Unterwegs mit dir. Sharon Garlough Brown
vor, sie stände am Ufer und sähe aus der Ferne zu. Eine warme Brise strich über ihr Gesicht, und die Sonne schien ihr in die Augen.
„Folgt mir nach“, sagte Jesus gerade zu den Jüngern.
Voller Neid beobachtete Mara die Szene. Wie gern würde sie zu den Erwählten gehören! Sie fühlte ihre Freude mit, als sie einer nach dem anderen aufstanden und ihre Arbeit zurückließen. Sie ließen die Netze fallen, und mit strahlenden Gesichtern und funkelnden Augen verabschiedeten sie sich von ihren Angehörigen und Freunden.
Bittere Tränen brannten in Maras Augen, als sich die Szene in ihrem Kopf abspielte. Jesus würde sie wieder übersehen. Er würde an ihr vorbeigehen. Mara konnte es nicht ertragen zuzusehen, wie er mit den anderen davonging, darum senkte sie den Blick auf ihre Füße.
Und plötzlich berührte sie jemand an der Schulter. Als sie aufblickte, stand Jesus vor ihr. Er lächelte sie an. So ein Lächeln hatte sie noch nie gesehen – es hieß sie in seinem inneren Kreis aus Licht willkommen. „Mara, komm mit mir“, sagte er. „Ich wähle dich. Kommst du mit?“
Maras erster Gedanke galt ihrem Gepäck. Sie schleppte so viel mit sich herum, war umgeben von Koffern und Taschen. Wie konnte sie ihm folgen?
Jesus lächelte. „Lass es einfach stehen“, sagte er leise lachend. Und das Lachen war das mitfühlendste, das sie je gehört hatte. Er legte den Kopf in den Nacken, blickte in den Himmel und rief: „Danke, Vater!“ Dann ergriff er ihre Hand, und sie gingen gemeinsam davon.
Mara drückte ihre Handflächen fest gegen ihre Augen, um ihre Gefühle in Schach zu halten. So etwas hatte sie noch nie erlebt. Natürlich hatte sie sich auch noch nie vorgestellt, Teil einer biblischen Geschichte zu sein. Was sollte sie jetzt also davon halten? Sie traute ihrer Fantasie nicht. Sie hatte einfach ihr Wunschdenken und ihre Sehnsucht nach Aufmerksamkeit in die Übung projiziert. War es nicht so? Es kam ihr vor wie ein Wachtraum – eine Art der Verarbeitung ihrer unterbewussten Gedanken und Hoffnungen. Vielleicht hatte sie auch nur zu viele Liebesromane gelesen und sich vorgestellt, von einem Helden geliebt und erwählt zu werden.
Aber es war ihr so real erschienen. Wenn es nur wahr wäre. Wenn nur … Leise kramte sie nach einem Taschentuch. Sie wollte die anderen nicht durch ihr Schniefen stören. Eine leichte Berührung an ihrer Schulter jedoch zeigte, dass sie sich bereits verraten hatte. Hannah reichte ihr eine Packung Taschentücher und schenkte ihr ein pastorales Lächeln.
Hannahs Gedanken waren so laut in der Stille des Raumes, dass sie sich nicht gewundert hätte, wenn jemand sie gehört hätte.
Mara. Mit Mara passierte etwas. Warum weinte sie? Hoffentlich war sie nicht besorgt, weil sie ihre Therapeutin erwähnt hatte. Trotz Hannahs Versuch, die greifbare Spannung am Tisch abzubauen, brauchte man keine Expertin in der Deutung von Körpersprache zu sein, um Charissas Reaktion einzuschätzen. Ihre steife Haltung und die hochgezogenen Augenbrauen verrieten deutlich ihre Missbilligung. Arme Mara. Dass sie nach ihrem Geständnis errötet war, zeigte, dass ihre Lippen ohne die Zustimmung ihres Verstandes gesprochen hatten. Hilf ihr, Herr.
Und Meg. Arme Meg. Hannah warf ihr einen verstohlenen Blick zu, doch Meg hatte ihre blonden Locken wie einen Vorhang vor ihr Gesicht fallen lassen. Bitte hilf Meg, Herr. Bitte schenk ihr Frieden.
Katherines Stimme durchbrach die Stille im Raum und Hannahs inneren Lärm. „Der Psalmist singt: ‚Wie glücklich sind sie, die bei dir ihre Stärke finden und denen es am Herzen liegt, zu deinem Heiligtum zu ziehen!‘“ Herzlich lächelnd blickte Katherine die Gruppe an. „Es ist mir eine Freude, Sie alle zu unserer geistlichen Reise willkommen zu heißen.“
Hannahs Blick wanderte durch den Raum, und sie fragte sich, welche Umstände ihre Mitreisenden wohl hierher geführt hatten. Übergänge? Verluste? Der Wunsch nach einer tieferen Beziehung zu Gott?
Hannah hatte sich zur Teilnahme an diesem Kurs entschlossen, weil Nancy sie dazu gedrängt und ermutigt hatte. „Ich habe diesen Flyer ganz bewusst dort hingelegt“, hatte Nancy erklärt, als sie Anfang der Woche miteinander telefoniert hatten. „Kingsbury liegt ein Stück vom Ferienhaus entfernt – ungefähr vierzig Minuten Fahrt. Aber mir hat die Gebetsgruppe, die ich im Sommer dort besucht habe, sehr gefallen, und einige der Frauen hatten mir von diesem neuen Kurs, dieser ‚geistlichen Reise‘, erzählt. Das hörte sich sehr interessant an. Ich würde diesen Kurs auch gern besuchen. Vielleicht im nächsten Sommer.“
„Kennst du die Kursleiterin?“, hatte Hannah gefragt.
„Ich bin ihr einige Male begegnet. Katherine macht einen sehr netten Eindruck auf mich – sie strahlt so etwas Beruhigendes aus, auch ohne viele Worte.“
Hannah hatte sich über Katherine Rhodes informiert, doch im Internet fand sie nur ein paar Einträge im Zusammenhang mit ihrer Position als Leiterin des Einkehrzentrums. Dann war sie auf ein Diskussionsforum auf der Webseite des New Hope-Zentrums gestoßen, wo einige Leute über ihre Erfahrungen mit diesem Kurs ‚Geistliche Reise‘ berichteten. Die Kommentare weckten ihr Interesse: „Die geistliche Reise hat mir geholfen, die Landschaft meiner inneren Welt besser zu verstehen, und meine Beziehung zu Gott ist tiefer geworden.“ „Ich habe angefangen zu erkennen, was mich Gott näher bringt und was mich von ihm wegtreibt.“ „Ich habe mich weiterentwickelt, nicht nur in meiner Beziehung zu Jesus, sondern auch zu mir selbst.“ „Ich habe neue Wege kennengelernt, mich für den Gott zu öffnen, der immer bei mir ist.“
Vielleicht konnte Hannah die Erfahrungen, die sie auf dieser „geistlichen Reise“ sammelte, in ihrer Gemeinde nutzen, vielleicht sogar eine neue Gruppe ins Leben rufen, die anders war als die etablierten Kleingruppen. Es war schon Jahre her, dass sie das letzte Mal eine Fortbildung für sich selbst in Anspruch genommen hatte, und vielleicht war dies die Gelegenheit, ihren Horizont zu erweitern, um ihren Schäfchen noch mehr geben zu können. Wenn sie schon zu dieser Pause gezwungen war, dann wollte sie die Zeit wenigstens sinnvoll nutzen.
Katherine begann zu erzählen, und Hannah konzentrierte sich auf das, was sie sagte. „Meine dreijährige Enkelin Morgan ist wie ein kleiner Schmetterling“, sagte Katherine gerade. „Sie redet gern und viel, vor allem, wenn sie in ihrem Kindersitz im Auto sitzt. Dauernd macht sie meine Tochter Sarah auf irgendetwas aufmerksam, das sie gerade entdeckt hat. Und Sarah antwortet dann oft ziemlich zerstreut: ‚Ja, Liebes, ich sehe es!‘, oder: ‚Wow, Morgan, das ist toll!‘ In der vergangenen Woche war Sarah morgens mit ihr unterwegs zum Kindergarten, und Morgan sagte: ‚Guck mal, Mami! Guck, was auf meinem Schoß liegt!‘ Ohne sich umzudrehen erwiderte Sarah: ‚Ja, Liebes, ich sehe es! Das ist toll!‘ Die kleine Morgan ließ das nicht so stehen. ‚Mami‘, erwiderte sie streng, ‚mit dem Mund können wir doch nicht sehen! Dreh dich um und guck mich mit den Augen an!‘“
Hannah war nicht sicher, ob Katherines Geschichte oder Maras ansteckendes Lachen Meg ein Lächeln entlockt hatte. Vielleicht beides.
„Auf unserem Weg mit Gott geht es um Aufmerksamkeit“, fuhr Katherine fort. „Der Geist Gottes redet unablässig mit uns, aber wir müssen innehalten und wirklich hinhören lernen. Wir müssen unseren Autopiloten ausschalten und uns Zeit nehmen, mit den Augen und Ohren des Herzens zu sehen und zu hören.“
Katherine hielt inne und ließ die Stille im Raum schweben. „Ich will Sie gleich von Anfang an warnen“, fuhr sie schließlich langsam fort. „Den Weg zu größerer Freiheit und tiefer Veränderung zu beschreiten, erfordert Mut. Er ist nicht leicht. Er verläuft nicht linear. Manchmal mag er uns schwierig und chaotisch erscheinen, und vielleicht geraten Sie aus dem Gleichgewicht, wenn alte Dinge sterben und neue geboren werden. Vielleicht verlieren Sie die Orientierung, wenn falsche Sicherheiten, auf die Sie fest vertraut haben, entlarvt und ausgemerzt werden. Aber haben Sie keine Angst vor dem Durcheinander. Der Heilige Geist führt uns mit sanfter Hand und schenkt uns die Kraft, die wir für unseren Weg tiefer in das Herz Gottes hinein brauchen.“
Charissa hatte aufgehört zu tippen. Mara spielte mit ihren Armbändern. Meg starrte zur Tür. Hannah war gar nicht bewusst gewesen, dass sie ihr Kreuz umklammerte, bis ihr Fingernagel sich in ihren Handballen grub. Sie ließ es los.
Katherine hatte recht. Hannah hatte genügend Erfahrung darin, andere Menschen durch