Ausgewählte Werke von Selma Lagerlöf. Selma Lagerlöf

Ausgewählte Werke von Selma Lagerlöf - Selma Lagerlöf


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fragte sich, ob es wohl etwas anderes sei als eine Vision. Nie zuvor hatte er Menschen so gekleidet gesehen. Die Frauen hatten schwarze spitze Mützen auf dem Kopf, sie trugen kleine, weiße Pelzjacken, rosa Tücher um den Hals, grünseidene Taillen und schwarze Röcke, deren Vorderbahn mit weißen, roten, grünen und schwarzen Streifen quer durchzogen war. Die Männer hatten runde, niedrige Hüte, blaue Röcke mit rotumrandeten Säumen, gelbe Lederhosen, die bis an die Knie reichten und mittels roter, mit Quasten verzierter Strumpfbänder befestigt waren. Er wußte nicht, ob die Kleidung allein schuld daran war, aber er fand, die Leute hier sahen ganz anders aus als anderswo, viel vornehmer und stattlicher. Er hörte, daß sie miteinander sprachen, aber lange konnte er nichts verstehen. Er mußte an die seinen Trachten denken, die seine Mutter in ihrer Truhe hatte, und die niemand seit undenklichen Zeiten mehr hatte tragen wollen, und ihm kam der Gedanke, ob dies nicht etwa Leute aus der Vergangenheit seien, die in den letzten hundert Jahren nicht lebend auf der Erde gewandelt waren. Aber das war nur so ein Gedanke, der ihm durch den Kopf flog und gleich wieder weghuschte, denn er sah sehr wohl, daß es lebende Menschen waren, die er hier vor sich hatte. Die Sache war die, daß die Bevölkerung um den Siljansee in Sprache und Kleidung und im Wesen mehr von entschwundenen Zeiten bewahrt haben, als die Bewohner anderer Gegenden. Daher war er auf solche Gedanken gekommen.

      Der Junge bemerkte sofort, daß die Leute, die um das Feuer saßen, von alten Zeiten redeten. Sie erzählten, wie es ihnen in ihren jungen Jahren ergangen war, als sie lange Wege nach anderen Landschaften wandern mußten, um denen daheim durch ihre Arbeit Brot zu verschaffen. Er hörte mehrere Erzählungen, aber am besten entsann er sich später dessen, was eine alte Frau erlebt hatte.

      Moor-Kirstens Geschichte.

      »Vater und Mutter hatten einen kleinen Hof in Ostbürka, aber wir waren viele Geschwister, und die Zeiten waren schwer, so sah ich mich denn mit sechzehn Jahren genötigt, von Hause fortzugehen. Wir zogen von dannen, zwanzig junge Leute aus Rättvik. Es war im Jahre 1845, am 16. April, als ich zum ersten Mal nach Stockholm ging. In meinem Beutel hatte ich einige Brote, ein Kalbsvorderblatt und ein wenig Käse. Die ganze Reisekasse betrug vierundzwanzig Schilling. Die anderen Vorräte, die ich mitbekommen, hatte ich in den ledernen Sack gelegt, den ich mit einem Arbeitsanzug auf einem Bauernwagen vorausgeschickt hatte.

      So gingen wir denn alle zwanzig den Weg nach Falun. Wir pflegten fünf, sechs Meilen am Tage zurückzulegen, und wir erreichten Stockholm nach sieben Tagen. Das war etwas anderes, als sich in den Zug zu setzen, wie es die Mädchen heutzutage tun, und in acht, neun Stunden so überaus bequem dahinzufahren.

      Als wir in Kopenhagen einzogen, riefen die Leute einander zu: ›Seht, da kommt das Dal-Regiment.‹ Es klang auch so, als käme ein ganzes Regiment dahermarschiert, wenn wir auf unseren Schuhen mit den hohen Absätzen, in die der Schuster nicht weniger als fünfzehn große Nägel hineingeschlagen hatte, die Straße entlang gingen. Es geschah nicht selten, daß mehrere von uns strauchelten und fielen, weil wir nicht daran gewöhnt waren, auf den spitzen Pflastersteinen zu gehen.

      Wir zogen in das Dal-Wirtshaus, ›das weiße Roß,‹ das auch ›Södermalen‹ in der Stora Badstugata lag. Die Leute aus Mora wohnten in derselben Straße in einem Wirtshaus, das ›Store Krone‹ hieß. Nun handelte es sich ja darum, schleunigst Arbeit zu bekommen, denn von den vierundzwanzig Schillingen, die ich von Hause mitgenommen hatte, waren nicht mehr als achtzehn übrig. Eins von den anderen Mädchen sagte, ich solle zu einem Rittmeister gehen, der bei Hornstutt wohne, und nach Arbeit fragen. Dort blieb ich vier Tage; ich sollte in seinem Garten graben und pflanzen. Vierundzwanzig Schilling erhielt ich als Tagelohn; für Essen mußte ich selbst sorgen. Ich bekam nicht viel zu essen, aber die kleinen Mädchen meiner Herrschaft, die sahen, wie ärmlich es mit mir bestellt war, liefen in die Küche und baten um Essen für mich, so daß ich mich doch satt essen konnte.

      Dann kam ich zu einer Frau in der Norrlandsgata. Dort bekam ich eine elende Kammer, und die Mäuse nahmen meine Mütze und mein Halstuch weg und nagten ein Loch in meinen ledernen Beutel, so daß ich ihn mit einem alten Stiefelschaft sticken mußte, den ich mir verschaffte. Da hatte ich nicht mehr als vierzehn Tage Arbeit, und dann mußte ich mit zwei Talern in der Tasche wieder nach Hause gehen.

      Ich ging über Leksand heim und lag ein paar Tage in einem Dorf, das Ronnäs hieß. Ich entsinne mich noch, daß die Leute dort Suppe aus Hafermehl kochten, das sie mit Spreu und Kleie zusammen mahlten. Sie hatten nichts weiter, und das mußte in den Tagen der Hungersnot heruntergleiten.

      Ja, das Jahr war gerade nicht zum Prahlen, aber die nächsten Jahre mußte ich noch mehr Widerwärtigkeiten erdulden. Ich war ja gezwungen, wieder von Hause zu gehen, denn sonst hätten die daheim nichts zu leben gehabt. Ich ging zusammen mit zwei Mädchen nach Hudiksvall, und es waren fünfunddreißig Meilen bis dahin. Den ganzen Weg mußten wir mit dem Ledersack auf dem Rücken gehen, denn diesmal hatten wir keinen Wagen, mit dem wir ihn hätten schicken können. Wir hatten gehofft, Gartenarbeit bekommen zu können, aber als wir dahin kamen, lag überall hoher Schnee, so daß keine derartige Arbeit zu finden war. Dann ging ich aufs Land in die Bauerhöfe hinein und bat so eindringlich, man möge mir etwas zu tun geben. Ach, herrjemine, wie hungrig und müde war ich schließlich, bis ich an einen Hof kam, wo ich bleiben und für acht Schilling den Tag Wolle kratzen durfte! Aber späterhin im Frühling bekam ich Arbeit in den Gärten in der Stadt, und da blieb ich bis zum ersten Juli. Dann aber befiel mich ein solches Heimweh, daß ich mich auf den Weg nach Rättvik machte. Ich war ja erst siebzehn Jahre alt, müßt ihr bedenken. Meine Schuhe hatte ich durchgelaufen, so daß ich die fünfunddreißig Meilen auf bloßen Füßen gehen mußte. Und doch war ich von Herzen froh, denn nun hatte ich fünfzehn Reichstaler zusammengespart, und für meine kleinen Geschwister brachte ich einige harte Weizenzwiebacke und eine Tüte mit geschlagenem Zucker mit, den ich aufgespart hatte. Denn wenn mir jemand Kaffee mit zwei Stück Zucker dazu gegeben, hatte ich immer das eine aufgehoben.

      Hier sitzet nun ihr, Mädchen, und wißt nicht, wie sehr ihr Gott zu danken habt, daß er uns bessere Zeiten gegeben. Denn damals war es nicht anders, als daß das eine Hungerjahr das andere ablöste. Alle jungen Leute in Dalarna mußten von Hause fort, um Geld zu verdienen. Das nächste Jahr – 1847 – ging ich wieder nach Stockholm und bekam Arbeit in dem großen Hornsbuger Garten. Wir waren mehrere Mädchen aus Dalarna, und nun bekamen wir etwas höheren Tagelohn, aber sparen mußten wir trotzdem. In den Gärten sammelten wir alte Nägel und Knochen und verkauften sie an den Lumpenhändler, und für das Geld kauften wir eine Art steinharten Zwieback, den sie in der Militärbäckerei für die Soldaten buken. Ende Juli ging ich wieder nach Hause, um bei der Ernte zu helfen. Diesmal hatte ich dreißig Taler zusammengespart.

      Im nächsten Jahr mußte ich wieder hinaus, um Geld zu verdienen. Da kam ich auf den Stallmeisterhof in der Nähe von Stockholm. In jenem Sommer war Feldmanöver auf dem Lagårdsgärd und der Marketender schickte mich hin, um die Aufwartung in einer Küche zu übernehmen, die er in einem großen Rüstwagen eingerichtet hatte. Und wenn ich hundert Jahre alt werden sollte, so vergesse ich niemals den Tag, als ich da draußen im Lager vor König Oskar dem Ersten auf dem Hirtenhorn blasen mußte. Und er schickte mir einen ganzen Speziestaler als Belohnung.

      Dann war ich mehrere Sommer hintereinander Fährmädchen auf Brunsviken und ruderte zwischen Albano und Haga. Das war meine beste Zeit. Wir hatten ein Hirtenhorn im Boot, und manchmal nahmen die Fahrgäste selbst die Ruder, damit wir ihnen etwas vorblasen konnten. Wenn dann im Herbst das Rudern aufhörte, ging ich durch Uppland hinauf und half auf den Bauerhöfen beim Dreschen. Gegen Weihnacht pflegte ich mit hundert Reichstalern nach Hause zu kommen. Und dann hatte ich Saat beim Dreschen verdient, die holte Vater, sobald Schlittenbahn war. Er, seht ihr, wenn ich und meine Schwestern nicht mit unserem Geld gekommen wären, so hätten die zu Hause nichts zu leben gehabt. Denn das Korn, das wir selbst bauten, war meistens verbraucht, wenn ich nach Hause kam, und Kartoffeln bauten die Leute damals nur wenig. So mußten sie denn Korn beim Kaufmann kaufen, und wenn der Roggen die Tonne vierzig Reichstaler kostete und der Hafer vierundzwanzig, so sollte man wohl sparen! Ich entsinne mich noch, daß wir mehrmals eine Kuh für eine Tonne Hafer hergaben. In jenen Zeiten buken wir Haferbrot mit feingehacktem Stroh zwischen dem Mehl. Es war nicht leicht, solch Strohbrot herunterzubekommen, das könnt ihr mir glauben. Man mußte zwischen dem Bissen Wasser trinken, damit


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