Denn die Nacht bringt das Meer. Nordsee-Thriller. Veronika Bicker

Denn die Nacht bringt das Meer. Nordsee-Thriller - Veronika Bicker


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      Veronika Bicker

      Denn die Nacht bringt das Meer

      Nordsee-Thriller

       Bicker, Veronika: Denn die Nacht bringt das Meer.

       Nordsee-Thriller, Hamburg, acabus Verlag 2017

      Originalausgabe

      ePub-eBook: ISBN 978-3-86282-502-8

      PDF-eBook: ISBN 978-3-86282-501-1

      Print: ISBN 978-3-86282-500-4

      Lektorat: Franziska Peikert, Eva-Maria Bergerbusch, acabus Verlag

      Cover: © Annelie Lamers, acabus Verlag

      Covermotiv: pixabay.com

      eBook-Herstellung und Auslieferung: readbox publishing, Dortmund www.readbox.net

      Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

      Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

      Der acabus Verlag ist ein Imprint der Diplomica Verlag GmbH, Hermannstal 119k, 22119 Hamburg.

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      © acabus Verlag, Hamburg 2017

      Alle Rechte vorbehalten.

       http://www.acabus-verlag.de

       Für Anika, Conny, Nadine und Nina

      Kapitel Eins – Die Stille

      Das hohe kreischende Geräusch der Zugbremsen riss Marit aus ihren Gedanken. Sie hatte nicht geschlafen, aber sie fühlte sich, als hätte sie es getan. Die letzte Stunde der Zugfahrt hatte sie damit zugebracht, blicklos aus dem Fenster zu starren. Die Landschaft hinter den Scheiben hatte sich verändert, ohne dass sie es bemerkt hätte. Jetzt blinzelte Marit aus dem Fenster und sah auf einen winzigen, staubgrauen Bahnsteig hinunter, auf einer Seite begrenzt von einem geziegelten Bahnhofsgebäude. Und hinter dem Gebäude – nichts.

      Nein, nichts war sicher der falsche Ausdruck. Natürlich war da etwas, aber das Etwas war leer und wunderbar ruhig. Eine flache, graugrüne Wiese, die sich unter einer steingrauen Wolkendecke dahin zog, bis sie in gar nicht allzu weiter Ferne abrupt zu einem von Schafen weißgetupften Wall anstieg.

      Ein Deich. Kein Wall. Ein Deich.

      Marit merkte, wie ihr allein schon der Gedanke ein Lächeln auf das Gesicht zeichnete. Über ihre Freude, endlich angekommen zu sein, hätte sie beinahe vergessen, dass sie hier in Nordersiel aussteigen musste. Erst als sie das unmissverständliche Geräusch der sich langsam schließenden Zugtüren hörte, sprang sie auf, zog ihre Reisetasche und ihren kleinen Lederrucksack von der Gepäckablage und stürzte zum Ausstieg. Sie hämmerte auf den grünen Knopf ein, bis die Türen ein Einsehen hatten und sich zischend wieder öffneten. Erleichtert schulterte Marit Tasche und Rucksack, kletterte auf den Bahnsteig herunter und blieb stehen. Durch die Zugfenster sah sie die missbilligenden Mienen ihrer Mitreisenden, die ihretwegen jetzt sicher zwei kostbare Minuten verloren hatten, dann ruckte die kleine Regionalbahn an und rollte beinahe lautlos davon.

      Marit war allein.

      Jetzt, wo sich das schützende Zugfenster nicht mehr zwischen ihr und ihrer Umwelt befand, konnte sie plötzlich so viel mehr in der Leere wahrnehmen, dass es ihr schier die Sinne raubte. Vom Deich her wehte eine schwache Brise und brachte einen Geruch nach altem Tang, Wolle, Salz und Stille mit sich. Aus einer anderen Richtung trieb Holzfeuerrauch zu ihr hinüber und mischte sich angenehm mit dem Meeresgeruch. Vögel sangen unsichtbar im hohen Gras, dann und wann konnte man das Schlagen von Flügeln vernehmen, wenn einer von ihnen aufgescheucht wurde. Der Wind raschelte durchs Gras, kühlte Marits Wangen und raunte Worte in einer fremden, stillen Sprache. Marit glaubte, schon jetzt Salz auf ihren Lippen schmecken zu können, dabei fühlten sie sich doch nur rau und rissig an, als sie mit der Zungenspitze darüber fuhr.

      »Moin, Sie brauchen ein Taxi?«

      Marit blinzelte und kehrte einmal mehr in die Gegenwart zurück. Der Mann neben ihr auf dem Bahnsteig trug einen Parka mit hochgeschlagener Kapuze, hatte die Hände in die Taschen gesteckt und die Schultern hochgezogen, als befänden sie sich am Polarkreis. Er war einen halben Kopf kleiner als Marit, so dass sie auf seine Kapuze hinunter sehen konnte, und seine gebeugte Gestalt war so dürr, dass sie Angst hatte, selbst die leichte Brise könnte ihn davon wehen.

      »Ja, tatsächlich.« Sie lächelte, aber gleichzeitig wunderte sie sich ein wenig. Der Mann sah nicht wie ein Taxifahrer aus.

      Er schien ihre Verwunderung zu bemerken und zuckte mit den Schultern. »Herr Dieck hat mich angerufen. Ein richtiges Taxi gibt’s hier außerhalb der Saison nicht, aber ich hole ab und zu die Leute vom Bahnhof ab. Kommen Sie!«

      Er drehte sich um und ging mit ruhigen Schritten zu der kleinen Treppe, die vom Bahnsteig hinunter führte. Er bot Marit nicht an, ihre Tasche zu tragen, und sie war froh darüber. Auch über das freundliche Schweigen, mit dem er ihr den Kofferraum des Volvos öffnete und sie schließlich zur Beifahrertür wies. Marit brauchte keine Worte.

      »Der Leuchtturm, richtig?« Das dünne Männchen war hinter das Steuer gerutscht und drehte den Zündschlüssel im Schloss.

      »Richtig. Ist es weit?«

      Marit ließ ihr Fenster einen Spalt hinunter und genoss es, als der Wind hinein wehte. Ihre Haare wirbelten in feinen, hellblonden Strähnen über ihr Gesicht.

      »Nicht sehr.« Er sah sie kurz von der Seite an. »Wollen Sie nicht erst ins Dorf? Vorräte kaufen? Sie haben ja nicht gerade viel Gepäck. Sie sollten was zu essen haben. In zwei Stunden machen die Läden zu und morgen sind sie geschlossen.«

      Marit konnte ihm ansehen, dass das eine längere Rede gewesen war, als er geplant hatte, denn er schloss ziemlich abrupt den Mund und lenkte den Wagen auf eine schmale Asphaltstraße hinaus.

      »Nein danke, meine Vorräte sollten bereits geliefert worden sein. Ich bin für ein paar Tage versorgt.« Der Fahrtwind ließ den Geruch nach Meer ein wenig verfliegen und Marit drehte die Nase zum Fenster, um wenigstens ein bisschen davon einzufangen.

      Der Fahrer warf ihr wieder einen kurzen Blick zu und schien ernsthaft zu überlegen, ob er wirklich weitersprechen sollte. »Wie lange bleiben Sie denn?«, wollte er schließlich doch wissen.

      »Für immer.«

      Die Straße führte schnurgerade auf den Deich zu. Über den Wiesen links und rechts kreisten jetzt Silbermöwen.

      »Für immer?« Der Fahrer machte eine kurze Pause. »Sie haben den Turm doch nicht gekauft, oder? Ich weiß, dass der alte Dieck verkaufen wollte, aber ich wusste nicht, dass da schon etwas passiert ist. Wann haben Sie denn besichtigt?«

      »Gar nicht.« Der Deich war auf einmal direkt vor ihnen, dann erhoben sich für einen kurzen Moment links und rechts vom Auto die steilen Metallwände eines Deichdurchbruchs, bevor sich das Land wieder öffnete. Bräunlich gelbe Salzwiesen, ein paar graue Tümpel, auf denen Brandgänse dahin paddelten, und in der Ferne das Meer. Ebenfalls grau und flach, mit ein paar winzigen weißen Spitzen. Ein friedliches Tier. Zumindest heute.

      Sie konnte beinahe hören, wie die Gedanken ihres Fahrers kreisten. »Gar nicht«, wiederholte er schließlich langsam. »Warum nicht?«

      Marit hob die Schultern. »Weil ich nicht gekauft habe.«

      Über sein überraschtes Gesicht musste sie lächeln und sie ahnte schon die nächste Frage. Es machte ihr nichts aus, seine Fragen zu beantworten. Sie waren immer noch angenehmer als Jannas Vorwürfe. »Du kannst doch nicht einfach vor allem


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