Der kleine Fürst Classic 38 – Adelsroman. Viola Maybach
Der kleine Fürst Classic – 38 –
»Ich frage mich, wie du das aushältst«, sagte Baron Friedrich von Kant zu seinem jüngeren Freund Prinz Claus von Saalen.
Die beiden Männer hatten sich, wie so häufig, im Vorfeld einer Pferdeauktion getroffen, denn Pferde züchteten sie beide. Friedrich tat es auf Schloss Sternberg, dessen Pferde mittlerweile weit über die Grenzen des Landes hinaus bekannt waren; Claus hatte sein Gestüt auf einem abseits gelegenen Landsitz. Er war ein großer Blonder mit jungenhaftem Lächeln und freundlichen blauen Augen.
»Du meinst die Schlagzeilen?«, fragte er jetzt, während sie langsam an den Boxen mit den edlen Pferden, die am nächsten Tag versteigert werden sollten, vorübergingen. Hier und da blieben sie stehen, um eins der Tiere genauer zu begutachten. Sie wussten beide, was sie wollten.
»Natürlich meine ich die Schlagzeilen, was denn sonst?« Friedrich sah ihn kopfschüttelnd von der Seite an. »Es muss doch furchtbar sein, immer wieder über sich selbst zu lesen, dass man ein Idiot ist.«
»Ich habe mich daran gewöhnt«, erklärte Claus gelassen.
»Wie kann man sich an so etwas gewöhnen? Warum gehst du nicht gegen die Zeitungen vor, die immer wieder über dich schreiben, dass du nicht bis drei zählen kannst? Das ist üble Nachrede, dagegen kann man etwas tun.«
Claus lächelte heiter. »Es hat Vorteile, Fritz.«
»Das musst du mir erklären«, bat der Baron.
»Alle Leute denken, dass sie wissen, was für ein Mensch ich bin«, erwiderte der Prinz, während sie ihren Weg, den sie vor der Box eines sehr temperamentvollen Araberhengstes unterbrochen hatten, fortsetzten. »Ich habe also wenig mit neugierigem und zudringlichem Verhalten von Fremden zu tun, weil sie denken, dass es bei mir nichts zu entdecken gibt. Werde ich aber Menschen vorgestellt, die ich bis dahin nicht kannte, sind sie
meistens positiv überrascht, wenn sie merken, dass ich nicht ganz so bin, wie ich in den Medien immer dargestellt werde.«
»Nicht ganz so?!«, rief Baron Friedrich. »Das Bild, das sich die Öffentlichkeit von dir macht, hat überhaupt nichts mit dem Mann zu tun, den ich kenne.«
»Danke, Fritz, es ist sehr nett von dir, das zu sagen.«
»Es ist nicht nett, sondern die Wahrheit. Mich kränkt es, dass jemand, den ich als meinen Freund betrachte, für beschränkt gehalten wird.«
»Und liebenswürdig«, lächelte Claus. »Beschränkt, aber liebenswürdig, das schreiben sie meistens dazu. Neulich habe ich gelesen: ›Prinz Claus, der liebenswerte Trottel‹ – das war mal etwas Neues. Trottel hatte ich bis dahin noch nicht gelesen.«
»Es stört dich tatsächlich nicht«, stellte Friedrich entgeistert fest.
»Nein, wie schon gesagt: Es hat Vorteile, und die weiß ich zu schätzen.«
»Lass uns einen Kaffee trinken, ja? Ich brauche eine Pause.«
Claus nickte bereitwillig, und gleich darauf saßen sie einander in einem Café am Rande des Auktionsgeländes gegenüber. Der Baron nahm die Unterhaltung wieder auf. »Du hast einmal erzählt, dass du dir den Ruf des liebenswerten Trottels auf der Schule erworben hast.«
Claus nickte. »Ich habe das Gymnasium ja schon vor dem Abitur verlassen, weil mir das stundenlange Stillsitzen unglaublich schwer gefallen ist und ich schon damals wusste, dass ich Pferde züchten wollte. Und darüber brachte man mir in der Schule nichts bei. Wir hatten, muss ich sagen, ein paar ziemlich verbohrte Lehrer, ich hoffe, dass es heute an den Schulen anders zugeht. Nur mein Englischlehrer damals hatte Verständnis für mich. Er war noch sehr jung, sozusagen frisch von der Universität. Er wusste, wie es in mir aussah. ›Gehen Sie von der Schule ab, bringen Sie sich bei, was Sie wissen müssen, Claus – und dann züchten Sie Pferde, Sie schaffen das schon‹, hat er zu mir gesagt. Ich habe seinen Rat beherzigt. Er ist der einzige Lehrer, bei dem ich es bedauere, ihn aus den Augen verloren zu haben. Dr. Horst hieß er, Dirk Horst. Er müsste heute ungefähr dein Alter haben, Fritz, so um die Vierzig.«
»Und Freunde von damals?«, fragte Friedrich.
»Kein einziger! Ich habe diese Jahre, muss ich gestehen, weitgehend verdrängt, weil ich mich nicht besonders gern daran erinnere.« Nachdenklich rührte Claus in seiner Kaffeetasse. »Merkwürdig, was mir jetzt alles wieder einfällt, da wir davon reden. Es gab einen Jungen in meiner Klasse, der es ganz besonders auf mich abgesehen hatte, Freddy hieß er. Du kannst dir nicht vorstellen, wie der mich schikaniert hat.«
»Heute würde man das ›mobben‹ nennen«, murmelte der Baron.
»Er hat wirklich nichts ausgelassen, ich glaube, vor allem, weil es ein Feld gab, auf dem ich ihm weit überlegen war.«
»Sport?«, fragte Friedrich.
»Ja, genau. Ich war der beste Sportler der Schule, während Freddy in keiner Sportart glänzte. Unglücklicherweise hatte er aber einen sportbegeisterten Vater, dem er gern imponieren wollte. Das klappte leider nicht. Sein Vater war im Übrigen ein netter Mann, der keine Ahnung davon hatte, wie sehr sich sein Sohn bemühte, mir das Leben schwerzumachen.«
»Lag es vielleicht auch an diesem Freddy, dass du vorzeitig von der Schule gegangen bist?«
»Ich weiß es nicht mehr, Fritz«, antwortete Claus nach einer Weile zögernd. »Es hat mir die Entscheidung sicherlich erleichtert, aber ich würde sagen, ich habe einfach instinktiv gewusst, dass die Schule nicht mehr der richtige Ort für mich war – und dieses Gefühl hat mich ja nicht betrogen.«
Er lächelte versonnen. »Dabei wäre es sicherlich einfacher für mich gewesen, wenn ich mir danach nicht alles selbst hätte beibringen müssen. Bei den Sprachen ging es ja noch, die lernt man, wenn man nur oft genug im Ausland ist und sich da irgendwie verständigen muss, aber meine Kenntnisse von Betriebswirtschaft waren doch sehr kläglich. Weißt du, das habe ich natürlich erst später begriffen: Dass ich zwar alles über Pferde wusste, dass aber noch mehr dazu gehört, wenn man ein erfolgreicher Züchter werden will. Man muss auch Leute führen und rechnen können und vor allem in Zeiten, wenn es mal nicht so gut läuft, die Übersicht behalten. Ich habe harte Lehrjahre hinter mir.«
»Du hast es aber, allen Schwierigkeiten zum Trotz, geschafft. Deshalb verstehe ich nicht, dass die Zeitschriften immer noch dieses Bild von dir verbreiten – die Journalisten müssen doch auch wissen, was du leistest.«
»Vielleicht wissen sie es, aber dann müssten sie sich ja etwas Neues einfallen lassen, Fritz. So können sie immer wieder die gleiche alte Geschichte schreiben – das ist weniger anstrengend, und die Leute scheinen es ja zu lieben und immer wieder lesen zu wollen. So sind alle zufrieden.«
»Ich bin es nicht!«, stellte der Baron energisch fest. »Mir wäre es lieber, wenn über einen meiner Freunde respektvoll berichtet würde – und der Wahrheit entsprechend.«
»Danke, es freut mich, dass du das sagst, aber ich versichere dir noch einmal: Für mich stellt das kein Problem dar.«
Der Baron wechselte das Thema. »Was gibt es Neues von dir und deinen Pferden?«
»Nichts eigentlich. Die einzige größere Veränderung in meinem Leben ist die, dass ich nicht mehr allein lebe.«
»Claus! Und das erzählst du erst jetzt?«
Claus nickte. »Ich glaube, du hast mich missverstanden, Fritz. Ich habe mich nicht verliebt, verlobt oder verheiratet, sondern meine Cousine Angela Camberg ist zu mir gezogen.«
»Von der hast du noch nie gesprochen«, wunderte sich der Baron.
»Weil wir keinen Kontakt zueinander hatten. Ihre Mutter hat nach ihrer Heirat mit Angelas Vater alle Beziehungen zur Familie abgebrochen – sie war vorher wohl sehr unter Druck gesetzt worden, keinen Bürgerlichen zu heiraten. Jedenfalls rief Angela mich eines Tages an, wir kamen ins Gespräch, und es stellte sich heraus, dass sie eine hochqualifizierte Hauswirtschafterin ist. Sie ist ja ein paar Jahre älter als ich, dreiunddreißig ist sie jetzt, und sie ist mir in den paar Monaten, seit sie bei mir ist, bereits unentbehrlich geworden. Sie ist bei mir eher Managerin als reine Hauswirtschafterin, und außerdem ist sie ein unglaublich sympathischer Mensch. Wir sind schnell Freunde geworden, ich weiß gar nicht, wie ich jemals