Serienkiller und Mord-Schakale: 10 Krimis. A. F. Morland
seit kurzem war man bei der Bekämpfung von Einbruchsdiebstählen darauf gekommen, Täter durch Ohrabdrücke zu identifizieren. Bevor Einbrecher eine Wohnung betraten, lauschten sie häufig an der Tür, um abzuschätzen, ob jemand zu Hause war. Dabei hinterließen sie mitunter einen Abdruck, der ebenso individuell wie ein Fingerprint war. Der Nachteil dieser Methode bestand bis jetzt noch darin, dass es - anders als bei Fingerabdrücken - keine umfangreichen Datensammlungen gab, mit denen man die gewonnenen Abdrücke vergleichen konnte. In den entsprechenden Dateien befanden sich erst die Ohrabdrücke einiger hundert gefasster Einbrecher und es würde noch Jahrzehnte dauern, bis die Ohr-Archive mit jenen für Fingerabdrücke auch nur im entferntesten vergleichbar waren.
In der Praxis bedeutete das, dass man den Täter erstmal ermittelt und gefangengenommen haben musste, um ihn dann mit dem Ohr-Print zu überführen.
Janet Montego zeigte uns den Abdrucke mit Hilfe eines Overhead-Projektors.
"Ein ziemlich kleines Ohr", meinte Mister McKee. "Es passt irgendwie zu der zierlichen Pianisten-Hand, deren Abdruck ich am Fenster gesehen habe."
"Was ist mit den Wanzen?", fragte ich. "Gibt es in der Hinsicht irgendwelche Hinweise?"
"Es handelt sich um das, was ich als 'handelsübliche Ware' bezeichnen würde", berichtete Janet Montego. "Das schließt zwar nicht aus, dass Geheimdienste ihre Finger im Spiel haben, aber die ganze Abhörvorrichtung deutete doch eher darauf hin, dass hier keine Spezialisten am Werk waren. Vielleicht ergibt die Auswertung der Videobänder weitere Hinweise..."
Damit gab sie das Wort weiter an Agent Max Carter, der zur Fahndungsabteilung unseres FBI-Districts gehörte und im Innendienst tätig war.
"Nun, wir wissen natürlich nicht, seit wann die Wanzen installiert waren", erklärte er. "Aber die Auswertung der Bänder hat einen Hinweis ergeben, dem wir nachgehen sollten. Wir haben alle auf den Bändern aufgenommenen Personen durch den Computer gejagt auf optische Übereinstimmungen mit gesuchten oder erkennungsdienstlich erfassten Personen hin verglichen."
"Und?", fragte Mister McKee.
"Lester Rodrigez hat gestern das Apartmenthaus betreten, in dem Sie wohnen. Ob Ihre Wohnung sein Ziel war, wissen wir nicht. Die Kamera auf Ihrem Flur hatte gestern eine Funktionsstörung..."
"...oder wurde manipuliert", mischte sich Milo ein.
"Durchaus möglich", gab Carter zu. "Die technischen Einzelheiten müsste man untersuchen. Allerdings dürfte es bei dem Namen Rodriguez bei Ihnen klingeln, Mister McKee..."
Unser Chef nickte.
"Das kann man wohl sagen. Rodriguez ist der Mann fürs Grobe in Diensten eines gewissen Eric Hernandez, dem eine Nobeldisco mit dem Namen HEAVENLY gehört, gegen den seit einiger Zeit ein Prozess läuft... Als das Attentat auf mich verübt wurde, kam ich gerade aus dem Gerichtsgebäude, wo ich meine Aussage gemacht hatte, und war auf dem Weg zu meinem Wagen, den ich ein paar Straßen weiter abgestellt hatte..."
"Dieser zeitliche Zusammenhang sieht für mich nicht gerade nach Zufall aus", warf Agent Orry Medina ein, ein G-man indianischer Abstammung, der stets durch seine erlesene Garderobe auffiel.
Gegen Eric Hernandez hatte unsere Abteilung vor einiger Zeit ermittelt. Milo und ich hatten zwar nicht an dem Fall gearbeitet, aber wir hatten genug darüber mitgekriegt, um einigermaßen Bescheid zu wissen.
Eric Hernandez' HEAVENLY galt als stadtbekannter Umschlagplatz für Designer-Drogen. Außerdem hatte Hernandez illegales Glücksspiel betrieben. Was letzteres anging, war er unseren verdeckten Ermittlern auf den Leim gegangen.
Allerdings bezweifelten Hernandez' Anwälte inzwischen, dass die Ermittlungen rechtmäßig gewesen waren. Sie forderten einen Ausschluss der dabei gewonnenen Erkenntnisse von der Beweisaufnahme im Prozess.
In dem Zusammenhang war Mister McKee am Morgen befragt worden und vielleicht würden auch noch einige unserer Kollegen vorgeladen werden.
"Möglicherweise will jemand Druck auf Sie ausüben, Mister McKee", meinte Milo.
"Um irgendetwas an meiner Aussage zu ändern?" Er schüttelte den Kopf. "Ich glaube kaum. So naiv ist Hernandez nicht."
"Wer steht hinter Hernandez?", erkundigte ich mich an Carter gewandt.
"Ray Torillo, von dem wir vermuten, dass er eine große Nummer im illegalen Glücksspiel und bei der Verbreitung von Designer-Drogen ist. Torillo ist übrigens ein Cousin von Hernandez..."
"Ein Familienclan also."
Carter nickte. "Das macht es für verdeckte Ermittlungen so schwer. Man muss nicht nur Puertoricaner sein, um im Torillo-Syndikat eine höhere Position zu bekommen, sondern auch noch zur Familie gehören... Übrigens ist die Familie schon sehr lange in New York aktiv." Carter wandte sich an Mister McKee. "Erinnern Sie sich an einen gewissen Pablo Hernandez?"
Mister McKee bestätigte.
"Ja, ich erinnere mich... Pablo hatte seine Finger damals im Mädchenhandel. Ich war maßgeblich an seiner Verhaftung beteiligt..."
"Liegt da bei Eric Hernandez vielleicht ein Rachemotiv vor?", fragte ich.
"Jesse, sein Vater bekam zehn Jahre damals..."
"... und starb nach drei Jahren in der Haft", sagte Max Carter. "Und zwar bei einer Schlägerei in der Gefängniskantine."
Mister McKee hob die Augenbrauen.
"Davon wusste ich nichts..."
"Als Rachemotiv etwas weit hergeholt", kommentierte Medina.
"Wir müssen jeder Spur nachgehen", gab Carter zu bedenken.
"Und da gibt es in der Tat noch eine weitere, die wir nicht aus den Augen verlieren sollten", meldete sich nun Agent Jay Kronburg zu Wort. Zusammen mit seinem Partner Leslie Morell hatte er in der Anfangsphase den Fall allein bearbeitet, weil wir anderen G-men vollauf damit beschäftigt gewesen waren, einen Waffenhändler-Ring zu sprengen und unseren entführten Kollegen Clive Caravaggio zu befreien.
Mister McKee wandte sich zu den beiden herum.
"Was haben Sie herausgefunden?"
"Allan Harker ist seit dem 12. dieses Monats auf freiem Fuß..."
Mister McKees Stirn umwölkte sich.
"Wer ist dieser Harker?", fragte ich.
"Ein Profi-Killer, der seit 25 Jahren in Riker's Island einsitzt. Er schwor damals Rache, weil er mich für seine Verhaftung verantwortlich machte. Im Gerichtssaal wurde er immer wieder ausfällig, wenn er mich sah. Er musste schließlich aus dem Saal gebracht werden..." Mister McKee hob den Kopf. "Wie konnte das passieren?"
Jay Kronburg antwortete: "Harker nutzte einen Krankenhausaufenthalt zur Flucht. Der Mann ist todkrank. Er hat Krebs im Endstadium und nur noch wenige Monate zu leben. Unwahrscheinlich also, dass er nochmal in das Killer-Geschäft einsteigt - mal davon abgesehen, dass die Zeit auch an ihm vorbeigegangen sein dürfte. Andererseits hat er seinen Hass auf Sie nicht vergessen, Mister McKee. Ich habe mit dem Gefängnispsychologen gesprochen. Harker hegt immer noch Gewaltphantasien, was Sie betrifft. Seine Fixierung auf Sie trägt krankhafte Züge. Er wäre zu allem fähig!"
"Warum hat mich niemand davon verständigt, dass Harker frei ist?", brummte Mister McKee. Der Ärger war ihm deutlich anzusehen.
Seine Hände ballten sich Fäusten.
"Seine Flucht ist kein FBI-Fall", gab Jay zu bedenken. "Und außerdem liegt die Sache mit Ihnen schon so lange zurück, dass wohl niemand daran dachte, Sie zu warnen."
Leslie Morell fuhr fort.
"Harkers Flucht fand am 12. statt. Zwei Tage später wurde Ihr Wagen, hier an der Federal Plaza in die Luft gejagt. Er könnte es also sein."
Mister McKee zog die Augenbrauen zusammen.
"Aber die Briefe... Das begann viel früher!"
Leslie