Mami Bestseller 56 – Familienroman. Christiane von Torris
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Thorsten Hallberg stand auf und ging zu dem breiten Fenster seines großzügig eingerichteten Büros in den Hallberg-Textil-Werken. Der Fabrikhof war menschenleer, längst waren die Arbeiter und Angestellten durch das große Tor ihrem wohlverdienten Feierabend entgegengegangen. Die elektrische Uhr über dem Pförtnerhaus zeigte zehn Minuten vor achtzehn Uhr. Die meisten Fenster der zahlreichen Fabrikgebäude waren dunkel, nur da und dort schien Licht in den Hof, und aus den geöffneten Fenstern klang fröhliches Singen von Reinmachefrauen, die um diese Stunde mit ihrer Arbeit begannen.
Thorsten fuhr sich mit der linken Hand durch sein dichtes dunkles Haar, dann strich er sich über die vom Lesen endloser Zahlenkolonnen und Aktenstücke müde gewordenen braunen Augen. Er seufzte, da er mit der ganzen Arbeit, die ihm da heute morgen auf den Schreibtisch gelegt worden war, nicht zurechtgekommen war. Dann nahm er seine Zigarettenpackung vom Schreibtisch und zündete sich eine an. Er rauchte in tiefen Zügen, während er wieder ans Fenster ging und es weit öffnete.
Der Himmel war türkis und rosa, dazwischen wanden sich, tanzenden Schlangen gleich, zartviolette und dunkelrote Bänder, einmal zu einer Einheit verschlungen, dann wieder eilig auseinanderstrebend. Es war ein faszinierendes Schauspiel. Thorsten sah gebannt zu, dann holte er sein Reißbrett mit dem aufgespannten weißen Bogen und die Pastellkreiden. Mit kräftigen Strichen bannte Thorsten Hallberg auf das Papier, was seine auf den Himmel und sein wechselvolles Schauspiel konzentrierten Augen sahen. Jetzt wurde das Himmelgemälde um einen Ton heller, und Thorsten ließ seinen auf einem Tisch montierten Filmapparat laufen, den er stets betriebsbereit und nun an das Fenster herangerollt hatte.
Nach fünf Minuten war der Zauber am Firmament vorüber; hauchzarte Nebelschleier zogen auf, die Konturen der Bäume, die draußen auf der Lichtensteiner Allee standen, wurden dunkler.
Thorsten Hallberg schob das Reißbrett an seinen gewohnten Platz, zog die helle Arbeitslampe, die darüberhing, tiefer herunter und setzte sich davor. Im Zimmer von Emma Prunk, seiner Sekretärin, läutete ununterbrochen das Telefon. Thorsten hörte es mit einem Ohr und war froh, daß Emmchen schon heimgegangen war und nicht mehr zu ihm durchstellen konnte. Jetzt, da er die Farben des Himmels, die er in sich aufgenommen hatte, auf das Papier bringen und festhalten wollte, durfte ihn niemand stören.
Doch der junge Hallberg irrte sich. Kaum hatte er zehn Minuten an seinem Entwurf gearbeitet, da wurde die Tür aufgerissen. Ärgerlich drehte sich Thorsten um und wollte schon die Putzfrau anfahren, die ihn zu stören wagte, als ihm das Wort im Mund und die Freude im jungen Gesicht erstarb.
»Thorsten, warum meldest du dich nicht? Soll ich mich totklingeln, um mit meinem Herrn Sohn sprechen zu können?« polterte Konstantin Hallberg.
Er war schmal und drahtig, kleiner als der Sohn, der ihn bei weitem überragte, als er dem Vater jetzt entgegenkam.
»Bist du fertig mit der Kalkulation? Können wir morgen mit Dumont darüber reden?« fragte Konstantin Hallberg. Die erloschene Zigarre hing ihm im Mundwinkel, man sah ihn selten ohne eine dieser dunklen Havannas. Jetzt nahm er ein Streichholz und zündete sie neu an. Die Asche fiel über sein Revers, er achtete nicht darauf.
»Ich bin nicht ganz damit zu Rande gekommen«, sagte Thorsten. Er hatte eine angenehme, warme Stimme, die so sympathisch war wie alles übrige an dem jungen Mann, der auffallend gut aussah.
Grollend sah der Vater Thorsten an. »Was heißt, nicht damit zu Rande gekommen?«
Thorsten zuckte die Achseln. »Dazu hast du doch unseren Betriebswirt, der hat das schließlich studiert, es ist doch nur eine Farce, wenn ich mich damit abgeben soll, Vater!«
»Als Juniorchef mußt du von allem etwas verstehen, Thorsten! Du wirst nach mir das Werk führen, es soll florieren und wachsen und nicht durch schlechtes Management rückläufig werden. Du weißt ohnedies, daß wir durch die internationale Wirtschaftslage im Augenblick nicht so rosig dastehen, wie es sein sollte.«
»Um so mehr mußt du Fachleute für die jeweiligen Gebiete einsetzen. Meine Stärke liegt anderswo, das weißt du!«
»Ja, ja, in deiner Pinselei, ich weiß schon, aber das ist Larifari, in erster Linie hast du ein scharf kalkulierender Geschäftsmann zu sein«, donnerte der alte Hallberg wütend.
»Vater, im großen und ganzen verstehe ich von allem etwas. Aber nicht bis in die kleinste Detailfrage. In der Politik hat jeder Minister schließlich auch seine Referenten, die fachlich geschult sind, und auf diese Mitarbeiter muß er sich verlassen können. Ich finde es richtig, die entsprechenden Leute zu haben und sich nicht zu zersplittern. Trotzig sah Thorsten den Vater
an.
»Na ja«, räumte Konstantin Hallberg ein, »ganz von der Hand zu weisen ist das nicht. Du bist instinktsicher und hast bei den Sitzungen oft erstaunliche Dinge von dir gegeben. Trotzdem möchte ich dich bitten, dich mehr auf das Kaufmännische zu konzentrieren. Ich möchte nicht noch einmal erleben, daß du mit etwas nicht zu Rande kommst. Verstanden?«
»Ja. Du schreist ja schließlich laut genug!«
»Na also!«
»Im übrigen bringt Monsieur Verrin in seiner nächsten großen Modenschau drei Modelle, die aus Stoffen nach meinen Entwürfen gefertigt wurden«, sagte Thorsten.
Konstantin Hallberg tat dies mit einer Handbewegung ab. »Und bleibt doch nichts als Spielerei. Du hast noch keine Mark selbst verdienen müssen, Thorsten. Sonst würdest du anders reden und energischer zupacken.«
»Als dein Sohn war ich nicht gezwungen, Geld zu verdienen. Meine Ausbildung habe ich lückenlos absolviert, was willst du eigentlich mehr, Vater?«
»Tja, das kann ich nicht so mit ein paar Worten sagen. Lassen wir es also. Wenn du unbedingt zeichnen willst, dann entwirf Gebrauchsmuster, die gefragt sind, und verleg’ dich nicht auf exklusive Luxusgeschichten, die nicht Hand und Fuß haben!«
»Das liegt mir nicht, diese ordinären Gebrauchsmuster, die man überall zu kaufen bekommt, dafür hast du ja die Angestellten, die sich mit derlei Entwürfen abgeben müssen«, sagte Thorsten arrogant. »Mir schwebt Höheres vor.«
»Und mir kommt es vor, daß du selbst schwebst, Junge! Manchmal glaube ich, mit dir habe ich damals eine Niete gezogen«, sagte der Fabrikant leise.
»Was meinst du damit?«
Hallberg senior winkte wieder ab. »Nichts, nichts, vergiß es!«
Thorsten drehte sich zum Fenster und starrte in die Dämmerung hinaus. Amselschlag klang süß durch die Stille, doch er hörte ihn nicht.
»Sei vernünftig, Thorsten, und kümmere dich jetzt wirklich ausschließlich um die wesentlichen Belange unserer Firma. Dumont sitzt uns mit seinen Forderungen im Genick. Weiß der Teufel, wie der Kerl immer seinen gewaltigen Vorsprung schafft. Er mußte einen besonderen Riecher haben. Du bist einfach zu weich, Thorsten. Damit kommst du nicht weiter.«
Konstantin Hallberg warf die heruntergebrannte Zigarre in den Aschenbecher und zündete sich gleich eine neue an, nachdem er sie recht umständlich eingekerbt und abgeschnitten hatte. Dann trat er vor den Sohn und sah ihn scharf an.
»Wann soll übrigens deine Hochzeit mit Elena Dumont endlich stattfinden? Du schiebst alles auf und drückst dich vor Entscheidungen. So geht es doch nicht weiter, wirklich nicht! Gerhard hat mich recht direkt danach gefragt.«
Wieder zuckte Thorsten mit den Achseln. »Ich weiß nicht, ich habe es eigentlich nicht eilig.«
»Hm, du wohl nicht, aber Elena! Sie ist ein paar Jahre älter als du, und ich könnte mir denken, daß sie endlich unter die Haube will. Außerdem ist es zu riskant, wenn du noch länger wartest. Es könnte leicht sein, daß ein anderer dir den Goldfisch vor der Nase wegschnappt!«
»Na, hör mal, Papa, Elena liebt mich schließlich. Und ich sie auch. Ich heirate sie nicht deswegen, weil sie, wie du es bezeichnest, ein Goldfisch ist!«
»Schon gut, Thorsten. Aber die Tatsache, daß sie was in die Scheune einbringt, ist nicht zu übersehen. Du widersprichst dir!«
»Wieso?«
»Weil du in einem Satz sagst, du hättest