Die Zigeuner-Prinzessin. Barbara Cartland
Die Zigeuner-prinzessin
Barbara Cartland
Barbara Cartland E-Books Ltd.
Vorliegende Ausgabe ©2015
Copyright Cartland Promotions 1985
Gestaltung M-Y Books
1
„Das dürfte der beste Portwein sein, den du mir je vorgesetzt hast, Fabius“, bemerkte Captain Charles Collington.
„Freut mich, daß er dir schmeckt“, erwiderte der Marquis von Ruckley. Man hätte sich keinen eleganteren und besser aussehenden Mann vorstellen können als ihn. Sein Halstuch war auf die unnachahmliche Art geschlungen, die den Neid der Dandys von St. James erregte, wobei die Spitzen seines hohen Kragens bis zu dem festen, energischen Kinn reichten.
„Mein Vater hat genügend Voraussicht an den Tag gelegt, ein Faß dieses speziellen Weines einzulagern, der meiner Meinung nach jetzt reif zum Trinken ist“, fuhr der Marquis fort.
Captain Collington lachte und meinte: „Es gab eine Zeit, da hätten wir jeden auch nur einigermaßen genießbaren Wein getrunken, gemessen an dem unvorstellbaren Fusel, den wir bei der Armee in Portugal bekommen haben.“
„Wir waren froh, wenn wir überhaupt eine Flasche fanden“, stellte der Marquis trocken fest. „Ich bin heute noch überzeugt davon, daß die Bauern ihre Vorräte vor uns versteckt haben.“
„Und ob sie das getan haben“, stimmte der Captain zu. „Hättest du an ihrer Stelle anders gehandelt, wenn eine fremde Armee im Begriff wäre, dein Land leer zu trinken?“
Der Marquis schenkte sich noch ein Glas ein und reichte seinem Freund die Kristallkaraffe.
„Ob du es glaubst oder nicht, ich habe schon manchmal bedauert, nicht mehr in der Armee zu sein, Charles.“
„Du meine Güte, wie kannst du nur“, rief Charles Collington entsetzt, „nach acht Jahren in der Armee stehe ich nicht an zuzugeben, daß ich mehr als genug davon habe.“
„Willst du dich freikaufen?“
„Ich würde es gern, andererseits fehlen mir die Mittel, um mich dem süßen Nichtstun hinzugeben.“
„Mit anderen Worten gesagt, hast du Angst, dein Geld beim Spielen und Trinken zu verschwenden“, erklärte der Marquis. „Nichts ist kostspieliger als Nichtstun, wie du sehr wohl weißt.“
„In dieser Richtung sind auch meine Überlegungen verlaufen.“
„Ich habe ebenfalls nachgedacht“, fuhr der Marquis fort, „nicht weil ich mir das Nichtstun nicht leisten könnte, sondern weil es so verdammt langweilig ist.“
„Übertreibst du da nicht ein bißchen, Fabius? Du besitzt riesige Ländereien, erstklassige Rennpferde, bist der Stolz jedes Clubs und giltst als der beste Schütze Englands. Was willst du eigentlich mehr?“
Einen Augenblick lang herrschte Schweigen, bis der Marquis sagte: „Ich glaube nicht, daß das genügt.“
„Sehnst du dich vielleicht nach Liebe?“ fragte sein Freund behutsam.
„Du lieber Himmel, nein, gewiß nicht.“
„Es kam mir auch ein bißchen unwahrscheinlich vor“, gestand der Captain lachend. „Dazu siehst du einfach zu gut aus. Ein Lächeln genügt, und jede Frau ist bereit, sich dir in die Arme zu werfen oder mit dir zum Traualtar zu gehen.“
Der Marquis antwortete nicht. Zwischen seinen Augen bildeten sich zwei steile Falten, als er nachdenklich in sein Glas blickte. Er wußte sehr wohl, daß er als eine der erstrebenswertesten Partien galt. Seit Ende des Krieges hatte er einen Großteil seiner Zeit in London verbracht und sich in unzählige Liebesaffären verstrickt. Obwohl darüber naturgemäß viel geredet worden war, hatte es nie einen öffentlichen Skandal gegeben, sei es, weil der Marquis außerordentlich diskret verfahren war, oder weil die Damen seiner Wahl großzügige Ehemänner hatten.
Wie es in seinen Kreisen der Brauch war, hielt der Marquis eine Maitresse aus und war ein gern gesehener Gast in den teuersten nächtlichen Vergnügungsstätten. Und dabei zeichnete ihn gleichzeitig eine gewisse Zurückhaltung oder besser gesagt Distanz aus, die den Frauen aller Gesellschaftsklassen das Gefühl vermittelte, im Grunde genommen nicht gut genug für ihn zu sein.
Die bezaubernden Mitglieder des Balletts, denen die Dandys von St. James den Hof machten, nannten den Marquis hinter seinem Rücken den „hochmütigen Lord“, und es war typisch, daß keiner seiner Freunde den Mut aufbrachte, ihm seinen Spitznamen mitzuteilen.
Captain Collington betrachtete nachdenklich seinen Freund. Unwillkürlich drängte sich ihm der Gedanke auf, daß der Marquis während seiner Zeit in der Armee tatsächlich weit sorgloser und glücklicher gewirkt hatte als in diesem Augenblick.
„Ich weiß, was dir fehlt, Fabius“, sagte er unvermittelt. „Du solltest heiraten.“
„Heiraten?“
Der Ton des Marquis zeigte deutlich, wie sehr ihm diese Vorstellung mißfiel.
„Wir sind beide siebenundzwanzig Jahre alt und können uns somit bereits zur reiferen Jugend zählen“, fuhr der Captain fort. „Die nächste Generation ist bereits angetreten, um uns die Erbinnen wegzuschnappen.“
„Die meisten dieser jungen Burschen würden meilenweit laufen, sobald der erste Schuß fällt“, erklärte der Marquis verächtlich.
„Ich finde, du übertreibst etwas“, protestierte Charles Collington, „wenn ich auch zugeben muß, daß einige von ihnen ziemlich unerwachsen wirken. Kein Zweifel, daß die Menschen im Krieg schneller altern.“
Der Marquis lächelte, was seinem Gesicht einen verwegenen Anstrich gab, den es im Ruhezustand nicht hatte. „Wenn ich dich recht verstanden habe, glaubst du, daß die Ehe eine Kur gegen alles ist.“
„Das habe ich nicht behauptet“, sagte der Captain. „Ich habe sie nur als Alternative gegen deine Langeweile vorgeschlagen.“
Der Marquis warf den Kopf zurück und lachte.
„Dann wäre die Therapie wohl schlimmer als das Leiden. Kannst du dir vorstellen, für alle Zeiten an eine Frau gebunden zu sein?“
„Es mag dir gefallen oder nicht, auf jeden Fall brauchst du einen Erben.“
„Du denkst an Jethro“, stellte der Marquis fest, der plötzlich ernst geworden war.
„Allerdings, das tue ich“, erwiderte sein Freund. „Du weißt vermutlich, daß er sich bis zum Hals in Schulden gestürzt hat auf die vage Chance hin, daß du im Krieg fallen könntest.“
„Das weiß ich, und wenn es etwas gab, was meinen Entschluß verstärkte, mir von Napoleons Truppen kein Loch durch den Schädel schießen zu lassen, dann war es die Vorstellung, daß sich Jethro dann als sechster Marquis in Ruckley breitmachen würde.“
„Dieser Gedanke ist allerdings unerträglich.“ Charles Collington leerte sein Glas, bevor er hinzufügte: „Trotzdem hat es wenig Sinn, wenn wir die ganze Nacht hier sitzen und über deinen unangenehmen Cousin nachdenken oder das Problem zu lösen versuchen, wie du deiner Langeweile Herr werden kannst. Sag mir lieber, wie wir den heutigen Abend totschlagen wollen.“
Der Marquis warf einen Blick auf die Uhr, die auf dem Kaminsims stand.
„Ich dachte, wir könnten nach Schluß der Vorstellung ins Opernhaus gehen. Es gibt dort eine rothaarige Schöne, die ich gern zum Souper ausführen würde.“
„Ich weiß, wen du meinst“, sagte Charles Collington. „Sie kommt aus Wien und sollte dir zumindest für einen Abend Gesellschaft leisten.“
„Wenn nur die Unterhaltung mit den hübschen Täubchen, besonders mit den ausländischen, nicht so mühsam wäre“, erwiderte der Marquis. „Du finden mich hübsch? Du schenken mir schöne Brosche, ja? Miete so schrecklich teuer“, imitierte er in gebrochenem Akzent. „Oh mein Gott, ich habe mir schon die ganze Skala angehört.“