Butler Parker 112 – Kriminalroman. Günter Dönges

Butler Parker 112 – Kriminalroman - Günter Dönges


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Butler Parker – 112 –

      In dieser Nacht wollten sie den endgültigen Beweis herbeischaffen.

      Tom Haley und Peter Ward hockten seit Stunden in den Steilklippen der Küste und sahen immer wieder hinunter in die Brandung. Dort beobachteten sie vor ein paar Tagen die beiden Seejungfrauen. Sie hatten sich ganz bestimmt nicht getäuscht, aber leider etwas vorschnell in der Dorfkneipe davon erzählt. Sie waren von ihren Freunden und Bekannten nach allen Regeln der Kunst durch den sprichwörtlichen Kakao gezogen worden. Doch jetzt wollten sie es wissen.

      Sie hatten sich mit einem großen, grobmaschigen Fischernetz bewaffnet, mit dem sie wenigstens eine der Seejungfrauen an Land ziehen konnten. Sie freuten sich schon jetzt auf die Sensation, die ihr Fang hervorrief. Es war für sie klar, daß die geheimnisvollen Wesen auch in dieser Nacht wieder aus der See auftauchten.

      »Ob das noch was wird?« fragte Tom Haley skeptisch, als sich auch nach Stunden immer noch nichts tat.

      »Die kommen«, behauptete Peter Ward hartnäckig, »die Brandung hat sich beruhigt. Sie werden bestimmt auftauchen.«

      Tom Haley wollte antworten, doch genau in diesem Augenblick machte er eine Entdeckung, die ihn förmlich elektrisierte. Im Wasser trieb ein Gegenstand, den man auf den ersten Blick für ein Stück Treibholz halten konnte. Doch es war kein Treibholz, es handelte sich um einen Menschen, dessen Arme jetzt deutlich auszumachen waren. Die Gestalt wurde um einen mächtigen Felsklotz gespült, der wie ein Turm in der Brandung stand. Sie arbeitete sich dann mit kraftvollen Kraulschlägen an den schmalen Sandstreifen heran, der unten zwischen den Steilklippen zu sehen war.

      »Da ist eine«, stieß Tom Haley hervor. »Mann, Peter, da ist eine!«

      »Schon gesehen«, erwiderte Peter Ward, »komm’, wir steigen weiter runter!«

      Sie kannten sich in den Klippen aus und fürchteten nicht die Dunkelheit. Zudem gab der Mond ausreichend Licht. Auf dem Wasser lag ein silbriger Schein, der bis hinauf in die Klippen wirkte. Schnell und geschmeidig stiegen die beiden jungen Männer weiter nach unten. Das Jagdfieber hatte sie erfaßt.

      Das seltsame Wesen brauchte einige Minuten, bis es die Brandung endgültig überwunden hatte. Zu dieser Zeit standen Tom Haley und Peter Ward bereits neben dem »Nußknacker«, einem bizarr geformten Felsen, der von der See tief ausgewaschen worden war. Die Höhlungen in diesem Felsen hatten eine Art Gesicht geformt, das an das eines riesigen Nußknackers erinnerte.

      Das Wesen aus der See hatte das relativ stille Wasser hinter dem Nußknacker erreicht. Es saß auf einem tischartigen Felsen und war im Mondlicht deutlich zu erkennen.

      Nein, sie hatten sich wirklich nicht getäuscht!

      Das dort war eine Seejungfrau. Ihr Oberkörper war nackt und zeigte feste Brüste. Das triefend nasse Haar fiel über die Schultern und war mit Seetang vermischt. Der Unterleib ging in einen schuppenartigen Fischkörper über, der in einer kräftigen Schwanzflosse endete. Dieses unheimliche Wesen strähnte sich das Haar mit seinen gespreizten Fingern, bewegte den fischartigen Leib und zog ihn noch weiter hoch auf den Felsen.

      »Sagenhaft«, flüsterte Tom Haley.

      »Ich kann’s kaum glauben«, gab Peter Ward fast andächtig zurück, »’ne echte Seejungfrau. Mann, werden die im Dorf Augen machen!«

      »Warten wir noch auf die zweite?«

      »Eine reicht vollkommen, Tom. Los, wir müssen sie erwischen, bevor sie wieder abhaut!«

      Die beiden jungen Männer hatten sich vorher alles genau überlegt. Einzelheiten brauchten sie nicht mehr zu besprechen. Sie nickten sich zu und rannten aus ihrem Versteck, hielten das flatternde Netz zwischen sich und hetzten ins seichte Wasser. Die Beute war ihnen so gut wie sicher.

      Sie hatten wirklich eine echte Chance, die Seejungfrau ins Netz zu ziehen, denn sie drehte ihnen den Rücken zu, sah auf die See hinaus und schien keine Ahnung zu haben, in welcher Gefahr sie schwebte. Von der drohenden Nähe der beiden Männer hatte sie nichts bemerkt.

      Sie war jetzt in allen Einzelheiten genau zu erkennen. Es handelte sich tatsächlich um ein Fabelwesen, halb Mensch, halb Fisch. Die seltsame, faszinierende Gestalt, die aus den unergründlichen Tiefen des Meeres stammte, wandte sich plötzlich langsam um, sah die beiden heranjagenden Männer und ... lächelte auf geheimnisvolle Weise. Erschrecken zeigte dieses Fabelwesen überhaupt nicht. Das Lächeln war lockend und vielleicht auch ein wenig melancholisch.

      Tom Haley und Peter Ward waren bereits bis zu den Oberschenkeln im Wasser der auslaufenden Brandung. Sie ahnten nicht, daß der Tod bereits nach ihnen griff.

      *

      Lady Agatha Simpson saß vor ihrer elektrischen Schreibmaschine und sah das weiße, unbeschriebene Blatt beschwörend an. Sie wartete schon seit gut einer halben Stunde darauf, von der Muse geküßt zu werden. Bisher hatte ihr die Muse diese Gunstbezeigung allerdings hartnäckig verweigert.

      Die große, etwas zu Fülle neigende Dame arbeitete bereits seit einigen Monaten an dem Bestseller, den sie schreiben wollte. Lady Agatha hatte die feste Absicht, eine gewisse Agatha Christie weit in den Schatten zu stellen. Sie hielt es für selbstverständlich, daß ihr das gelang.

      Hinderlich an diesem Vorhaben war vielleicht die Tatsache, daß sie sich nicht auf ein bestimmtes Thema zu konzentrieren vermochte. Zu viele Ideen befanden sich in ihrem Kopf.

      Lady Agatha Simpson war schon eine recht bemerkenswerte Dame. Verwandt und verschwägert mit dem Blut- und Geldadel Englands, immens reich und Witwe, konnte sie sich jede gewünschte Extravaganz leisten. Auf dem glatten Parkett der Gesellschaft bewegte sie sich ebenso sicher wie in der Unterwelt. Bissig meinte sie ungeniert, daß es da kaum Unterschiede gab.

      Ihre oft ruppige Offenheit paßte ausgezeichnet zu ihrem Aussehen.

      Lady Agatha erinnerte an die Walküre einer Wagneroper. Sie war eine stattliche Erscheinung und bewegte sich auf großen Füßen, die meist in bequemen und ausgetretenen Wanderschuhen steckten. Mit Vorliebe trug sie Chanel-Kostüme, die durchweg recht ausgebeult wirkten.

      Ihr weißes Haar war meist in neckische Locken gelegt, die keineswegs zu den kühl dreinschauenden Augen paßten. Unter einer Art Adlernase befand sich ein auffallend großer Mund, der gefährlich schmal werden konnte.

      Die Dame, die auf die sechzig Jahre zuging, war noch ungewöhnlich rüstig und unternehmungslustig. Und kriegerisch dazu war sie ebenfalls. Man konnte sie leicht reizen und in Schwung bringen. War das mal geschehen, ließ sie sich kaum noch aufhalten oder gar bremsen. Der kleine, perlenbestickte Pompadour an ihrem linken Handgelenk konnte dann zu einer beeindruckenden Waffe werden.

      Lady Agatha kämpfte vor der Schreibmaschine mit ihrer Unlust. Sie hatte die Suche nach dem ersten Satz ihres Romans bereits aufgegeben und sehnte sich nach Abwechslung. Ihr stand im Moment wieder mal der Sinn nach einem netten, komplizierten Kriminalfall. Sie war nämlich Detektiv aus Leidenschaft und auf diesem Gebiet recht erfolgreich. Was wohl mit einem Mann zusammenhing, der sich Josuah Parker nannte.

      Der Butler erschien wie auf ein Stichwort hin im Arbeitszimmer der Lady, nachdem er vorher diskret angeklopft hatte.

      »Du lieber Himmel, Mister Parker, müssen Sie denn immer stören?« fragte Agatha Simpson gereizt. »Gerade wollte ich den ersten Satz schreiben.«

      »Mylady mögen die kleine Störung gütigst entschuldigen«, schickte Parker gemessen voraus, ohne sich aus der Ruhe bringen zu lassen. »Sir Edwards vom Geheimdienst Ihrer Majestät bittet um eine Unterredung.«

      »Aber doch nicht jetzt«, erregte sich Parkers Herrin. »Ich stecke mitten in meinem ersten Kapitel.«

      »Es scheint sich offensichtlich um einen Fall zu handeln, der Myladys Hilfe bedarf.«

      »Papperlapapp, Mr. Parker, mein Roman ist wichtiger.«

      »Sehr wohl, Mylady. Sir Edwards sollte sich demnach allein mit den Seejungfrauen befassen.«

      »Natürlich«, grollte Agatha Simpson, »machen Sie ihm klar, daß ich keine weiteren Fälle mehr übernehme. Mein Roman ist wichtiger als der interessanteste Kriminalfall.«

      »Wie


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