Zum Kontinent des eisigen Südens. Erich von Drygalski
Werth gelang es, im Ganzen über 13 Arten höherer Pflanzen zu sammeln, wovon bisher nur sechs bekannt gewesen sind, da die Insel noch niemals von einer Expedition betreten worden war.
Bidlingmaier nahm mit Ott magnetische Messungen vor. Die absoluten Bestimmungen der magnetischen Elemente litten bei dem vulkanischen Charakter des Gesteins augenscheinlich unter starken örtlichen Störungen.
Philippi hatte den vulkanischen Kegel besucht und ein junges Alter dafür konstatiert. Werth botanisierte und Vanhöffen sammelte Insekten und Würmer, die er reichlich fand und unter denen eine flügellose Fliege sein besonderes Interesse erregte, deren Umtaufung in »Gehe« des Mangels an Flügeln wegen angeregt wurde.
Mittlerweile fuhr der »Gauß« vor der Küste hin und her; Nebel zogen hin und wieder, die ihn bald unseren Blicken entzogen, bald wieder zeigten; zweimal rauschten Regenböen herab; der Wind umbrauste das Schiff und auch uns oben auf dem Plateau. Wenn die Nebel sich zusammenzogen, hörten wir das Schiff mit der Dampfpfeife locken, ohne dem aber Folge geben zu können, weil die Arbeit noch nicht beendet war.
Zu allgemeiner Befriedigung waren wir gegen 7 Uhr abends auf dem Schiff zurück, reich an Beute und des Erlebten froh. Sofort wurde der Kurs dann ostwärts auf die Kerguelen gesetzt. Bald war das Land außer Sicht.
Wir zehrten von der Insel, aber auch im eigentlichen Sinn des Wortes, indem Enten, Kormorane, Seeelephanten Bestandteile unserer Mahlzeiten bildeten.
Auch die Pinguine mussten ihr Leben lassen und wurden mit Beifall verzehrt. Sie hatten viele Steine im Magen, die sie wohl zur besseren Verdauung aufnehmen.
Am 27. Dezember loteten wir trotz starken Rollens, aufteigender Nebel und Regenböen und erzielten dabei ein interessantes Ergebnis, nämlich die besonders niedrige Bodentemperatur von + 0,2° und eine große Tiefe von etwa 4890 m, wodurch die wichtige Frage nunmehr in positivem Sinn entschieden wurde, dass zwischen den Crozetinseln und Kerguelen eine tiefe Mulde liegt, welche den antarktischen Wassern und kalten Temperaturen den Zutritt zu den Tiefen der indischen Tropenmeere gestattet.
Am 30. Dezember loteten wir überraschend schon geringere Tiefe und schlossen daraus, dass wir uns auf dem Kerguelensockel befanden, welcher also von dem Crozetsockel durch eine tiefe Mulde getrennt ist.
In der Nacht auf den 31. Dezember rollte das Schiff gewaltig. Ich war erst um Mitternacht zur Ruhe gekommen, weil ich die Sichtung der Kerguelen erwarten wollte, doch war von ihnen noch nichts zu sehen gewesen.
Um 5 Uhr morgens trat die Hauptinsel hervor, und zwar die Gegend des Weihnachtshafens an dem nördlichen Ende. Wir fuhren längs der Außenkante der Tange.
Am Nachmittag des 31. Dezember hatten wir die Insel in deutlicher Sicht. Wir erblickten im Hintergrund echt vulkanische Bergformen. Die Berge waren mit Schnee bedeckt. Um 9 Uhr abends fiel der Anker. In dieser Lage haben wir die Neujahrsnacht bei Punsch und Scherzen gefeiert, wie in der Heimat.
Das neue Jahr begann mit einem Sturm aus Süd, der uns verhinderte, dagegen in das Innere des Sundes zu fahren.
Gegen die Mittagszeit hatte der Wind abgeflaut, und der Anker konnte gelichtet werden. Wir fuhren nun in den Sund hinein und nahmen zunächst den Dreiinselhafen als Ziel, wo wir unsere Station oder doch eine Nachricht von ihr zu erwarten hatten. Er wurde gegen 8 Uhr abends erreicht. Als wir uns näherten, wurde auf deren Westseite eine weiße Flagge bemerkt. Unsere Sirene ertönte, erhielt jedoch keine Antwort, obwohl unser Zimmermann Reimers schon das Stationshaus, das Schiff, welches unsere Kameraden dort hingebracht hatte, und alle möglichen Insassen gesehen haben wollte. Als wir um die Ecke bogen, wurden wir gewahr, dass alles ein Trug war. Die Flagge wehte in einsamer Lage, doch von dem Schiff und der Station war nichts zu bemerken. Nur der Katzen-Insel gegenüber auf der Schweine-Insel sahen wir ein weiteres Zeichen früherer menschlicher Anwesenheit in Gestalt einer schwarz-weiß- roten Flagge, die über einem Gerümpel von Holz und anderen Trümmern menschlicher Tätigkeit stand.
Wir warfen nun zwischen den Inseln Anker und entsandten Lerche mit einem Boot, um die Flaggen auf ihre Bedeutung zu prüfen. Die weiße Flagge ergab trotz längeren Suchens nichts; aber neben der schwarz-weiß-roten lag eine leere, zugesiegelte Exportbierflasche mit einem weißen Zettel darin, die aufs Schiff gebracht und geöffnet wurde. Sie enthielt einen Brief von Herrn Enzensperger mit der Nachricht, dass unsere Kameraden bereits am 19. November die Insel mit dem Dampfer »Tanglin« erreicht, aber angesichts des trostlosen Anblicks dieses Dreiinselhafens und seiner Umgebung, welche wohl einen guten Stationsplatz, sonst aber nichts zu bieten versprach, sogleich weitergegangen seien in das Innere des Royal Sounds nach der Beobachtungsbucht, wo die englische Expedition 1874 den Durchgang der Venus vor der Sonnenscheibe beobachtet hatte. So war unser Zusammentreffen noch verzögert.
Bei schönem Wetter hatten wir durch ein Insellabyrinth, welches im Hintergrund die Schneeberge des Rossbergs und des Croziergebirges überragten, eine genussreiche Fahrt bis zur Beobachtungsbucht. Als wir uns dieser gegen drei Uhr nachmittags näherten, sahen wir dort ein weißes Haus; dann erschienen zwei Gräber, dann ein zweites Haus und dann ein großer Stapelplatz von Kohlen und Holz, endlich in einer langen Kette an einem Felsen lebhafte Gestalten, die sich durch ihr lautes Geheul als unsere Hunde vorstellten. Dann öffnete sich die Tür des einen Hauses, und hinaus stürzten drei Gestalten, lebhaft winkend und rufend und wie närrisch bis zum Strand hineilend, immer und immer wieder in Rufe ausbrechend, welche die große Freude über unsere späte, aber glückliche Ankunft kundgaben.
Im Augenblick war das Boot herunter und ebenso schnell von zahlreichen berufenen und unberufenen Insassen erfüllt. In wenigen Minuten waren wir mit unseren Freunden vereint.
Fragen drängten sich nun auf Fragen: woher unsere späte Ankunft, wir seien schon für verschollen gehalten, – wessen sind die Gräber – zwei Chinesen ruhen dort, die auf dem »Tanglin« gewesen und an Beriberi gestorben sind; fast die ganze Mannschaft des »Tanglin« habe diese Krankheit gehabt, daher große Schwierigkeiten mit der Ausladung, endlose Schwierigkeiten bei dem Ausbau der Station.
Das Wohnhaus stand schon und ebenso ein Beobachtungshaus, in welchem Luyken mit der Aufstellung der Instrumente beschäftigt war.
So folgten Erzählungen auf Erzählungen, bei denen uns dieser erste, wie noch mancher andere Abend dort in froher Runde vereint hat.
Auf den Kerguelen
Der Pan, eine Station auf den Kerguelen in Verbindung mit der deutschen Südpolarexpedition zu errichten, rührte im Wesentlichen noch von den älteren Entwürfen her, welche G. von Neumayer aufgestellt hatte. Wie bekannt, sollten nach diesen früheren Plänen zwei Schiffe gleichzeitig in die Antarktis vordringen, von denen das eine die Aufgabe hatte, eine Verbindung zwischen dem eigentlichen Polarschiff und der Heimat zu erhalten, und zwar durch Vermittlung einer Station auf den Kerguelen, welche zugleich mit größeren Vorräten an Kohlen und Proviant versehen sein sollte, um davon der südlicheren Abteilung durch das Verbindungsschiff immer mitteilen zu können. Die Kergueleninsel sollte mithin nicht allein den Ausgangspunkt der Expedition, sondern auch ein Verbindungsglied mit der Heimat bedeuten.
Als dieser Plan dann eingeschränkt und die Expedition nur mit einem Schiff ausgerüstet wurde, ist zunächst an eine Station auf den Kerguelen weniger gedacht worden.
Etwas anders stand es mit den wissenschaftlichen Aufgaben dieser Station, für welche die Frage war, ob es unbedingt notwendig sei, mit den Arbeiten in der Antarktis gleichzeitig magnetische und meteorologische Beobachtungen auf einer der Inseln des subantarktischen Meeres ausführen zu lassen, um dadurch ein wissenschaftliches Verbindungsglied zu haben, da die wissenschaftlichen Stationen der zivilisierten Welt von der geplanten deutschen Station in der Antarktis allzu weit entfernt lagen.
In dieser Beziehung stand die englische Expedition glücklicher da, indem sie ihre antarktischen Beobachtungen auf die Stationen Australiens und Neuseelands beziehen konnte, welche ihrem Arbeitsgebiet weit näher lagen als eine antarktische Station südlich des Indischen Ozeans von irgendeinem Observatorium der Kulturwelt. Noch günstiger war es hierin mit der schwedischen Expedition südlich von Amerika bestellt, zumal die Argentinische Republik sich auf gemeinsames Ersuchen Deutschlands und Englands entschlossen