihn diese Lobrede erhitzt.

      »Ist denn dieser Haß von Ihren ersten Jahren an gewesen?« erkundigte sich Selmann weiter.

      »So lang ich existiere, im Mutterleibe schon«, sagte er und warf sich schnaubend in einen Stuhl.

      Mit Erlaubnis des Herrn Stesichorographus, daß ich die Sache ein wenig besser wissen darf! Der terminus a quo war höchst unrichtig angegeben und nur halbrichtig die Ursache. Ich weiß es zuverlässig, daß bis in sein fünfundzwanzigstes Jahr das schöne Geschlecht ihm nicht den zehnten Teil so häßlich und hassenswürdig geschienen hat. In seinem neunten hat er noch seine Schwester geküßt, als sie den Neujahrwunsch lobte, den er ihr zu Ehren verfertigt hatte. Der Grund zu seinem Hasse wurde in den ersten Jahren gelegt. Seine Sonderbarheiten, die an Leib und Seele von Kindheit auf sich bei ihm offenbarten, reizten die Lachbegierde der Frauenzimmer. Jede spottete über ihn; er war empfindlich, und bei dem geringsten mißfälligen Worte ließ er die lächerlichsten Äußerungen des Zornes merken. Man lachte noch mehr und jagte ihn in den Zorn, um über ihn zu lachen. Freilich waren es nicht die verehrungswürdigsten ihres Geschlechtes, die ihn so grausam behandelten; allein bei einer so lebhaften Empfindung des Lächerlichen, wie Frauenzimmer haben, wäre es einem weiblichen Cato unmöglich gewesen, den Herrn Stesichorographus handeln zu sehn und nicht zu lachen. Um ihrem Spotte zu entgehen, floh er sie. Sein unbeschränkter Ehrgeiz und die grenzenloseste Ruhmsucht zwangen ihn, seine reifern Jahre ganz in der Einsamkeit bei Büchern zuzubringen; er studierte sich krank und studierte immer fort, bis zuletzt der ganze Stesichorographus in Hypochonder sich verwandelte und gewiß in dem ganzen hypochondrischen gelehrten Europa nach dem Magister Bernd den zweiten Rang behaupten konnte, wo er nicht gar jenem den ersten streitig machte. Alle seine ehemaligen Sonderbarheiten, die mit der Ebbe und Flut seiner Säfte sonst abwechselten, setzten sich nunmehr fest; die ehmals am häufigsten wiedergekommnen Grillen wuchsen als Grundsätze in seiner Seele an; die ehmaligen widrigen Empfindungen wurden zu habituellen Leidenschaften, und die ganze bösartige Materie seines unglücklichen Körpers warf sich auf den Teil, wo sein Zorn über die Beleidigungen des weiblichen Geschlechts lag. Er sah die Torheiten dieses Geschlechts, empfand sie vielleicht bisweilen und sah und empfand sie allzeit unter einem Vergrößerungsglase. Alle die gewaltsamen Wirkungen, die der Anblick eines Frauenzimmers in ihm verursachte, mochten anfangs gemeinschaftliche Wirkungen seines Hasses und der Einbildung sein; mit der Zeit wurden sie durch die Assoziation der Ideen und der Empfindungen, die bei beiden in Hypochondristen ungemein lebhaft und daurend ist, zu nie ausbleibenden körperlichen Gefühlen, die nichts als eine noch stärkere sinnliche Empfindung oder eine heftige Leidenschaft hinderte, welches bei ihm Ehrgeiz und Lobsucht war.

      Selmann, der weder an Verachtung noch Haß gegen den Menschen überhaupt und ebensowenig insonderheit gegen das andre Geschlecht krank lag, sondern Torheiten und Gebrechen an dem Menschen scharfsichtig bemerkte, um immer nachsichtiger gegen sie zu werden, kurz, der so sehr ein mitleidiger Menschenfreund als Stesichorographus ein strenger Misanthrop war – Selmann, sage ich, wurde durch die rohe Deklamation dieses Mannes ein wenig beleidigt, wie ein Mann von seiner Art es werden kann, das heißt, er wurde aus der ruhigen Fassung, mit welcher er dies Original beobachten wollte, herausgerissen und unvermerkt in Feuer für die gerechte Sache gesetzt. »Die Frauenzimmer«, sagte er in seiner Schutzrede für das andre Geschlecht, »sind durch die Anlage ihrer Körper und ihrer Seelen einer größern Gefahr der Torheit ausgesetzt als wir; aber man leite sie recht, so wird sie ebendieselbe Anlage auch zu viel größern Vollkommenheiten fähig machen. Sie bleiben Kinder bis ins Grab, sagen Sie – ja in einem gewissen Verstande; sie bleiben beständig, wie Kinder, geschmeidig, lassen sich noch immer biegen, wenn man uns schon nicht mehr bewegen kann; bei allen Torheiten, zu welchen sie Erziehung und Mode zwingen, sind sie so demütig, zu gestehen, daß es Torheiten sind; und also besteht der ganze Unterschied zwischen uns und ihnen darinnen – sie begehen Torheiten und geben es dafür aus; wir begehen Torheiten und nennen es Weisheit. Sie sind die Zierde ...«

       Inhaltsverzeichnis

      Fräulein Kunigunde trat bei diesen Worten mit einem Papiere in der Hand zur Türe herein, wie die Göttin des Friedens in ein weißes Negligé gekleidet, das ein Kurier zu Pferde hatte holen müssen; und Selmann trat bei ihrem Eintritte vom Rednerstuhle ab, um sie zu bekomplimentieren. Stesichorographus rieb sich noch immer die Stirne, wie ein Mann, der widerlegt wird und gern allein Recht hat, und machte bei ihrer Erblickung Anstalten zur Flucht, als die Nymphe ihren schönen Mund öffnete und, indem sie Selmannen das Papier vorhielt, entzückt hinzusetzte: »Sagen Sie mir, was für ein göttliches Genie hat diese Schrift hervorgebracht! Nie hätte ich in dem schmutzigen Taschenbuche, das Sie mir gegeben haben, solche englische Sachen gesucht.«

      Stesichorographus, der seinen ganzen Körper schon in eine fliehende Positur gesetzt hatte, zog bedächtlich den linken Fuß wieder zurück, als er dieses hörte. Niemanden als ihm konnte nach seiner Voraussetzung ein Taschenbuch zugehören, worinne göttliche


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