Finnische Träume - Teil 5 | Roman. Joona Lund

Finnische Träume - Teil 5 | Roman - Joona Lund


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      Finnische Träume - Teil 5 | Roman

      von Joona Lund

      Joona Lund ist eine finnische Journalistin, die vor allem über gesellschaftliche Probleme recherchiert und schreibt.2008 las Joona von einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes, welches das Inzesttabu weiterhin als strafrechtlich relevant bestätigt und eine junge Familie damit ins Unglück gestürzt hat. Sie erinnerte sich an ein Interview, das sie vor Jahren in Lappland auf einem abgeschiedenen Bauernhof geführt hatte: Damals war ihr das Verhalten des jungen Mannes und seiner jüngeren Schwester aufgefallen, das sich von dem ihrer Mitschüler gravierend unterschied. Sie recherchierte und stieß auf eine Geschwisterliebe, die beinahe tragisch ausgegangen wäre. Mit ihrem Roman „Finnische Träume“ veröffentlichte Joona die Geschichte einer innigen Liebe, die sich trotz aller Schwierigkeiten und Hindernisse zunehmend verdichtet. Sie wollte aufzeigen, dass das Urteil des Gerichts auf wackeligen Beinen stand und verschiedene zivilisierte Länder das anders bewerten.

      Lektorat: Nicola Heubach

      Originalausgabe

      © 2014 by blue panther books, Hamburg

      All rights reserved

      Cover: © mammuth @ istock.com

      Umschlaggestaltung: www.heubach-media.de

      ISBN 9783862774425

      www.blue-panther-books.de

       9. Studium von Joona Lund

      Jan hatte sich nicht vorgestellt, dass das Studium in einem so düsteren Klima beginnen würde. Niedergeschlagen war er mit dem Bus in die Hauptstadt gefahren, hatte das Fenster freigewischt, wollte sich mit den bunten Herbstwäldern und dem klaren blaugrünen Wasser im Fluss von Inkus abweisender Art und der neuerdings von ihr ausgehenden Kälte ablenken. Doch der Fluss erinnerte ihn auch ans Kajakfahren mit Inku. Voll Wehmut dachte er daran, wie sie manchmal mit ihm fischen war, sie am Ufer Feuer gemacht und die Fische gebraten hatten, satt und zufrieden dagelegen und die Nähe des anderen gefühlt hatten. Er zwang sich dazu, in die Gegenwart zurückzukehren, der Bus näherte sich der Flussmündung. Um die Jahreszeit waberte fast immer Nebel über dem Wasser. Zuerst hieß es, sich eine Bude zu suchen. Bei Tante Kaari wohnen, kam nicht in Frage, für sie war die Affäre ebenso abgeschlossen wie für ihn, es gab kein Zurück. Ins Studentenheim wollte er nicht.

      So probierte er es bei der Adresse, die ihm ein Freund seines Vaters zugesteckt hatte. Das Ehepaar vermietete auf Empfehlung, hatte er gesagt, sei allerdings altmodisch, was die Moral anginge. Jan stellte sich vor, hatte Glück, ein Student war ausgezogen, das Zimmer frei. Er räumte die Sachen ein, bummelte durch die Stadt, um die Umgebung zu erkunden. Er suchte Arbeit, egal was. Kannte er sich einmal aus, war es leichter, ein gemütliches Zimmer zu finden. Die Arbeit würde ihn davon abhalten, ständig an Inku zu denken. Während des Praktikums hatte er sich nie an die Unruhe der Stadt gewöhnt, die Redaktion und Kaari hatten ihn ausgefüllt, er war oft wie ein Blinder durch die Stadt gelaufen. Obwohl es zu Hause nicht mehr wie früher war, fühlte er sich hier trotz der vielen Menschen oft allein, es fehlte die Geborgenheit, die ihm der Hof geschenkt hatte. Von den oberen Stockwerken der Universität sah er über den Fluss und die Wälder, das beruhigte.

      Während des Praktikums hatten der Reiz des Neuen und die Gewissheit, in ein paar Wochen wieder zu Hause zu sein, den ungewohnten Aufenthalt in der Stadt erleichtert. Nun kämpfte er gegen den ständigen Drang an, seine Klamotten zu packen und heimzufahren, doch weit mehr als das Heimweh bedrückte ihn das selbst verschuldete Zerwürfnis mit Inku.

      Jan hatte Vater gegenüber nie ein Hehl daraus gemacht, nicht den Hof übernehmen zu wollen, hatte nicht erwartet, dass es Vater so treffen würde, dass der von Generation zu Generation weitergegebene Hof in fremde Hände übergehen sollte. Der Ertrag war ständig zurückgegangen, daran hatte die Plackerei nichts geändert. Etliche Nachbarn hatten aufgegeben und waren in die Stadt gezogen. Jans Eltern hatten sich nicht dazu durchringen können, den Hof im Stich zu lassen.

      Erst das Fernsehen hatte besonders Jugendlichen die Abgeschiedenheit bewusst gemacht, viele glaubten, das wahre Leben ziehe an ihnen vorüber. Kamen im Sommer Fremde, wunderten sie sich, wenn Einheimische von Nachbarn sprachen, die Kilometer weit entfernt wohnten. Jan hatte die räumliche Absonderung nie gestört, er wusste sich zu beschäftigen und vor allem hatte er Inku. Er hatte die Tatsache, dass sich der Traum, Journalist zu werden, nur in der Stadt realisieren ließ, verdrängt. Die Eltern hatten ihm seinen Berufswunsch nie auszureden versucht, obwohl die Chance, eine feste Stelle zu erringen, gering war. Es war nicht einfach gewesen, sie zu überzeugen, dass der Beruf seinen Fähigkeiten und Anlagen entsprach.

      Zu seiner großen Überraschung hatte ihm Vater am Tag nach der Abiturfeier einen Studienführer auf den Tisch gelegt. Ein Vollstudium-Journalismus würde nur in Helsinki angeboten, hatte er sich schlau gemacht. Sie konnten selbst in Rovaniemi nur einen Teil der Kosten schultern, Jan müsste neben dem Studium arbeiten. Lia hatte zum Fachstudium geraten, das bot in großen Redaktionen mehr Möglichkeiten, abgesehen davon, dass das Leben in Helsinki noch viel teurer wäre. Journalistische Seminare könnte er hier auch belegen und die Praxis erlernte er im Job. Das leuchtete ein. Er entschied sich für Wirtschaft.

      Um finanziell über die Runden zu kommen, übernahm er Botengänge und fuhr Waren aus, hoffte, bald an eine Adresse für eine kleine Wohnung zu kommen. Noch hatte er die Hoffnung nicht aufgegeben, dass ihn Inku eines Tages besuchen würde. Sein jetziges Zimmer war dafür denkbar ungeeignet. Ein Kommilitone, mit dem er öfter in der Mensa diskutiert hatte und der wusste, dass er in der Regionalzeitung praktiziert hatte, fragte ihn, ob er seinen Job beim Hörfunk übernehmen wollte, er wechselte in die Hauptstadt.

      Jan griff zu, durchlief mehrere Abteilungen, arbeitete im Archiv, führte einfache Recherchen durch, steckte Teile aus alten Sendungen ab, beantwortete Hörerbriefe, half Redakteuren bei Dokumentationen, sprang ein, wenn jemand ausfiel.

      In der zweiten Woche wurde er Gustavsen als Assistent zugeteilt, einem mit allen Salben geschmierten alten Hasen, der immerzu Pfeife rauchte, Rauchverbote grundsätzlich missachtete und jedes Studio im Nu in eine Räucherkammer verwandelte. Seine schwedische Herkunft war nicht die Ursache für sein mürrisches Wesen, wurde Jan versichert. In Gustavsens Beiträgen stimmte alles und schrieb er einen Text, hatte er einen Flachmann oder eine Flasche Bier auf dem Schreibtisch stehen. Er empfahl Jan, eine Zeit bei einem Freund in der Lokalredaktion der zweitgrößten Regionalzeitung zu hospitieren, um das Verfassen von Meldungen und Nachrichten zu üben.

      Die Bezahlung war schlechter, der Herausgeber versuchte, sinkende Anzeigen durch Einsparungen bei den Löhnen auszugleichen. Jan trug Informationen zusammen, schrieb Meldungen, kürzte und schrieb um, verfasste neue, doch Gustavsens Freund nörgelte ständig an ihm herum. Bis ihm der Neuling eine Meldung unterjubelte, die der Redakteur aufgesetzt hatte, lediglich das Datum war geändert.

      Der Journalist stutzte, schaute ihn scharf an und brüllte: »Was soll das denn? Das ist keine Meldung, das ist Mist!«

      Jan ließ sich nicht aus der Ruhe bringen, erklärte, diesen Mist habe er selbst produziert und wies das Original vor. Der Redakteur kniff die Augen zusammen und lachte, dass ihm die Tränen kamen.

      »Saubengel, verfluchter! Ich glaube, du kannst zum Hörfunk zurück.«

      Abends war Jan hundemüde, doch wälzte sich eine Flut von Erinnerungen durchs Gehirn, er träumte wild, wachte auf, konnte nicht mehr einschlafen. Er stürzte sich in die Arbeit, doch das Unterbewusstsein ließ sich nicht austricksen, holte im Traum nach, was er tagsüber verdrängte, zeigte ihm Inkus trauriges Gesicht, das beim Abschied wie versteinert gewirkt hatte. Ein kühler Händedruck, keine Umarmung, kein Wort, das Verzeihung und Hoffnung signalisierte. Verstehen konnte er ihre Haltung, weh tat sie dennoch. Alle Versuche einer Annäherung schlugen fehl. Was sie verbunden hatte, war gekappt.

      An jenem Abend nach dem Praktikum, als er nach Wochen zum ersten Mal wieder nach Hause gekommen war, hatte er die erste Gelegenheit genutzt, mit ihr zu reden, doch sie hatte dem Gespräch sogleich eine Wendung gegeben, die seine geringe Hoffnung zunichte gemacht hatte. Bevor er eine Chance bekam, etwas zu erklären, hatte


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