Die Stille der Gletscher. Ulrike Schmitzer
ULRIKE SCHMITZER
Die Stille der Gletscher
ROMAN
Inhalt
1
»Hoppla«, sagt Fritz.
Ich kenne den Gondelführer Fritz gerade einmal zwanzig Minuten, und schon befinden wir uns in einer Krise.
»Jetzt hat es uns hinausgeworfen.«
Das ist mir nicht entgangen. Die Gondel hängt in vierzig Metern Höhe, und sie schwankt vor und zurück. Fritz zieht sein Funkgerät aus der Plastikfolie an der Gondelwand und meldet einen Störfall.
»Dauert nicht lang«, sagt er.
Die vier Araber kichern und machen Fotos mit dem iPhone. Sie machen Fotos von sich selbst, nicht vom Gletscher. Fritz hat die Situation souverän unter Kontrolle.
»No problem!«, sagt er und lächelt freundlich.
Und dann flucht er. Wird wohl doch länger dauern.
»Da, schau«, sagt er und zeigt auf einen Felsblock.
Ich sehe nichts.
»Da war früher Eis. Vor zwei, drei Jahren haben wir schon einmal so eine extreme Hitze gehabt, fast dreißig Grad, da rinnt dir der Gletscher davon. Wenn wir nachher über die Zwölferstütze fahren, dort ist die Randzone, da musst du dann schauen.«
Fritz beobachtet den Gletscher seit seiner Kindheit. Der Gletscher war immer da, und er war immer Teil seines Lebens. Im Sommer ist er oft mit dem Vater auf den Gletscher gegangen. Vor fünfzig Jahren war er eineinhalb Kilometer groß, jetzt erstreckt sich das Eis nur noch über einen Kilometer. Fritz zeigt auf eine Baustelle, auf der gerade zwei Männer mit gelben Baustellenhelmen auf dem Kopf arbeiten. Mehr sieht man von oben nicht.
»Sie sprengen den Fels, damit sie Liftstützen versetzen können«, sagt Fritz. »Der Permafrost, auf dem sie bisher gebaut waren, taut auf.«
Die Seilbahn ruckelt und fährt langsam wieder los.
»Das mit der Gletscherschmelze muss man auch nicht so negativ sehen«, sagt Fritz, aber seine Augen sprechen eine andere Sprache. »Die meisten Skifahrer sind ohnehin nur noch die Kunstschnee-Pisten gewohnt. Die könnten auf Naturschnee gar nicht mehr fahren. Die da unten, was die zusammenfahren! Schau dir das an!«
Wir sind fast am Gipfel angekommen.