Inselabenteuer. Von Schatzsuchern und Gestrandeten. Jonathan Swift

Inselabenteuer. Von Schatzsuchern und Gestrandeten - Jonathan Swift


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erwarb ich mir viel Geld, indem ich das Vieh vielen Personen von Stande und anderen zeigte, und bevor ich meine zweite Reise begann, verkaufte ich es zu sechshundert Pfund. Wie ich bemerkte, hat sich die Rasse seit meiner letzten Rückkehr nach England beträchtlich vermehrt, vorzüglich aber die Schafe, die, wie ich hoffe, zur Förderung unserer Wollfabrikation wegen der Feinheit ihrer Vliese sich auch in Zukunft immer mehr vervielfachen werden.

      Ich blieb nur zwei Monate bei meiner Frau und meiner Familie, denn mein unersättliches Verlangen, fremde Länder zu sehen, trieb mich wieder in die Fremde. Ich ließ meiner Frau fünfzehnhundert Pfund zurück und verschaffte ihr eine schöne Wohnung in Redriff. Meine übrigen Kapitalien nahm ich mit mir, teils in Handelsgütern, teils in barem Gelde, denn ich hoffte, mein Vermögen zu vermehren. Mein ältester Onkel John hatte mir ein Landgut bei Epping von ungefähr dreißig Pfund jährlichem Ertrag hinterlassen; ferner hatte ich den »Schwarzen Ochsen« in Fetterlane gepachtet, der mir ebensoviel eintrug, so daß mir durchaus keine Gefahr drohte, das Kirchspiel werde meine Familie als Arme unterhalten müssen. Mein Sohn John, ein begabter Junge, besuchte die Elementarschule. Meine Tochter Betty, die gegenwärtig vorteilhaft verheiratet ist und Kinder hat, lernte Nähen und Stricken. Ich nahm Abschied von Frau und Kindern, wobei Tränen auf beiden Seiten vergossen wurden, und ging an Bord des »Abenteurers«, eines Kauffahrers von dreihundert Tonnen, der nach Surate bestimmt war, unter dem Befehl des Kommodore John Nicholas aus Liverpool. Den Bericht dieser Fahrt muß ich jedoch auf den zweiten Teil meiner Reisebeschreibung verschieben.

      Reise nach Brobdingnag

      Erstes Kapitel

      Beschreibung eines großen Sturms; das lange Boot wird ausgesetzt, um Wasser einzunehmen. Der Verfasser besteigt es, um das Land zu untersuchen. Er wird am Ufer zurückgelassen, von einem Eingeborenen ergriffen und in das Haus eines Pächters gebracht. Seine Aufnahme, mit anderen Vorfällen, die sich daselbst zutrugen.

      Natur und Schicksal haben mich zu tätigem und ruhelosem Leben verurteilt. Zwei Monate nach meiner Rückkehr verließ ich wieder mein Vaterland und bestieg den »Abenteurer«, ein Schiff aus Cornwallis, Kapitän John Nicholas, das nach Surate in Ostindien bestimmt war. Wir hatten bis zum Kap der Guten Hoffnung günstigen Wind, wo wir landeten, um Wasser aufzunehmen. Da wir aber ein Leck entdeckten, schifften wir unsere Güter aus und blieben den Winter dort. Dann gingen wir unter Segel und hatten bis zur Meerenge von Madagaskar günstigen Wind. Als wir uns nördlich von dieser Insel, auf dem fünften Grad südlicher Breite, befanden, wo der Wind vom Dezember bis Mai stets die Richtung von Nordwest zu haben pflegt, wurde er am 19. April stärker und westlicher als gewöhnlich. In diesem Wetter segelten wir zwanzig Tage und wurden dadurch ein wenig östlich über die Molukken hinausgetrieben, um drei Grad nordwärts vom Äquator, wie der Kapitän am 2. Mai durch Beobachtungen feststellte, als der Wind aufgehört hatte. Eine vollkommene Windstille war eingetreten, worüber ich mich nicht wenig freute. Der Kapitän jedoch, der in der Schiffahrt dieser Meere wohlerfahren war, befahl Vorbereitungen gegen einen Sturm zu treffen, und dieser begann auch wirklich am folgenden Tage, denn der Südwind, südlicher Monsun genannt, begann zu wehen.

      Da der Sturm heftig zu werden drohte, zogen wir das Bugsprietsegel ein und standen bereit, das Focksegel zu bedienen; da das Wetter immer schlechter wurde, sahen wir nach, ob die Kanonen gehörig befestigt waren, und setzten die Segel am Besan. Das Schiff aber legte sich auf die Seite, deshalb hielten wir es für besser, mit den Wogen zu treiben, als eine Richtung behaupten zu wollen. Das Focksegel wurde gerefft und nur zum Teil ausgespannt; das Steuer hatte hartes Wetter zu bekämpfen: Das Schiff aber hielt trefflich aus. Wir spannten das vordere Zugseil aus, allein das Segel platzte. Wir zogen deshalb die Rahen an, nahmen das Segel ins Schiff und lösten seinen ganzen Zubehör. Der Sturm war heftig, die Wogen brachen sich mit Macht und drohten Gefahr. Wir nahmen das Taljereep vom Wippstab und halfen dem Steuermann. Unsern Toppmast kappten wir jedoch nicht und ließen an ihm alles, wie es war, weil er trefflich leenste und weil wir wußten, das Schiff sei durch ihn gesünder und werde die See besser aushalten. Wir befanden uns nämlich auf hohem Meer und hatten von Klippen nichts zu befürchten. Als der Sturm vorüber war, spannten wir Fock- und Boomsegel wieder auf und gaben dem Schiff eine Richtung; alsdann zogen wir das Marsboomsegel und das Fockmarssegel auf. Unsere Richtung war Ostnordost und der Wind Südwest. Hierauf hefteten wir die Steuerbordstiften wieder ein und nahmen die Hebeseile fort, kurz, wir setzten das Schiff in den früheren Stand.

      Während dieses Sturmes, dem ein starker Wind aus Westsüdwest folgte, wurden wir, nach meiner Berechnung, ungefähr zweihundertundfünfzig Stunden nach Osten verschlagen, so daß der älteste Matrose an Bord nicht sagen konnte, in welchem Teile der Welt wir uns befanden. Unsere Vorräte hielten aus; das Schiff war trefflich und fest und unsere Mannschaft vollkommen gesund; wir litten aber bedeutenden Mangel an Trinkwasser. Somit hielten wir es für zweckmäßiger, dieselbe Richtung beizubehalten, als uns nach Norden zu wenden, da wir in dieser Richtung nordwestlich von der chinesischen Tartarei in das Eismeer hätten gelangen können.

      Am 16. Juni 1703 beobachtete ein Schiffsjunge vom Hauptmast aus Land. Am 17. sahen wir deutlich ein große Insel oder ein Festland (wir waren hierüber in Ungewißheit); an der südlichen Seite des Landes entdeckten wir eine kleine, in die See hervorspringende Landzunge und eine Bucht, die aber zu flach war, um ein Schiff von mehr als hundert Tonnen aufzunehmen. Wir warfen deshalb in einiger Entfernung von der Landzunge Anker, und unser Kapitän ließ ungefähr ein Dutzend seiner Leute, bewaffnet und mit Wassergeschirren versehen, in dem langen Boote aussetzen, um Wasser einzunehmen, wenn welches gefunden werden könne. Ich erwirkte mir die Erlaubnis, an dieser Landung teilzunehmen, damit ich das Land untersuche und Entdeckungen mache. Als wir das Ufer betraten, erblickten wir weder Flüsse noch Quellen, noch auch irgendeine Spur von Einwohnern. Unsere Leute gingen deshalb am Ufer entlang, um frisches Wasser in der Nähe des Meeres aufzusuchen, ich aber schlug ungefähr eine halbe Stunde lang die entgegengesetzte Richtung ein; da ich aber nur felsiges und unfruchtbares Land erblickte, ward ich des Nachforschens müde und kehrte zur Landzunge zurück. Als sich nun die See vor meinen Augen ausdehnte, sah ich, wie unsere Leute bereits im Boote saßen und so schnell, als müßten sie ihr Leben retten, zum Schiffe ruderten. Ich wollte ihnen zurufen, obgleich dies mir wenig helfen konnte, als ich ein riesenhaftes Geschöpf hinter ihnen herlaufen sah; die See reichte ihm nur bis an die Knie, und es machte ungeheure Schritte. Allein unsere Leute hatten eine Viertelstunde Vorsprung; die See war dort voll scharfer Klippen, und somit konnte das Ungeheuer unser Boot nicht erreichen. Dies wurde mir nachher gesagt, denn ich legte im schnellsten Lauf den Weg, den ich bereits gemacht hatte, wieder zurück und erstieg dann einen steilen Hügel, der mir eine Aussicht in das Land gewährte. Es war vollkommen bebaut. Zuerst erstaunte ich über die Länge des Grases, das dort zum Heu bestimmt war, denn seine Höhe betrug an die zwanzig Fuß.

      Dann geriet ich auf einen Weg, den ich für eine Heerstraße hielt, der jedoch den Einwohnern nur als Fußpfad durch ein Gerstenfeld diente. Hier ging ich einige Zeit weiter, konnte aber an beiden Seiten nichts erblicken, denn die Ernte war nah und das Korn wenigstens vierzig Fuß hoch. Nach einer Stunde hatte ich das Ende des Feldes erreicht, das durch eine Hecke von wenigstens hundertzwanzig Fuß Höhe umzäunt war, und die Bäume dazwischen waren so groß, daß ich sie nicht schätzen konnte. Dort befand sich eine Treppe, die in das nächste Feld führte. Sie bestand aus vier Stufen, und auf der obersten war ein Stein zu überschreiten. Es war mir unmöglich, diese Treppe zu ersteigen, denn jede Stufe betrug sechs Fuß Höhe und der Stein wenigstens zwanzig. Ich suchte deshalb eine Öffnung in der Hecke zu erspähen, als ich auf dem nächsten Felde einen Eingeborenen auf die Treppe zugehen sah, und zwar von der Größe eines Mannes, der unser Boot verfolgt hatte. Er hatte die Höhe eines gewöhnlichen Kirchturms und legte, soweit ich es beurteilen konnte, mit jedem Schritte wenigstens zehn Ellen zurück. Ich geriet in Furcht und Erstaunen und lief fort, um mich im Korn zu verbergen. Von dort sah ich, wie er von der Höhe jener Treppe in das Feld zurückschaute, und hörte, wie er mit einer Stimme rief, die um mehrere Grade lauter als der Schall eines Sprachrohrs war; der Ton hallte jedoch so hoch in der Luft, daß ich ihn zuerst für Donner hielt. Hierauf kamen sechs Ungeheuer herbei, an Gestalt ihm ähnlich, mit Sicheln in den Händen, die ungefähr so groß wie sechs Sensen waren. Diese Leute waren nicht so gut gekleidet wie der erstere, dessen Knechte sie zu sein schienen, denn nach einigen von ihm ausgesprochenen Worten begannen sie, das Korn des Feldes,


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