Grundlagen des Methodischen Handelns in der Sozialen Arbeit. Franz Stimmer
und den Leistungsgebern regeln soll. Allgemein bezeichnet dieses Prinzip den Vorrang der kleineren Gemeinschaften (etwa Familie und wohlfahrtsstaatliche Verbände wie Caritas oder Diakonisches Werk) gegenüber staatlichen Trägern, was auch die Unterstützung dieser kleineren Gemeinschaften durch die größere Einheit mit einschließt (oder es zumindest sollte). Neben den großen wohlfahrtsstaatlichen Verbänden existieren heute eine Reihe kleinerer sozialer Inititiativen, vor allem auch aus der Selbsthilfebewegung, so dass neben den staatlichen und den kommerziellen Trägern sozialer Hilfeleistungen ein »Dritter Sektor« entstanden ist, der ebenfalls die aus dem Sozialstaatsprinzip, der Sozialpolitik und dem Sozialrecht ableitbaren Aufgaben erfüllt und nach dem Subsidiaritätsprinzip eine öffentliche Förderung und mehr rechtliche und finanzielle Eigenständigkeit fordert (
4.4 Ethik und Recht
4.4.1 Ethik und Moral
Die Begriffe Ethik und Moral werden in der Literatur und im Alltag oft widersprüchlich verwendet, häufig auch einfach gleichgesetzt. Im Folgenden werden sie unterschieden und in ihrer Wechselwirkung beschrieben.
Gegenstand der Ethik sind moralische Phänomene und Werte (Wertlehre, Wertphilosophie oder Axiologie). Insofern ist sie eine »Reflexionstheorie der Moral« (Luhmann) oder Moralphilosophie. Sie formuliert und reflektiert Möglichkeiten guten und gerechten Handelns als Leitsätze (mit Werten wie Würde oder Emanzipation). Moral dagegen ist auf konkretes Handeln bezogen, sie ist die konkrete Umsetzung ethischer Prinzipien (über Normen wie: »Du sollst Manipulationen vermeiden!«). Ethik als Werte-, Bewertungs- und Begründungssystem bietet somit Reflexionsmaßstäbe für die Moral als System normierter Handlungsanweisungen. Speziell für das Methodische Handeln in der Sozialen Arbeit sind die deskriptive Ethik (Fragen nach den biologischen, psychologischen, sozialen und historischen Grundlagen der Moral) und die Metaethik (Fragen nach den erkenntnistheo-retischen und sprachphilosophischen Grundlagen moralischer Bewertungen) randständig, wenn theoretisch auch interessant. Im Zentrum steht hier also die normative (präskriptive) Ethik, die moralisches Handeln diskutiert, es zu begründen und zu systematisieren versucht und danach beurteilt, ob die ethischen Prinzipien dabei erfüllt werden oder nicht bzw. in welchem Ausmaß dies gelingt. Insofern hat sie eine Kompassfunktion zur Beurteilung konkreten Handelns.
Für die Ethik und die daraus abgeleitete Moral methodischen Handelns in der Sozialen Arbeit gelten natürlich die allgemein verbindlichen Werte und Regelungen, die eine Kultur oder noch umfassender die Menschheit kennzeichnen, wie das Recht auf Leben bzw. die Forderung »Du sollst nicht töten!«, daneben gibt es aber spezifische Betonungen in Teilbereichen dieser Werte und Normierungen und es bestehen vor allem detaillierte Vorstellungen, die den sozialpädagogischen Arbeitsbereich allgemein und in besonderer Weise kennzeichnen (
4.4.2 Berufsethik – Praxisethik
Soziale Arbeit hat ihr Aufgabenfeld im sozialstaatlichen Rahmen mit seinen sozialpolitischen und sozialrechtlichen Ausformungen unter Einbeziehung weiterer spezieller Vorgaben wie durch das Kinder- und Jugendhilfegesetz (KJHG bzw. SGB VIII) zu gestalten, wozu eine ausreichende inhaltlich-sachliche Kompetenz und Beziehungskompetenz (
Zentral ist die normative (präskriptive) Ethik, über die konkretes Handeln hinterfragt, begründet, systematisiert und danach beurteilt werden kann, ob die ethischen Prinzipien dabei erfüllt werden (moralisches Handeln) oder nicht. Ethik wird so zum Maßstab auch für methodisches Handeln. Darüber hinaus hat Ethik noch eine allgemeinere Funktion, nämlich eine Begründung für die Legitimation Sozialer Arbeit überhaupt zu liefern (Sozialphilosophie) oder auch Fragen zu klären, inwiefern bestimmte und scheinbar selbstverständliche Vorstellungen der Sozialen Arbeit wie Emanzipation oder Autonomie oder das Recht auf freie Meinungsäußerung Allgemeingültigkeit beanspruchen können oder auch inwiefern anscheinend universell anerkannte Leitsätze wie das Selbstbestimmungsrecht in spezifischen Bereichen Sozialer Arbeit unhinterfragt übernommen werden dürfen, etwa bei der Sterbehilfe oder bei Suizidankündigungen. Dies alles sind Inhalte einer sozialpädagogischen Berufsethik, so dass der Bereich, um den es hier ganz speziell geht, nämlich die Beziehung zwischen den Fachkräften und den KlientInnen der Sozialen Arbeit (
Dass die Praxisethik der Sozialen Arbeit als reine Erfolgsethik zu kurz greift, leuchtet ein, selbst wenn dies im Gefolge eines Evaluierungsdrucks – möglichst erfolgreich sein zu müssen, um weiter Gelder zu erhalten – oder auch einer »Ökonomisierung« sozialpädagogischen Vokabulars, was sich dann in Begriffen wie Leistungs- und Kundenorientierung ausdrückt, manchmal auch anders erscheint. Eine Praxisethik Sozialer Arbeit kann auch keine monologische, einseitige (Gesinnungs-)Ethik sein, sondern ist nur als dialogische, zwei- oder mehrseitige (Verantwortungs-)Ethik vorstellbar.
In Weiterführung der Gedanken Max Webers, der den modernen ethischen Lebensstil in einer Verbindung zwischen Gesinnungs- und Verantwortungsethik sieht (1964, S. 70), hat Schluchter diese Lebensstile weiter differenziert (1980, S. 37):
Bei der Gesinnungsethik steht die moralische Angemessenheit einer Handlung über ihren Erfolg (Metapher: »Kompass« – »Norden« gibt die Richtung ohne wenn und aber vor): »Alkoholismus ist eine Sünde, deshalb müssen alle Alkoholiker erst zu Gott finden.« Die Durchsetzung der – wie auch immer begründeten – Vorstellung eines »guten« und »gerechten« Lebens steht hier im Vordergrund. Die tatsächlichen Folgen einer Handlung – z. B. weiterer Drogenkonsum – sind dabei bedeutungslos für ihre Beurteilung.
Bei der Anpassungsethik steht der Erfolg einer Handlung über ihrer moralischen Angemessenheit (Metapher: »Computer« – Gute Programme führen immer zum Erfolg): »Es ist bewiesen, dass Antabus bei Alkoholikern bezüglich der Abstinenz wirksam ist, also wenden wir es an.« Das Erreichen eines (vom Professionellen) definierten Ziels mit allen Mitteln ist hier vorrangig (»Gut ist was nützt!«). Antabus (Disulfiram) ist ein Medikament, das bei einem gleichzeitigen Konsum von Alkohol Unverträglichkeitsreaktionen auslöst, die zu Übelkeit, Kopfschmerzen etc. führen und über diesen Mechanismus Alkoholiker abhalten sollen, zu trinken oder weiter zu trinken. Allerdings sind schwerwiegende Folgen