Grundlagen des Methodischen Handelns in der Sozialen Arbeit. Franz Stimmer
muss. Eine Problemlösung in diesem Sinne ist ein zirkulärer Prozess, d. h. dass Evaluation eine ständige Aufgabe im Gesamtverlauf ist und unter Umständen dazu führt, auch nach Beginn der spezifischen Interventionen wieder zur Problemanalyse zurückzukehren usw. Durch die Pfeile der Abbildung 5 soll ausgedrückt sein, dass methodisches Handeln in der Sozialen Arbeit nicht unilinear sein kann, sondern dass es viele Schleifen gibt und Schritte zurück auf allen Stationen dieses Prozesses eventuell notwendig werden. Es stellt sich dann auch die Frage, ob sich durch den Handlungsprozess die Situation positiv verändert hat, ob sie gleichgeblieben ist oder sich gar verschlechtert hat. Dann sind u. U. Fragen zu stellen nach den wirksamen Variablen, die die Situationsveränderung oder auch deren Stagnation verursacht haben und ob diese innerhalb oder außerhalb des sozialpädagogischen Handlungssystems oder auch in beiden zu finden sind.
Der zirkuläre Problemlösungsprozess beinhaltet idealtypisch alle Phasen vom Erstkontakt bis zum Abschluss der gemeinsamen Arbeit zwischen KlientInnen und Fachkräften. Der Weg, der hier aufgezeigt wird, ist weder normativ noch unilinear, weder zeitlich begrenzt noch inhaltlich limitiert, weder auf Arbeitsfelder noch auf Arbeitsformen beschränkt, jedoch sind in diesem Modell die wesentlichen Aspekte des prozesshaft-zirkulären methodischen Handelns benannt. Der sozialpädagogischen Kreativität und Kompetenz von Fachkräften unterliegt es, situationsspezifisch die passende Auswahl – angeregt durch das Orientierungsraster (
Abb. 5: Zirkulärer Prozess des methodischen Planens und Handelns
3.5.1 Zugänge und Erstkontakt
Die Zugänge zum Angebot der Sozialen Arbeit sind mehr oder weniger deutlich selbstbestimmt, häufig jedoch auch in diversen Variationen fremdbestimmt. Nach dem Grad der Selbstbestimmung kann u. a. unterschieden werden:
Zugang
• über eigene Einsicht und Motivation,
• über Anregung durch Ärzte, Heilpraktiker, Hebammen, Rechtsanwälte …,
• über Bitten, Drängen und Androhung durch Partner, Eltern, Kinder, Freunde, Arbeitgeber, Kollegen …,
• über die Vermittlung verschiedener – auch kontrollierender – Fachstellen (Jugendamt, Agentur für Arbeit …),
• als Auflage (verkehrspsychologische Beratung im Rahmen der Medizinisch-Psychologischen-Untersuchung (MPU), Schwangerschaftskonfliktberatung),
• über einen Gerichtsbeschluss (Beratung/Therapie statt Strafe).
Der Erstkontakt erfolgt häufig während einer krisenhaften Zuspitzung eines Problems, dann, wenn der Leidensdruck besonders ausgeprägt ist: wenn der Gerichtsvollzieher zum wiederholten Male pfändet, wenn das Mobbing der Kollegen den Schlaf raubt, wenn der Ehemann wieder einmal zugeschlagen hat, wenn der Alkoholmissbrauch zum Scheidungsanwalt führt oder wenn die Eltern verzweifeln und den aggressiven Attacken ihrer Tochter hilflos ausgeliefert sind. Das heißt, dass Menschen, die – wie immer auch angeregt – Hilfe suchen, schon ein gewisses Maß an meist noch sehr labiler Veränderungsbereitschaft zeigen. Daraus lässt sich unschwer ableiten, dass der Erstkontakt, wo und wie immer er stattfindet, eine zentrale weichenstellende Funktion für den weiteren Verlauf hat, in dem dann vielleicht auch die Veränderungsmotivation in eine Inanspruchnahmemotivation (für Hilfsangebote) übergeht. Im Erstkontakt besteht zumindest die Chance, eine krisenhafte Situation schon etwas zu mildern und – bei einer verständigungsorientierten Haltung (
Der Weg bis zum Erstkontakt ist aber nur selten geradlinig, sondern eher das Ergebnis vieler Einflussfaktoren wie das folgende Beispiel zeigt:
Viele Köche verderben den Brei – nicht immer!
Die Eltern des 17-jährigen Karl »schieben« ihn in ein Internat »ab«, wo er wenigstens das Zeugnis der »Mittleren Reife« erhalten soll, was bisher wegen seiner schlechten Noten undenkbar war. Besser wäre es natürlich, wenn er das Abitur machen würde. Karl ist immer wieder aufgefallen, als er betrunken nach Hause kam. Wenn er mit zwei Kumpels, die er selbst nicht als Freunde bezeichnete, in seinem Zimmer vor dem Computer saß, roch es manchmal eigenartig aus dem Zimmer. Die Eltern vermuteten, dass dort »gekifft« wird, was Karl vehement verneinte. Er war oft sehr zurückgezogen, dann auch wieder wegen Kleinigkeiten sehr aggressiv. Er ging aber in das Internat – »ich muss ja!« – und lernte schon am ersten Tag einen Mitschüler kennen, der, wie sich später herausstellte, schon erhebliche Erfahrungen mit einem verstärkten Alkohol- und Haschischkonsum hatte. Die weitere Entwicklung ging in die Richtung, dass Karl Zugang zu einem Kreis fand, in dem nicht nur konsumiert, sondern auch gedealt wurde. Den Betreuern, mit denen er einen guten Kontakt hatte, fiel das nach kurzer Zeit auf, es kam zu Gesprächen und auch zu drei Abmahnungen. Eine weitere Abmahnung würde bedeuten, dass er das Internat verlassen müsste. Der Wendepunkt kam, als er im Internat eine 18-jährige Mitschülerin kennen lernte, die dann seine Freundin wurde. Von da an nahm er die Möglichkeit – wie von den Betreuern nachdrücklich angeboten – wahr, im Internat mit einer Psychologin – zunächst widerwillig – Gespräche zu führen, die inhaltlich weit über den Drogenmissbrauch hinausgingen. Seine Freundin achtete sehr darauf, dass er sich nicht betrank, was ihn meist sehr aggressiv machte (»das ist meine Sache«, »ich lasse mich nicht unterdrücken«, »ich möchte auch mit meinen Kumpels feiern«), was aber insgesamt gesehen wirksam war. Mit seinem Vater, zu dem er trotz vieler Auseinandersetzungen ein sehr gutes Verhältnis hatte, kam es zusätzlich zu zwar meist kurzen aber emotional sehr offenen Gesprächen. Zur Verwunderung aller ging Karl von sich aus – mit ein wenig Unterstützung durch seine Freundin – zum Internatsarzt, ließ sich von ihm eine Adresse einer Drogenberatungsstelle geben, zu der er wöchentlich regelmäßig – neben den Gesprächen mit der Psychologin – zu den Beratungsterminen kam. Der Anfang war gemacht.
3.5.2 Erstgespräche
Nach dem Erstkontakt sollte möglichst bald darauf das Erstgespräch folgen, um den noch häufig sehr labilen Wunsch nach Veränderung aufzugreifen, zu fördern und zu stabilisieren. Längere Wartezeiten führen – mangels Alternativen – meist zu einer Beschleunigung des konflikthaften Verhaltens.