Sportsozialarbeit. Heiko Löwenstein

Sportsozialarbeit - Heiko Löwenstein


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und auf vorhandene Strukturen bezogen. Die sportorientierte gesundheitsbezogene Soziale Arbeit ist strukturell wie konzeptionell noch wenig ausformuliert. Bei gesundheitsfördernden Angeboten im Bildungswesen gibt es, insbesondere im Kontext des Aufwachsens und der Sozialisation, dagegen zahlreiche Projekte (image Kap. 3.2).

      Sport- und bewegungsorientierte Angebote ohne sozialpädagogischen Fokus sind im Bereich der Gesundheitsprävention und der Behandlung und Therapie dagegen zahlreich vertreten. Anbieter sind u. a. Volkshochschulen, Sportvereine, Betriebe, kommerzielle Anbieter wie z. B. Fitnessstudios oder die Krankenkassen. Der Gesundheitssport umfasst die Säulen Gesundheitsförderung, Prävention und Rehabilitation. Der von Rittner Mitte der 1980er Jahre geprägte Begriff Gesundheitssport hat sich in den letzten Jahren etabliert. Rittner grenzt diesen hinsichtlich der darin liegenden vornehmlich gesundheitlich orientierten Ziele vom Freizeitsport ab, dem weitere Motive wie z. B. Naturerleben oder Geselligkeit zugrunde liegen können, und begründet dessen Verbreitung im Rahmen gesellschaftlicher Modernisierungsprozesse (Rittner, 1985). Der Bundesausschuss für Bildung, Gesundheit und Wissenschaft des DSB definiert Gesundheitssport wie folgt:

      Gesundheitssport

      »Gesundheitssport ist eine aktive, regelmäßige und systematische körperliche Belastung mit der Absicht, Gesundheit in all ihren Aspekten, d. h. somatisch wie psychosozial, zu fördern, zu erhalten oder wiederherzustellen. Gesundheitssport umfasst den Präventivsport, die Bewegungs- und Sporttherapie sowie den Rehabilitationssport. Da Sport auch mit gesundheitsbezogenen Risiken verbunden sein kann, müssen die Inhalte dosiert und in Anlehnung an die individuellen Voraussetzungen ausgewählt werden« (DSB, 1993, S. 198).

      In Abgrenzung zu anderen Sportbereichen werden mit speziellen Programmen gesundheitsrelevante Ziele wie die Minderung gesundheitlicher Risikofaktoren, aber auch die Stärkung von Gesundheitsressourcen und die Steigerung des Wohlbefindens zielgruppengerecht angegangen (Brehm & Rütten, 2004; siehe auch Fuchs, 2003). Der Gesundheitssport enthält die Chance, neue Zielgruppen im Sinne der Ottawa Charta »Gesundheit für alle« von 1986 durch eine Vielzahl neuer Angebote zu erschließen (Bös & Brehm, 1999, S. 9).

      Zertifizierte Angebote des Präventionssports mit dem Siegel SPORT PRO GESUNDHEIT oder Deutscher Standard Prävention können gemäß § 20 SGB V durch Krankenkassen bezuschusst werden. Angebote des Rehabilitationssports oder Funktionstrainings können von den Rehabilitationsträgern, Krankenkassen oder Rentenversicherungsträgern gemäß § 64 SGB IX i. V. m. § 43 SGB V gefördert werden. Während Rehabilitationssport darauf zielt, die Ausdauer und Kraft zu stärken sowie die Koordination und Flexibilität zu verbessern, ist Funktionstraining auf den Erhalt und die Verbesserung von Funktionen sowie das Hinauszögern von Funktionsverlusten einzelner Organsysteme und Körperteile ausgerichtet. Beide Angebotstypen haben die Stärkung des Selbstbewusstseins und der Selbsthilfepotentiale im Sinn (BAR, 2011, S. 5f).

      Ein Projekt, das als Rehabilitationssport von den Krankenkassen gefördert wird, ist z. B. das Fidelio-Programm im Sport-Gesundheitspark Berlin e. V., das Bewegungsangebote für stark übergewichtige Kinder und Jugendliche mit medizinischer Indikation bereithält.

      Soziale Arbeit sollte hier, unter Wahrung ihres genuin lebensweltlichen Paradigmas, ansetzen, z. B. durch die Erweiterung des Sportangebots um ein psychosoziales Beratungsangebot oder Elternarbeit.

      Die medizinischen und sportwissenschaftlichen Erkenntnisse bieten hilfreiches (Sekundär-)Wissen und Schnittstellen, um sich in diesem Handlungsfeld zu verorten und komplementäre Angebote zu entwickeln. Auch im Bereich der Nachsorge zeigen sich Anknüpfungspunkte für die Soziale Arbeit. So ließen sich ›Sportketten‹ entwickeln, die im Sinne integrierter Versorgung, an den kommunalen Präventionsketten ansetzen könnten.

      Eine Gesamtübersicht liegt weder über die einzelnen Sportangebote der verschiedenen Akteure insgesamt noch für sportorientierte Angebote in sozialpädagogischen Settings im Besonderen vor. Letztere umfassen sportorientierte Angebote in sozialen Diensten, wobei nicht alle eine explizit sozialpädagogische Zielsetzung verfolgen. Für diese lassen sich anhand von Literatur- und Internetrecherchen und Praxiserfahrungen verschiedene Tendenzen beschreiben. Die Darstellung sportorientierter sozialpädagogischer Angebote wird in verhaltens- und verhältnispräventive Ansätze unterteilt. Bereiche des Gesundheitswesens, die keinerlei Bezüge zu Sozialer Arbeit aufweisen, wie z. B. der Katastrophen- und umweltbezogene Gesundheitsschutz, bleiben unberücksichtigt.

      Verhaltenspräventive Angebote

      In den einzelnen sozialpädagogischen Handlungsfeldern des Gesundheitswesens wie z. B. der AIDS-Hilfe, der Suchthilfe oder der Psychiatrie werden unterschiedliche Sportaktivitäten mit dem präventiven Ziel der Gesundheitsförderung angeboten. Diese finden häufig in Form von Freizeitgruppenangeboten statt, so gibt es u. a. Laufgruppen, z. B. der Berliner AIDS-Hilfe, Fußball-, Volleyball- oder Yoga-Angebote, oder es werden Turniere, teils trägerübergreifend, organisiert. Die Sportangebote verstehen sich komplementär zu anderen Freizeit- und Beschäftigungsangeboten wie Malen oder Theater spielen und verfügen häufig weder über eine gesonderte Finanzierung noch ein ausgewiesenes Konzept.

      In der Suchthilfe und der Psychiatrie werden Sport- und Bewegungsangebote auch als ergänzende Elemente in das therapeutische Set der Entwöhnungsbehandlung integriert und dienen somit einer kurativen Zielsetzung. Sie können als Rehabilitationssport gefördert werden. Als Beispiele lassen sich hier die Laufgruppe »Laufen für die Seele« der psychiatrischen Einrichtung Alexianer/St. Hedwig Berlin oder in die Suchttherapie integrierte Sportangebote des Tannenhof Berlin-Brandenburg e. V. nennen. Es gibt eine Vielzahl von Verfahren, die Leiblichkeit und Bewegung als therapeutisches Mittel nutzen und sich, in Anlehnung an Hölter (2011), zwischen den Polen Physiotherapie und Psychotherapie ansiedeln lassen. Zu den physiotherapeutischen Verfahren, die auf die Beeinflussung körperlicher Zustände zielen, zählt z. B. die Sporttherapie. Bei bewegungsbetonten psychotherapeutischen Ansätzen, wie z. B. der integrativen oder der konzentrativen Bewegungstherapie, geht es primär um die psychische Beeinflussung. Verfahren, die körperliche und psychische Veränderungen zum Ziel haben und einen edukativ-psychosozialen Fokus haben, sind z. B. die kommunikative Bewegungstherapie oder die Mototherapie (DGPPN, 2012, S. 132; siehe auch Hölter, 2011)

      Die von der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Nervenkrankheiten (DGPPN) entwickelten, in 2012 erschienenen S3-Leitlinien für psychosoziale Therapien bei Menschen mit schweren psychischen Erkrankungen enthalten Empfehlungen zur Sport- und Bewegungstherapie, die u. a. regelmäßige körperliche Aktivität unter Anleitung anregen, um z. B. die psychische Symptomatik zu verbessern oder die Körperwahrnehmung zu fördern (DGPPN, 2012, S. 22). Bei den S3-Leitlinien handelt es sich um Handlungsempfehlungen zur Behandlung von Krankheiten auf Grundlage des aktuellen Erkenntnisstands des Fachgebiets. Je nach Evidenzgrad werden S1-, S2- und, als höchste Stufe, S3-Leitlinien unterschieden (DGPPN, 2019).

      In der Behindertenhilfe gibt es seit Jahren eine enge Verzahnung der heil- und sozialpädagogischen Versorgung mit Sport- und Bewegungsangeboten. Neben Programmen des Rehabilitationssports bzw. Funktionstrainings stellt der Breitensport mit traditionellen Sportarten, Fun- und Trendsportarten sowie dem Deutschen Sportabzeichen für Menschen mit Behinderung eine vielfältige Angebotssparte dar. Die dafür zuständigen Behindertensportvereine sind unter dem Dach des Behindertensportverbands (DBS) organisiert, der gleichzeitig auch für den Leistungssport zuständig ist. Der Behindertensportverband ist nach dem Zweiten Weltkrieg aus dem Versehrtensport entstanden, er zählt deutschlandweit über 650.000 vorwiegend ältere Mitglieder. Mitglieder ab 41 Jahren machen 78 % aus, davon sind 46,5 % 61 Jahre und älter (2013) (DBS, 2019). Ziele der Breitensportangebote sind der Spaß an der Bewegung, Spiel und Sport, die Förderung von Begegnungen und Gemeinschaftserlebnissen, die Stärkung der Leistungsfähigkeit und ggf. der Einstieg in den Leistungssport (ebd.). Der DBS ist Mitglied im DOSB und im International Paralympic Committee (IPC) und verfügt über eine eigene Jugendorganisation, die Deutsche Behindertensportjugend (DBSJ) (siehe auch Krüger, 2001, S. 1817).

      In den letzten


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