Sportsozialarbeit. Heiko Löwenstein

Sportsozialarbeit - Heiko Löwenstein


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nutzt, bestehen seitens der Sportwissenschaft, anders als beispielsweise in den USA, bislang wenig Bemühungen, die Soziale Arbeit als mögliche Bezugsdisziplin zu sehen bzw. anzuerkennen. Unlängst gibt es jedoch einen Vorstoß der Deutschen Sporthochschule Köln, die mit dem Weiterbildungsangebot »Sport in der Sozialen Arbeit« die Bedeutung sozialarbeitswissenschaftlicher Wissensbestände für die Sportpraxis hervorhebt (DSHS, 2019).

      Eine allgemeingültige Definition von Sportsozialarbeit liegt bislang nicht vor, eine begriffliche Diskussion gibt es nur in Ansätzen, häufig dient der in der Sportpädagogik formulierte sogenannte Doppelauftrag Erziehung im und durch Sport als Anknüpfungspunkt. Im vorliegenden Buch wird mit der Darlegung eines theoretischen Bezugsrahmens Sozialer Arbeit anhand ausgewählter Theorien und Konzepte (image Kap. 4) der Versuch einer sozialpädagogischen begrifflichen Annäherung unternommen. Mit der Darlegung verwandter disziplinärer Zugänge wie z. B. der Bewegungspädagogik (image Kap. 6) wird die Verhältnisbestimmung zwischen Bewegung, Sport und Körper als Teil der begrifflichen Auseinandersetzung betont. Das Autorenteam versteht die Überlegungen als Ausgangspunkt für Austausch und Diskussion.

      Gemäß den Ausführungen des Sportwissenschaftlers Michael Krüger zu Sport und Sozialer Arbeit im »Handbuch Sozialer Arbeit« wird dem Sport eine hohe soziale Bedeutung im Sinne des sozialen Lernens und der Persönlichkeitsentwicklung bis hin zu emanzipativen Wirkungen beigemessen (Krüger, 2003, S. 1813ff). So kann Sport u. a. dazu beitragen, die Bedeutung von Regeln für das Zusammenleben zu vermitteln, aber auch deren Aushandlung einzuüben, den Umgang mit Sieg und Niederlage in Wettkämpfen zu erlernen oder soziale Rollen spielerisch zu erproben. Diese Lernprozesse können sowohl unbewusst als auch intendiert eingesetzt werden (ebd., S. 1816). Dies kommt im sogenannten Doppelauftrag Erziehung zum und im/durch Sport zum Ausdruck. Während Erziehung im Sport Erziehungsprozesse in den Blick nimmt, die in sportlichen Kontexten per se, d. h. unintendiert ablaufen, sind mit Erziehung durch Sport Erziehungsprozesse gemeint, bei denen Sport bewusst als Instrument eingesetzt wird (ebd., S. 1816). Neben diesen pädagogischen Motiven wird in den Sportwissenschaften mit der Formel Erziehung zum Sport auch ein sportbezogenes Motiv verfolgt, das auf die Erschließung der Sportkultur und der darin enthaltenen Werte wie Leistung, Teamgeist oder Fair Play zielt. Dadurch sollen persönlichkeitsbildende Effekte erzielt werden (DOSB, 2009, S. 5; Baur & Braun, 2003). Um die soziale Wirkung des Sports zu entfalten, ist die pädagogisch verantwortliche Inszenierung und die Reflexion des Sportgeschehens notwendig (u. a. DOSB, 2009, S. 5).

      In der Sozialen Arbeit wird Sport gemeinhin als ein Medium oder spezifischer Zugang zur Umsetzung sozialpädagogischer Zielsetzungen, ähnlich wie z. B. die Kunst oder das Theater, bezeichnet und ergänzt in dieser Bedeutung das sozialpädagogische Handlungsrepertoire (siehe u. a. Krüger, 2003; Welsche, Seibel & Nickolai, 2013). Sportsozialarbeit wird dabei nicht als einfache Rezeption sportpädagogischer Ansätze in der Sozialen Arbeit verstanden und lässt sich auch nicht z. B. unter bewegungs- oder erlebnispädagogische Ansätze subsumieren. Das Sozialpädagogische der sportorientierten Sozialarbeit ist weder allein die Zielgruppe noch das soziale Setting. Eine Verwebung mit sozialpädagogischen Handlungsansätzen wie der Lebensweltorientierung oder der Sozialraumorientierung und die Einbeziehung der Lebenswelt außerhalb des professionellen Settings, z. B. Familie oder Schule, machen Sport zum Bestandteil eines integrierten Unterstützungsprozesses mit dem sozialpädagogischen Ziel der Förderung von Teilhabe und Lebensbewältigung. Eine Schnittstellenbestimmung zwischen Sport und Sozialer Arbeit wird mit dem Selbstverständnis der Sozialen Arbeit, d. h., aus den Strukturen und Logiken dieser Disziplin heraus vorgenommen, sportwissenschaftliche Zugänge werden ähnlich wie Wissensbestände der Soziologie oder der Sozialmedizin einbezogen (Steffens & Winkel, 2017, S. 293). Dabei wird die Definition Sozialer Arbeit durch die International Federation of Social Workers (IFSW) zugrunde gelegt.

      Soziale Arbeit

      »Soziale Arbeit fördert als praxisorientierte Profession und wissenschaftliche Disziplin gesellschaftliche Veränderungen, soziale Entwicklungen und den sozialen Zusammenhalt sowie die Stärkung der Autonomie und Selbstbestimmung von Menschen. Die Prinzipien sozialer Gerechtigkeit, die Menschenrechte, die gemeinsame Verantwortung und die Achtung der Vielfalt bilden die Grundlage der Sozialen Arbeit. Dabei stützt sie sich auf Theorien der Sozialen Arbeit, der Human- und Sozialwissenschaften und auf indigenes Wissen. Soziale Arbeit befähigt und ermutigt Menschen so, dass sie die Herausforderungen des Lebens bewältigen und das Wohlergehen verbessern, dabei bindet sie Strukturen ein« (FBTS & DBSH, 2016).

      Sport kann demzufolge sowohl emanzipativ-fallbezogen als auch gesellschaftskritisch-strukturell einen wichtigen Baustein in der Umsetzung sozialpädagogischer Ziele darstellen. Ausgangspunkt ist ein lebensweltorientierter, ganzheitlicher Blick auf Menschen, der die Kasuistik vom Sprechakt zum gemeinsamen Tun erweitert und den Blick auf positives Erleben und die Ressourcen von Menschen lenkt. Wie kann es gelingen, allen Menschen einen gleichberechtigten Zugang zum Sport als gesellschaftlichem Teilsystem zu verschaffen und Möglichkeiten zur Partizipation zu geben? Zum einen geht es darum, Zugangsbarrieren abzubauen und Gleichstellungsstrategien aufzubauen. Zum anderen verfolgt Sportsozialarbeit das Ziel, den Sport als Medium für die Unterstützung Einzelner zu nutzen. Der nicht-sprachliche Zugang ermöglicht es, pädagogische Interventionen einzusetzen, wo Hilfen sonst abgelehnt werden. Sportsozialarbeit soll Menschen dazu befähigen, Sport und Bewegung für die eigene Lebensbewältigung nutzbar zu machen. Die folgende Grafik veranschaulicht die Bedeutung des Sports in der Sportpädagogik und der Sozialen Arbeit (image Abb. 1).

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      Nach dieser Einführung wird im zweiten Kapitel zunächst das zugrunde gelegte Sportverständnis skizziert. Das Sporttreiben wird anhand der einzelnen Sportbereiche, dem organisierten Sport, dem Schulsport, dem informellen Sport und dem kommerziellen Bereich dargelegt. An dieser Stelle wird auch auf die Sportjugend gesondert eingegangen, die als Dachorganisation der Kinder- und Jugendsportvereine sowie als Träger von Jugendhilfeangeboten fungiert. Anschlussmöglichkeiten für die Sportsozialarbeit werden skizziert (image Kap. 2).

      Im dritten Kapitel werden die einzelnen Praxisfelder Sozialer Arbeit, unterteilt in Gesundheit, Bildung und Soziales, in ihrer Struktur und Grundausrichtung vorgestellt. Bestehende sportorientierte Angebote in diesen Bereichen werden benannt und mögliche Ausbaupotentiale ausgelotet. Um einen breiten Überblick über die Angebotsvielfalt zu geben, werden zahlreiche Praxisbeispiele präsentiert (image Kap. 3).

      Im vierten Kapitel werden theoretische Ansätze Sozialer Arbeit dargestellt und hinsichtlich ihrer Relevanz für sportorientierte Konzepte diskutiert. Hier steht der Nutzen für das praktische Handeln im Vordergrund. Zur Veranschaulichung wird jeweils ein sportorientiertes Praxisbeispiel ausführlich vorgestellt (image Kap. 4).

      Im fünften Kapitel werden Überlegungen zur Professionalisierung der Sportsozialarbeit angestellt. Nach der Darstellung des zugrunde gelegten Professionsverständnisses wird auf evidenzbasierte Forschung eingegangen und ein erster Versuch unternommen, den Forschungsbedarf zu benennen (imageСкачать книгу