Sportsozialarbeit. Heiko Löwenstein

Sportsozialarbeit - Heiko Löwenstein


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als Mitgliedsorganisationen des DOSB werden in der Organisationssoziologie dem Typus der Freiwilligenorganisation zugeordnet. Konstitutive Merkmale von freiwilligen Vereinigungen, somit auch von Sportvereinen ergeben sich nach Heinemann & Horch (1988) durch das Verhältnis der Mitglieder zu der Organisation. Diese sind freiwillige Mitgliedschaft, Orientierung an den Interessen der Mitglieder, Unabhängigkeit von Dritten, Freiwilligenarbeit, demokratische Entscheidungsstruktur. Die konstitutiven Merkmale kommen jedoch in der Reinform nur noch selten vor. Zum Beispiel wird ehrenamtliches Engagement besonders bei Großsportvereinen durch das Hauptamt abgelöst, demokratische Entscheidungskultur kann durch Mitgliederpassivität nicht ausgeschöpft sein, Mitgliedschaften durch z. B. Gruppenzwang beeinflusst werden (Nagel, 2006).

      Zwar unterliegen Sportvereine einer gemeinsamen Struktur und gesetzlichen Grundlagen, dennoch haben sie viel Gestaltungsfreiraum und unterscheiden sich maßgeblich in Größe, Zielen, Inhalten und Erscheinungsformen. Es kann daher nicht von dem Sportverein gesprochen werden. In erster Linie geht es um die Förderung von Sport und die Bereitstellung von Sportgelegenheiten, darüber hinaus werden auch soziale Ziele verfolgt (image Kap. 2.2.3) (Heinemann & Horch, 1988). Systematische Befunde zur Entwicklung von Sportvereinen in Deutschland liefern die Sportentwicklungsberichte des Bundesinstituts für Sportwissenschaft (BISp). Im zweijährigen Turnus werden von Wissenschaftlern und Wissenschaftlerinnen der Deutschen Sporthochschule Köln unter der Leitung von Breuer Daten der bundesdeutschen Sportvereine erhoben und aufbereitet, die für Sportpraxis und Sportpolitik Befunde zur aktuellen Situation des Vereinssports liefern. Im Erhebungszeitraum 2015/16 haben sich mehr als 20.000 Vereine an den Befragungen beteiligt (Breuer, 2017, S. 15ff).

      Sportvereine grenzen sich als freiwillige Organisationen von kommerziellen und marktorientierten Dienstleistungsunternehmen sowie vom informellen Sport ab und bewegen sich zwischen den Polen Markt, Staat und informeller Sektor. Aus der daraus folgenden Strukturlogik werden Sportvereine dem Dritten Sektor zugeordnet (image Abb. 2). Bei Organisationen des Dritten Sektors liegt die Zielsetzung nicht wie beim Sektor Markt in der Gewinnmaximierung, sie verfolgen demnach keine eigenwirtschaftlichen Ziele wie z. B. Fitnessstudios. Auch übernehmen sie, im Gegensatz zum Staat, keine »genuin hoheitlichen Aufgaben«. In Abgrenzung zum informellen Sektor unterliegen sie einer formaleren Organisationsstruktur, z. B. in Form fester Trainingszeiten und -gruppen oder der Vereinsmitgliedschaft (Heinemann, 2004, S. 77). Organisationen des Dritten Sektors werden auch als Non-Profit-Organisationen (NPO) bezeichnet. Diese erfüllen wichtige gesellschaftliche Aufgaben wie z. B. die Aufwertung bürgerschaftlichen Engagements oder die Förderung sozialer Integration (vertiefend dazu u. a. Nagel, 2006, S. 29; Heinemann, 2004, S. 78; Zimmer et al., 2005; Badelt et al., 2007).

      Im Zuge der Bewegung »Sport für alle« erweiterte sich die Angebotsstruktur in den Sportvereinen; es gelang die Einbindung sozialer Gruppen, die lange Zeit erschwerten Zugang zu Sport hatten, darunter u. a. Frauen, Senioren oder Menschen mit Beeinträchtigungen (Cachay, 1988, S. 266ff; Gugutzer, 2008, S. 92; Nagel, 2006, S. 44ff). Das Wachstum an Mitgliedszahlen verdeutlicht dies. Waren es 1950 noch ca. drei Millionen Menschen, so stieg die Anzahl bis zum Jahr 2018 auf ca. 27 Millionen Menschen an (DOSB, 2011; DOSB, 2018a).

      Das zivilgesellschaftliche Potential des organisierten Sports in Deutschland genießt daher eine besondere Wertschätzung und wird durch staatliche Mittel vielfältig gefördert (Braun, 2013a, S. 23; Haring, 2010).

      Gleichzeitig sind die Erwartungen an die Sportvereine hoch. Neben dem praktischen Sporttreiben und der Vermittlung sportspezifischer Kenntnisse soll sozialen Herausforderungen u. a. im Kontext von Gesundheit, Bildung, Integration, Inklusion und Kinderschutz begegnet werden (Rittner & Breuer, 2004).

      In der Gesundheitsförderung ging der DOSB mit der Vorlage einer gesundheitspolitischen Konzeption (1995) erste Schritte zur konzeptionellen Verankerung von Qualitätssicherung im Sport. Gesundheit und Sport wurden zu zentralen Zukunftsaufgaben der Sportvereine erklärt. Zu nennen sind hier im Gesundheitssport z. B. das Siegel »Sport pro Fitness« oder das Siegel »Sport pro Gesundheit«, die eine Qualitätssicherung der Angebote und eine Anerkennung durch die Krankenkassen sicherstellen (DOSB, 2010; 2015). Mittlerweile ist das Thema Gesundheitsförderung im Sportverein durch Gesundheitssportangebote, Qualifizierung der Trainerinnen und Trainer, die Festlegung von Qualitätsmaßstäben oder die Kooperation mit Krankenkassen weiter vorangetrieben worden.

      Im Bildungssektor kann die gesellschaftliche Bedeutung des organisierten Sports u. a. anhand der Zusammenarbeit mit Schulen und Kitas belegt werden (image Kap. 2.3.2). Hierbei bilden Sportvereine ein wichtiges Strukturelement für die sozialräumliche Vernetzung, zu nennen sind hier z. B. die gemeinnützige Kindergarten Träger-Gesellschaft KIB gGmbH (Kinder in Bewegung) des LSB und der SJ Berlin oder Landesprogramme zur Kooperation von Schulen & Vereinen.

      Konkrete Bildungsangebote unterbreiten die Bildungsstätten der Sportjugenden. Sie bieten zum einen z. B. Seminare für Schulkassen zu jugendpolitischen Themen oder Sozialkompetenztrainings, zum anderen fungieren sie als Aus- und Fortbildungszentren für die Jugendarbeit im Sport (DSJ, 2018). Die Initiative »Lernort Stadion« führt politische Bildung an Lernzentren in Fußballstadien durch (Lernort Stadion e. V., 2017).

      Im Bereich der Integration und Inklusion stellt der organisierte Sport Angebote für diverse Zielgruppen bereit. Zu nennen sind hier u. a. das Bundesprogramm »Integration durch Sport«, Initiativen zur Herstellung von Geschlechtergerechtigkeit im Sport oder Programme im Rahmen von Inklusion für eine gleichwertige Teilnahme und Teilhabe von Menschen mit und ohne Beeinträchtigungen (DOSB, 2019). Dem Thema Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit im Sport widmen sich speziell ausgearbeitete Programme (DSJ, 2019). Zum anderen leistet die Fanarbeit hier gezielt Präventionsarbeit (KOS, 2019) (image Kap. 4.2.4). Zur Prävention von sexualisierter Gewalt im Sport haben die DSJ und die Landessportjugenden Handlungsleitfäden und Qualifizierungsangebote für ihre Mitgliedsorganisationen entwickelt (DSJ, 2019).

      Gleichzeitig weisen unterschiedliche Positionen auf eine soziale Ungleichheit im Sport hin, die trotz zahlreicher Bemühungen der Vereine weiterhin bestehen (u. a. Cachay & Hartmann-Tews, 1998; Haut, i. E.; Nagel, 2003) (image Kap. 3.3.2).

      Es existiert eine Vielzahl an sozialen Initiativen des organisierten Sports im Kinder- und Jugendbereich. Einen Überblick dazu liefert die Projektdatenbank der DSJ (www.jugendprojekte-im-sport.de/), die aus dem Fachforum »Soziale Offensive im Jugendsport. Entwicklung und Chancen junger Menschen in sozialen Brennpunkten« (Rittner & Breuer, 1999) entstanden ist. Diese Projektdatenbank wurde für den Zweiten und Dritten Deutschen Kinder- und Jugendsportbericht ausgewertet. Demnach werden 260 sportliche Projekte für den Zeitraum zwischen 2002 und 2015 vorwiegend in den Themenfeldern Integration, Zusammenarbeit mit Schule, Gewaltprävention, Ehrenamt und Partizipation angegeben (Derecik & Züchner, 2015, S. 228). Diese sozialen Initiativen im Jugendsport stellen eine Schnittstelle zwischen Sport und Sozialarbeit dar. Akzeptanz, Anschlussfähigkeit und Synergien in der interdisziplinären Zusammenarbeit führten dazu, dass sich einige Projekte über die Jahre fest etablieren konnten, z. B. Projekte des Landessportbunds NRW oder der Sportjugend Berlin (Prenner, 2008, S. 34). In Berlin hat sich aus der Zusammenarbeit des organisierten Sports mit der Gesellschaft für Sport und Jugendsozialarbeit gGmbH (GSJ) ein eigenständiger Träger der freien Kinder- und Jugendhilfe entwickelt, der in enger Zusammenarbeit mit der


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