Nils Holgerssons wunderbare Reise durch Schweden. Selma Lagerlöf
an Land begeben, sondern ruhten sich auf dem Wasser schaukelnd aus. Hin und wieder tauchten sie die Hälse ein und holten sich Futter vom Meeresgrund. Hatten sie etwas besonders Gutes erwischt, dann stießen sie laute Rufe aus, die wie Trompetenstöße klangen.
Der Nebel lag auf der Insel genauso dicht wie zuvor auf dem Meer. Als der Junge die Schwäne im flachen Wasser hörte, eilte er zu den Tangbänken hinaus. Er hatte Glück und kam ganz dicht an sie heran.
Er war nicht der Einzige, der die Schwäne vernommen hatte. Auch Wildgänse und Graugänse, Enten und Taucher schwammen zu den Bänken, umgaben die Schwäne wie ein Ring und starrten sie an. Die Schwäne plusterten ihr Gefieder, hoben die Flügel wie Segel und reckten die Hälse hoch empor. Manchmal näherte sich einer von ihnen einer Gans oder einem Prachttaucher und äußerte ein paar Worte. Dann sah es aus, als wagte der Angesprochene kaum den Schnabel zur Antwort zu öffnen.
Aber da war auch ein kleiner Sterntaucher, ein schwarzes übermütiges Bürschchen, das all diese Feierlichkeit nicht ertrug. Er tauchte blitzschnell und verschwand unter der Oberfläche. Gleich danach schrie einer der Schwäne auf und schwamm so schnell davon, dass das Wasser schäumte. Nach einer Weile hielt er an und wirkte nun wieder ganz majestätisch. Doch bald schrie ein zweiter Schwan genauso, und dann schrie ein dritter.
Jetzt konnte der Sterntaucher nicht länger unter Wasser bleiben, sondern erschien an der Oberfläche: klein, schwarz und boshaft. Die Schwäne stürzten auf ihn los, doch als sie sahen, was für ein armer Wicht er war, machten sie kehrt, als wäre es unter ihrer Würde, sich mit ihm anzulegen. Da tauchte der Sterntaucher ein zweites Mal unter und kniff sie in die Füße. Das tat sicher weh, und am schlimmsten für die Schwäne war, dass sie dabei ihre stolze Haltung einbüßten. Plötzlich wurde es ihnen zu viel. Sie schlugen mit den Flügeln, dass es klatschte, schienen ein langes Stück über das Wasser zu laufen, bekamen endlich Luft unter die Flügel und hoben ab.
Als die Schwäne verschwunden waren, trauerten ihnen die anderen Vögel nach, und jene, die zuvor an den Streichen des Sterntauchers ihren Spaß gehabt hatten, tadelten ihn jetzt für seine Unverschämtheit.
Der Junge kehrte an Land zurück und sah sich nun die Spiele der Wasserläufer an. Sie glichen winzigen Kranichen, hatten wie sie einen kleinen Körper, lange Beine und lange Hälse und bewegten sich leicht und schwebend, waren aber nicht grau, sondern braun. Sie standen in einer langen Reihe am Wellensaum, und sobald sich eine Welle näherte, wich die ganze Reihe zurück, um ihr dann wieder in die entgegengesetzte Richtung zu folgen. So liefen sie stundenlang hin und her.
Am hübschesten von allen Vögeln waren die Brandenten. Sie waren zwar mit den gewöhnlichen Enten verwandt und hatten den gleichen schweren, gedrungenen Körper, einen breiten Schnabel und Schwimmhäute zwischen den Zehen, waren aber viel prächtiger gekleidet. Ihr eigentliches Federgewand war weiß, um den Hals trugen sie ein breites gelbes Band, ihr Flügelspiegel glänzte grün, rot und schwarz, die Flügelspitzen waren schwarz, und ihr Kopf war schwarz-grün und schillerte wie Seide.
Sowie einige von ihnen am Strand erschienen, sagten die anderen Vögel: »Seht euch mal die an! Die können sich aber aufdonnern!«
»Wenn sie nicht so prunken würden, brauchten sie ihre Nester nicht in den Boden zu graben, sondern könnten sich offen zeigen wie andere Leute«, sagte ein braunes Stockentenweibchen.
»Sie können sich noch so viel Mühe geben, wer so eine Nase hat wie sie, der sieht nie nach etwas aus«, sagte eine Graugans. Und das stimmte wirklich. Die Brandenten hatten an der Schnabelwurzel eine große Knolle, die ihnen das Aussehen verdarb.
Dicht am Strand flogen Möwen und Seeschwalben über das Wasser und fischten. »Was holt ihr denn da für Fische hoch?«, fragte eine Wildgans.
»Das sind Stichlinge, Ölandstichlinge. Das sind die besten Stichlinge von der Welt«, sagte eine Möwe. »Willst du mal kosten?« Und sie näherte sich der Gans, den Schnabel voll von kleinen Fischen.
»Nein, pfui! Glaubst du, ich will so etwas Scheußliches essen?«, entgegnete die Wildgans.
Am nächsten Morgen war der Nebel noch genauso dicht. Die Wildgänse ästen auf der Wiese, und der Junge ging derweil am Strand entlang und sammelte Muscheln, die es hier reichlich gab. Als er daran dachte, dass er am nächsten Tag vielleicht an einem Ort landete, wo es gar nichts zu essen gab, beschloss er, sich einen kleinen Behälter anzufertigen und mit Muscheln zu füllen. Auf der Wiese entdeckte er altes Riedgras, das zäh und haltbar war, und machte sich nun daran, einen Ranzen daraus zu flechten. Diese Arbeit dauerte mehrere Stunden, aber dann war er mit dem Ergebnis auch sehr zufrieden.
Um die Mittagszeit kamen sämtliche Wildgänse gelaufen und fragten ihn, ob er den weißen Gänserich gesehen habe. »Nein, der ist nicht bei mir gewesen«, sagte der Junge.
»Eben war er noch mit uns zusammen«, sagte Akka, »aber jetzt wissen wir nicht mehr, wo er ist.«
Der Junge bekam einen großen Schreck und fuhr auf. Er fragte, ob sie irgendeinen Fuchs oder einen Adler oder einen Menschen in der Nähe gesehen hätten. Doch niemand hatte etwas Gefährliches bemerkt. Der Gänserich hatte sich wohl nur im Nebel verirrt.
Wie immer der Gänserich verschwunden sein mochte – das Unglück blieb für den Jungen gleich groß, und er machte sich sofort an die Suche. Der Nebel gab ihm zwar Schutz, so dass er überall ungesehen herumlaufen konnte, doch selbst konnte er darin auch nicht viel sehen.
Er suchte, bis die Dämmerung hereinbrach. Doch als er nun zurückwanderte, wer kam ihm da groß und weiß im Nebel entgegen? Der Gänserich! Er war völlig unverletzt und freute sich sehr, dass er nun endlich einen der anderen gefunden hatte. Der Nebel habe ihn so verwirrt, sagte er, dass er den ganzen Tag nur auf der großen Wiese herumgelaufen sei. Der Junge umarmte ihn vor Freude und bat ihn, er solle ja auf sich achtgeben und sich nicht wieder von den anderen entfernen. Und das versprach der Gänserich hoch und heilig. Er werde es bestimmt nicht wieder tun.
Doch als der Junge am nächsten Morgen am Strand Muscheln suchte, kamen die Wildgänse gelaufen und fragten ihn, ob er den Gänserich gesehen habe.
Nein, das hatte er nicht. Jetzt war der Gänserich also wieder verschwunden. Er hatte sich im Nebel verirrt wie am Tag zuvor.
Den Jungen packte ein großes Entsetzen, und sofort machte er sich ans Suchen. Doch er konnte den Gänserich nicht finden, und als es Abend wurde und er zum Strand zurückkehren musste, war er davon überzeugt, dass sein Reisekamerad verloren sei.
Auf einmal glaubte er in einem Steinhaufen eine Bewegung zu bemerken. Er schlich sich näher heran und entdeckte nun den Gänserich, der, den Schnabel voll langer Wurzelfasern, mühsam den Steinhaufen erklomm. Er sah den Jungen nicht, und der rief ihn auch nicht an, sondern wollte erst einmal herausbekommen, warum der Gänserich immer wieder verschwand.
Bald erfuhr er den Grund. Auf dem Steinhaufen lag eine junge Graugans, die einen Freudenschrei ausstieß, als sich der Gänserich näherte. Der Junge schlich sich noch dichter heran, um ihr Gespräch zu belauschen. Da hörte er nun, dass die Graugans den einen Flügel nicht bewegen konnte, dass ihre Schar ohne sie abgereist war und sie allein zurückgelassen hatte. Sie war dem Hungertod nahe gewesen, doch am Tag zuvor hatte der Gänserich ihre Rufe gehört und sie aufgesucht. Seitdem versorgte er sie ständig mit Nahrung. Obwohl beide gehofft hatten, die Graugans würde vor der Abreise des Gänserichs genesen, konnte sie bis jetzt weder fliegen noch laufen. Darüber war sie sehr traurig, aber der Gänserich tröstete sie mit der Versicherung, er werde noch lange hierbleiben. Schließlich wünschte er ihr eine gute Nacht und versprach, am nächsten Tag wiederzukommen.
Der Junge ließ den Gänserich davonziehen, und sobald dieser außer Sicht war, kletterte er leise auf den Steinhaufen. Er wollte dieser Graugans sagen, dass der Gänserich ihn nach Lappland bringen müsse. Es komme überhaupt nicht in Frage, dass er ihretwegen hierbleiben dürfe. Doch als er die junge Gans nun aus der Nähe sah, verstand er, warum ihr der Gänserich zwei Tage lang Futter gebracht hatte. Sie hatte ein wunderschönes Köpfchen, seidenweiche Federn und sanfte, flehende Augen.
Als sie den Jungen erblickte, versuchte sie wegzulaufen. Aber ihr linker Flügel war ausgerenkt und schleifte über