Seit ich dich kenne .... Jascha Alena Nell

Seit ich dich kenne ... - Jascha Alena Nell


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waren die bisherigen Interviews ganz gut gelaufen, ich kam charmant und sympathisch rüber, hatte größtenteils positive Presse. Ich wurde als „Aufsteigendes Sternchen am Modelhimmel“ betitelt und in einer Umfrage wurde mir sogar die Ehre zuteil, als „Sexiest Newcomer 2003“ bezeichnet zu werden.

      Ich arbeitete quasi jeden Tag, seit ich bei dieser Agentur unter Vertrag stand. Dauernd kamen irgendwelche Leute zu mir und wollten irgendwas, dauernd hatte ich Termine, musste zu irgendwelchen Anproben, um meinen Stil zu finden, wie es hieß, und abends war laufen mit Volker angesagt.

      Joachim und ein Haufen anderer beeindruckender Leute mit noch beeindruckenderen Jobbezeichnungen brachten mir eine Menge Dinge bei, die ich anwenden sollte, wenn ich zu meinem ersten Casting ging.

      Maike, eine süße Fotografin aus Berlin-Schöneberg, machte sich zusammen mit einem Creative Director namens Clemens, einer Maskenbildnerin namens Luisa und der Fotostylistin Vera daran, ein Portfolio für mich zu entwickeln, damit ich später bei Castings etwas vorzuweisen hatte. Es ging mir ziemlich auf die Eier, dass die vier an mir herumzupften, -malten, -schminkten und mich in einem fort herumkommandierten. Fakt war aber, dass Clemens’ Ideen genial waren, Luisas Verschönerungen an mir ein echter Hit, Veras in Szene gesetzte Locations wundervoll und Maikes Fotos lebendig, professionell und geradezu perfekt.

      „Wir sind Profis“, stellte sie grinsend klar, als ich mich über die gelungenen Bilder wunderte, „wir machen unsere Sache entweder richtig oder gar nicht.“

      Seither hatte ich einige Castings in ganz Deutschland gehabt, Joachim hatte mich ziemlich herumgescheucht. Vier Jobs hatte ich bisher bekommen, nicht gerade eine hohe Erfolgsquote, aber ein netter Anfang mit netten Gagen. Und ich zierte, dank Job Nummer drei, einer Werbung für ein Gartenbaumagazin, nun sämtliche Litfaßsäulen deutschlandweit. Auf den Plakaten schob ich grinsend einen Rasenmäher über eine grasgrüne Wiese, trug einen albernen Strohhut und sah absolut lächerlich aus, aber meine gebleachten Zähne strahlten schneeweiß. Und am Anfang durfte man nicht wählerisch sein, es würde der Tag kommen, an dem ich für andere Dinge als Rasenmäher oder Duschgel warb.

      Die Pralinenwerbung in der Schweiz für den Pralinenhersteller Witzigmann hatte mir bisher am meisten Spaß gemacht, denn wir hatten ein tolles Filmteam gehabt, tolle Fotografen, meine Modelkollegin war nett und wunderschön gewesen, süßer als all die Pralinen. Außerdem hatte man uns ein Mitspracherecht eingeräumt, wie wir den Werbespot gestalten wollten, und die Kreativität hatte geradezu Funken geschlagen. Überhaupt waren all die Menschen, die in den letzten Monaten in mein Leben getreten waren, sehr inspirierend und weckten in mir den Willen, die Sehnsucht danach, ebenfalls so erfolgreich zu sein. Ich war bereit, meine ganze Kraft in diese Sache zu stecken, die mir wirklich wichtig war ‒ das Modeln. Es war inzwischen mehr als ein Job für mich, es war etwas, das mir Spaß machte, das ich gut konnte. Zum ersten Mal schien ich ein wirkliches Talent zu haben.

      Ich hatte die Gelegenheit bekommen, etwas aus mir zu machen, etwas Großes zu erreichen. Diese Chance bekam nicht jeder, und sicher bekam man sie auch nur einmal im Leben. Deshalb hatte ich mir fest vorgenommen, sie zu nutzen. Das hier würde ich nicht versauen.

      Nun stieg ich tropfend aus der Dusche, schnappte mir eines der weichen weißen Hotel-Frotteehandtücher und rubbelte mich damit notdürftig trocken, ehe ich Boxershorts, eine kurze schwarze Hose, ein schwarz-weiß gestreiftes T-Shirt mit V-Ausschnitt und darüber ein schwarzes Jackett anzog, dazu schwarze Sandalen. Das war jetzt mein neuer Stil, so hätte ich mich früher niemals angezogen. Aber mittlerweile gefielen mir die Sachen, die nun meinen Kleiderschrank bevölkerten.

      Meine Modeberaterin Corinne und ich hatten meine Garderobe zusammengestellt und fast meine gesamten alten Klamotten dem Roten Kreuz gespendet.

      „Herzchen, das ist ja ganz nett für einen gewöhnlichen Zwanzigjährigen, aber wenn du in der Modewelt Fuß fassen willst, musst du umdenken“, hatte sie mir entschieden erklärt und mir einen Stapel Hemden gereicht. Dabei trug ich normalerweise nie Hemden. Im Übrigen auch keine Hüte, Krawatten und Jacketts. Tja, die waren nun aber Hauptbestandteile meiner Outfits. Dazu blank polierte Lederschuhe, nagelneue Turnschuhe und schicke Sommerschuhe.

      Jetzt hatte ich es ziemlich eilig, es war bereits weit nach halb eins. Ob der Rotschopf noch da war? Ich hoffte es mit einer Inbrunst, die mich selbst erstaunte. Ich würde mir nie verzeihen, wenn sie nun dächte, ich hätte sie reingelegt und nie vorgehabt, mich mit ihr zu treffen. Denn so war es nicht. Ich hatte wirklich vorgehabt, sie zu treffen, und dann verschlafen. Es erstaunte mich selbst, dass ich sie unbedingt wiedersehen wollte und dass mir so viel an der Meinung lag, die sie von mir hatte oder haben könnte. Aber es war nun mal so.

      Ich warf einen raschen Blick in den Spiegel, stellte fest, dass ich aussah wie zweimal durchgekaut und falsch herum wieder ausgespuckt, mit angeschwollenen Tränensäcken, gesprungenen Lippen und der Blässe eines Leintuchs, aber es war nun nicht mehr zu ändern. Ich konnte nicht abwarten, bis ich besser aussah, ich musste los.

      Nachdem ich mein Handy und das Portemonnaie in meinen Hosentaschen verstaut hatte, verließ ich das Hotel und trabte zur Metro.

      Mein Hotel lag direkt gegenüber der Haltestelle, sodass ich keinen weiten Weg hatte. Joachim hatte es für mich gebucht, es war Luxus pur. Ein Fünfsternehotel mit sämtlichem Komfort ‒ Frühstück aufs Zimmer, eine riesige Badewanne, hoteleigener Swimmingpool, Dachterrasse, 24-Stunden-Service. Und von meiner Fensterfront im Zimmer aus hatte ich einen fantastischen Blick über die Stadt.

      Mein Zimmer war groß, geräumig und hell, ein Kingsizebett, in dem locker vier bis fünf Personen Platz gehabt hätten, stand darin. Es gab eine Minibar, die gefüllt war mit allem, was das Junggesellenherz begehrte, eine Sitzgruppe aus dunklen Ledersesseln und einer überdimensionalen Couch, einen Glastisch, auf dem eine Karaffe mit frischem Wasser stand, einen großen Kleiderschrank nebst Regal, in dem ein kleiner Fernseher untergebracht war, der allerdings ein unglaublich farbiges, scharfes Bild hervorbrachte. Jeden Tag fand ich frische Blumen in der Vase auf dem Sideboard neben der Eingangstür vor und das danebenliegende Badezimmer blitzte stets vor Sauberkeit. Ich hatte das niedliche Zimmermädchen in dem kurzen roten Outfit schon mehrmals eingelassen, kurz bevor ich aufgebrochen war, und wir hatten mit Blicken etwas geflirtet.

      Das Badezimmer war ebenfalls ziemlich cool, es gab eine riesige Marmorbadewanne, in der zwei Leute bequem liegen konnten, eine Dusche, zwei Waschbecken, eine Spiegelwand und ein an der Wand befestigtes Regal, auf dem zahlreiche Duschutensilien aufgereiht waren. Außerdem gab es einen kleinen Schrank voller Handtücher und mit dem obligatorischen weißen Frotteebademantel, in dem ich morgens normalerweise immer herumlief.

      Des Weiteren wurde man in diesem Hotel mit dem köstlichsten Frühstück überhaupt verwöhnt, es gab nichts, was es nicht gab, ich hatte bereits die ganze Karte einmal rauf und runter bestellt und aß so viel wie nie zuvor zum Frühstück.

      Ich hatte mich mit Massagen verwöhnen lassen und den Geruch der ätherischen Öle genossen, der sanft dahinplätschernden Musik gelauscht und gedöst, während die kleinen, erstaunlich kräftigen Hände der Masseuse meine verspannten Schultern durchkneteten und dabei ordentlich zu tun hatten mit meiner Muskelmasse. Ich war mir ziemlich sicher, dass die Lady am Ende der Massage einen Krampf in den Händen gehabt hatte.

      Es gab einen Fitnessraum, in dem ich die tolle, kompetente Betreuung des Fitnesstrainers Carlos erhielt, und an der Hotelbar bekam man von der temperamentvollen, kurvigen Barkeeperin Estelle jede erdenkliche Art von Cocktail und ein super Gespräch. Mein Spanisch hatte sich enorm verbessert, seit ich hier war. Vor meiner Anreise hatte ich in Berlin einen Crashkurs in Spanisch belegt (Joachim hatte darauf bestanden) und mittlerweile war ich ganz froh darüber, ihn gemacht zu haben, denn mein Schulenglisch war mehr als lausig, außerdem hatte ich die Hälfte eh schon wieder vergessen.

      In der Volkshochschule, wo ich den Spanischsprachkurs belegt hatte, hatte ich erstaunt festgestellt, dass es mir gefiel, eine neue Sprache zu lernen, es bereitete mir Vergnügen, fremde Texte zu lesen und Vokabeln zu lernen. In der Schule hatte ich es immer gehasst, für Englisch büffeln zu müssen, nichts schien einen Sinn zu ergeben, mehrere Wörter hatten die gleiche Bedeutung, andere Wörter klangen nur gleich ... ich raffte es


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