Seewölfe - Piraten der Weltmeere 45. Burt Frederick
das Messer in seinem Gürtel. Dann packte er mit zu, als drei Männer herbeieilten. Mit kräftigem Schwung warfen sie die beiden Toten über Bord. Den klatschenden Aufschlägen der leblosen Körper folgte eine bedrückende Stille.
Sir John nutzte den Moment, um seine Ansprache fortzusetzen.
„Herhören, Männer!“ Er wandte sich halb in Richtung Bug. „Ich meine vor allem euch, von der Crew der ‚War Song‘. Euer Bootsmann hat sich ein bißchen vergaloppiert. Aber ich nehme ihm das nicht weiter krumm. Er konnte die Dinge nicht überblikken und die wahren Hintergründe nicht erkennen. Für mich ist es deshalb verständlich, daß er den Bastarden von der ‚Isabella‘ auf den Leim gegangen ist. Ich werde später darüber befinden, ob und wie er dafür zur Verantwortung gezogen werden soll. Im Augenblick zählt nur eins: das zu tun, was zu tun im Sinne Ihrer Majestät das Richtige ist. Deshalb übernehme ich ab sofort wieder das Kommando über dieses Kriegsschiff. Wenn einer von euch etwas dagegen einzuwenden hat, dann soll er sich jetzt zu Wort melden.“
Sir John blickte auffordernd in die Runde. Die Männer auf dem Vordeck und auf dem Deck der Kuhl wechselten halblaute Worte. Aber schon an ihren Gesichtern las Killigrew ab, daß seine Rede nicht die beabsichtigte Wirkung verfehlte. Was den Bootsmann betraf, hatte er sich generös gezeigt, und das war genau der Punkt, der für die Crew der „War Song“ entscheidende Bedeutung hatte.
Überdies fühlte sich Sir John in seiner Eigenschaft als General-Kapitän von Cornwall immer noch als Autorität, was letztlich auch für die Crew ausschlaggebend war.
Keiner der Männer hob die Hand, niemand sprang protestierend auf.
Sir John Killigrew lächelte zufrieden. Es gab ein weiteres entscheidendes Moment in seinen Überlegungen, wobei er sich jedoch hütete, darüber ein Wort zu verlieren. Dieser Bootsmann war ein brauchbarer Kerl, und mit seinen seemännischen Fähigkeiten stach er jeden einzelnen der Killigrew-Männer aus. Sir John hatte das Gefühl, daß er diesen Mann noch gut brauchen konnte. Denn für das, was er sich vorgenommen hatte, war ein erfahrener Mann mehr als Gold wert.
Der alte Killigrew konnte nicht ahnen, daß er später einmal versucht sein würde, sich wegen dieser Entscheidung selbst ein Ohr abzubeißen.
„Sperrt ihn in eine Kammer im Achterkastell“, befahl er, indem er auf den bewußtlosen Sullivan deutete. „Sobald ich Zeit dafür habe, werde ich mich um ihn kümmern.“
Während vier Männer den Bootsmann wegschleiften, gab Sir John seine ersten Befehle an die Crew. Und beruhigt nahm er zur Kenntnis, daß seinen Anordnungen prompt Folge geleistet wurde.
Er ließ ankerauf gehen, scheuchte seine eigenen Männer vom Deck des Achterkastells hinunter auf das Deck der Kuhl und brachte sie auf Trab.
Sir John ließ alle Segel setzen und forderte den Segelmacher und seine Helfer auf, ihre Arbeit schleunigst fortzusetzen. Der Rudergänger zeigte, daß er sein Handwerk verstand. Trotz des dürftigen Notruders schwang die „War Song“ in einem geradezu eleganten Bogen herum. Wellen klatschten gegen die Bordwand, und in feinen Schleiern sprühte Gischt über das Vorschiff. Die Rahen knarrten ächzend. Kurz darauf standen die Segel voll, und die Karavelle gewann Fahrt.
Bei raumem Wind segelte die „War Song“ über Backbordbug nach Westen mit Kurs auf Falmouth.
Die Männer von der Stammcrew der Karavelle wagten nicht, sich gegen den Kurswechsel aufzulehnen. Sie hatten sich damit abgefunden, daß der alte Killigrew wieder den Ton angab, und sie rechneten nicht mehr damit, daß sich daran noch etwas ändern würde. Was er mit dem neuen Kurs beabsichtigte, war für jeden an Bord der „War Song“ eindeutig:
Sir John würde in Falmouth reparieren und dann die Verfolgung der „Isabella“ wieder aufnehmen.
In den Morgenstunden des 15. Februar 1580 lief die „War Song“ in den Hafen von Falmouth ein. An Land versammelte sich rasch eine Menschenmenge, während die Karavelle mit aufgegeiten Segeln an der Pier festmachte. Zwar waren die Notsegel inzwischen durch neues Tuch ersetzt worden, aber noch immer erinnerte das jammervolle Aussehen des Schiffes frappierend an ein von Wunden entstelltes Kriegsroß, das seine letzte Schlacht mit knapper Mühe lebend überstanden hatte.
Niemand unter den Neugierigen konnte wissen, daß die „War Song“ ihren Fortbestand einzig und allein der wohlkalkulierten Rücksicht ihrer Gegner verdankte. So gab es auch niemanden, der das würdevolle Gebaren Sir John Killigrews spöttisch belächelte. Nach außen hin war er der erfahrene Kapitän, der es offenkundig geschafft hatte, seine Männer und sein Schiff in einem mörderischen Gefecht bestehen zu lassen. Den wahren Sachverhalt kannte hier in Falmouth mit Sicherheit kein Mensch.
Breitbeinig, die Fäuste in die Hüften gestimmt, baute sich Sir John auf dem Deck des Achterkastells auf, und seine Donnerstimme war bis in die nahegelegenen Hafengassen zu hören.
„Beiboot abfieren! Trossen und Taljen klarieren! Anker fünfzig Yards nach Backbord ausbringen! Los, los, bewegt euch, ihr faulen Hunde! An die Kojen braucht ihr vorläufig nicht zu denken! Wir arbeiten Tag und Nacht durch, bis dieses Schiff wieder ein Prachtstück ist!“
Die Männer quirlten durcheinander. Die Mitglieder der Stammcrew zeigten Bereitwilligkeit und gaben dort die notwendigen Handreichungen, wo Killigrews Leute nicht auf Anhieb zurechtfanden. Sir John registrierte es mit Genugtuung. Es bestärkte ihn in seinem Stolz und gab ihm das Gefühl, daß seine Autorität kein bißchen angekratzt war.
Im Handumdrehen wurde das Beiboot zu Wasser gelassen. Sechs Mann pullten den Anker, dessen Trosse mittschiffs in Höhe des Schanzkleides durch eine Talje geschoren wurde, auf das Hafenbecken hinaus. Die Trosse wurde noch einmal durch eine Talje am Roring geschoren und anschließend zurück zur Talje an Bord geführt, nachdem sie den Anker ausgeworfen hatten.
Sir John ließ die Männer mit dem Beiboot längsseits in Wartestellung gehen.
„Zweite Trosse unter den Großmars!“ befahl er.
Zwei Mann aus der Stammcrew hasteten hinauf, daß es eine Freude war, ihnen zuzusehen. Der eine war groß, strohblond, breitschultrig, mit Muskeln bepackt, der andere einen halben Kopf kleiner, drahtig und gewandt wie eine Raubkatze. Die beiden arbeiteten geschickt und waren zweifellos gut aufeinander eingespielt.
Sir John beschloß, sich jeden Mann aus der Crew der „War Song“ nach und nach einzuprägen. Es würde sich auszahlen, wenn er die Eigenarten und die besonderen Fähigkeiten jedes einzelnen kannte.
Nachdem sie die zweite Trosse durch eine Talje unmittelbar unter dem Großmars geschoren hatten, scheuchte Sir John vier Mann mit der Trosse an Land und ließ sie an einem Poller in Höhe des Großmastes belegen. Als die Trosse mehrmals durch die Taljen geschoren worden war, ließ Sir John die Steuerbordleinen losmachen. Auf sein Kommando begannen die Männer am Handläufer der Ankertrosse mit ihrer schweißtreibenden Arbeit.
Langsam löste sich die „War Song“ von der Pier. Mit lautem „Hoool weg“ und „Hau-ruck“ brachten sich die Männer am Handläufer selbst in den richtigen Arbeitsrhythmus.
Sir John ließ die Karavelle auf diese Weise etwa zehn Yards nach Backbord verholen. Die Ankertrosse wurde festgezurrt.
„Ihr seid an der Reihe!“ brüllte der alte Killigrew zu den Männern am Poller hinüber.
Willig packten sie zu. Die Trosse, die schräg zum Großmars hinaufführte, straffte sich. Kurz darauf begann das Holz des Großmastes verdächtig zu knarren. Die Männer an Deck warfen die Köpfe in den Nakken und blickten mit zusammengepreßten Lippen zum Großmars, als erwarteten sie jeden Moment, daß der Mast unter der Zugkraft der Trosse zu splittern begann. Aber das protestierende Knarren des Holzes verlor sich, je größer die Belastung wurde.
Dann krängte die „War Song“ allmählich nach Steuerbord. Sir John begab sich an die Backbordbalustrade des Achterkastells und warf einen prüfenden Blick in die Tiefe. Die Lecks befanden sich knapp oberhalb der Wasserlinie. Die Hurensöhne an den Kanonen der verdammten „Isabelle“ hatten Maßarbeit geleistet. Das mußte Sir John trotz allem anerkennen. Er wartete, bis die Karavelle soviel Schlagseite hatte, daß sich die Lecks etwas drei