Talmi. Oskar Jan Tauschinski
>
Oskar Jan Tauschinski
TALMI
Roman
Herausgegeben und mit einem Nachwort
von Evelyne Polt-Heinzl
GESCHRIEBEN IM GEDENKEN AN
ALMA JOHANNA KOENIG
Inhalt
TRAVIATA SINGT FÜR SPORTLICHE JUGEND
DER HEILIGE MARTIN UND FRAU MÜLLER
DIE GROSSE WELT IM TRIESTINGTAL
PIROSCHKA ODER DAS STÜMPFCHEN FÜR DEN TEUFEL
GLANZLICHTER UND SCHLAGSCHATTEN
Oskar Jan Tauschinski oder Die Hoffnung auf Wirksamkeit am Epochenrand
EINLEITENDE INDISKRETIONEN
Gleich eingangs sei gesagt:
Die hier veröffentlichten Aufzeichnungen stammen nicht von mir, sondern von einer Dame, die unter keinen Umständen genannt werden will. Das wird jeder verstehen, der sich der Mühe unterzieht, das Folgende zu lesen. Nicht, daß die Dame Grund hätte, sich ihres Handelns zu schämen. Im Gegenteil! Sie schneidet recht gut bei ihren Bekenntnissen ab. Es liegt vielmehr an dem erzählten Stoff selbst, an dessen heiklem Charakter und an dem traurigen, nie so ganz aufgeklärten Ende des Helden.
Ich glaube, Frau Susanne befürchtet noch nachträglich, ins Gerede der Leute zu kommen und mit den in die Handlung verwobenen Personen – die sie nicht immer geschont hat – in Konflikt zu geraten. Der zweite, weit wichtigere Grund, der Frau Susanne veranlaßt, inkognito zu bleiben, ist die Tatsache, daß sie in verhältnismäßig späten Jahren ein neues Leben begonnen hat, gleichsam in einer neuen Welt wiedergeboren wurde und daher unbeschwert von jeder Erinnerung an ein früheres Erdendasein wie ein Kind ihr Glück genießen möchte. Ihr »voriges Leben«, wenn man sich dieser etwas metaphysischen Wendung bedienen darf, war schwer und traurig genug. Sie hat sich darin bewährt, hat den Mut nie sinken lassen, ist unverbittert und – trotz ihres verkrümmten Rückgrates – ziemlich aufrecht ihren Weg gegangen, und so muß man ihr das Glück gönnen, dessen sie in ihrer neuen Inkarnation teilhaftig geworden ist.
In Frau Susannens Fall lernt man wirklich an das Walten einer höheren Gerechtigkeit glauben, denn mit irdischen Dingen geht es nicht zu, wenn eine alleinstehende, verwachsene Frau nahe an Fünfzig, die obendrein kein Vermögen besitzt und von ihrer Hände Arbeit lebt, – heiratet. Nein, nicht einen verwitweten Pensionisten, auch keinen staubgrauen Buchhalter, der für drei unmündige Kinder sorgen muß und nun nach einer Verzweifelten sucht, die nichts mehr zu verlieren hat. – Susannens Mann, Mister Reginald C. Hopkins, war, als er um sie anhielt, ein recht hübscher, etwas blaß und kränklich aussehender Mensch Mitte der Dreißig. Er ist Botaniker, Leiter eines wissenschaftlichen Instituts in Montreal. Seine Schriften sollen in Fachkreisen bekannt und geschätzt sein. Ja, es ist möglich, daß der eine oder andere Leser seine Arbeiten kennt, ohne zu wissen, daß es die seinen sind, denn Mister Hopkins heißt natürlich in Wirklichkeit nicht Hopkins, sondern hat einen anderen englisch klingenden Namen, und sein Laboratorium ist auch nicht in Montreal, sondern in der Hauptstadt eines anderen Staates innerhalb des Commonwealth. Was aber stimmt, ist das Motiv seiner Heirat: Liebe. Ich kann seine Empfindung nicht teilen, aber ich kann sie doch gut verstehen. Susanne ist liebenswert, obgleich nicht immer liebenswürdig, und wenn man über die äußeren Mängel ihrer Erscheinung hinwegsehen lernt, so hat man wahrlich Chancen, sehr glücklich mit ihr zu werden. Jawohl! Die Chancen des Glücks sind durch diese Wahl für Mister Hopkins weit größer, als wenn er sich eine junge Person mit geradem Rücken ausgesucht hätte, deren Wesen noch nicht durch das Läuterungsverfahren des Lebens gegangen ist.
Ich habe Frau Susannens Manuskript für dieses Buch verwendet, indem ich die wirklichen Namen durch andere ersetzte, indem ich Begleitumstände, Ortschaften, Straßenbezeichnungen veränderte, indem ich ausließ, was mir allzu persönlich und intim erschien, und einflickte, was ich für wichtig und des Sagens wert erachtete.
Susanne Sedlak und Ernst Ronasek hießen in Wirklichkeit anders, wohnten in anderen Stadtvierteln und gingen anderen Beschäftigungen nach. Susanne ist nicht Keramikerin, wie ich es hier gleich behaupten werde, sondern in einer anderen Disziplin des Kunsthandwerks – als Meisterin ihres Faches! – tätig. Ja, sie ist nicht einmal bucklig, sondern hat ein anderes Körpergebrechen. Mehr sage ich nicht. Die platte Realität interessiert uns nicht weiter. Wir wollen ja eine literarische Gestaltung der Wirklichkeit, eine Deutung des alltäglichen Lebens in gekürzter, verdichteter und bewußt ins rechte Licht gerückter Form – wir wollen statt der Wahrheit die Wahrhaftigkeit, also einen Roman.
VON TÜREN UND KRIPPEN
Ich habe Susanne Sedlak im Jahre 1946 kennengelernt, im Herbst.
Wie alljährlich im November war ich auf der Suche nach passenden Weihnachtsgeschenken für meine Freunde. An Büchern und praktischen Dingen des täglichen Gebrauchs war noch nicht viel zu bekommen, so mußte man sich wohl oder übel zur Anschaffung von Sachen bequemen, die jeder mit den begeisterten Worten: »Wie hübsch!