Inselabenteuer. Von Schatzsuchern und Gestrandeten. Jonathan Swift
Raum zum dritten. Hier trat der Braune zuerst ein, indem er mir winkte, ihm zu folgen. Ich wartete im zweiten Raume und hielt meine Geschenke für den Herrn und die Herrin des Hauses bereit. Sie bestanden aus zwei Messern, drei Armbändern von falschen Perlen, einem kleinen Spiegel und einem Halsband aus gläsernen Kugeln. Das Pferd wieherte zwei- oder dreimal, und ich erwartete eine Menschenstimme als Erwiderung zu hören, vernahm jedoch keine andere Antwort als in demselben Dialekte und ein paar Töne, die ein wenig heiserer klangen; deshalb dachte ich, dies Haus gehöre einer Person von Ansehen unter diesem Volke, weil so viele Zeremonien gemacht wurden, bevor ich Zutritt erhielt. Der Umstand, daß ein Mann von Stande durch Pferde bedient würde, lag jedoch außerhalb meiner Begriffe; ich besorgte, mein Gehirn sei durch Unglück und Leiden verwirrt worden; ich faßte Mut und sah mich in dem Raume um, wo ich allein gelassen war; der Raum war mit denselben Möbeln wie der erste versehen, jedoch mit bei weitem zierlicheren. Ich rieb mir die Augen, allein ich sah stets nur dieselben Gegenstände. Ich kniff mich in die Arme und die Seiten, um mich zu erwecken, denn ich hoffte, alles sei nur ein Traum. Aus allem dem schloß ich, der ganze Schein könne nur durch Zauberei und Magie bewirkt sein. Ich hatte jedoch keine Zeit, in meinen Gedanken fortzufahren; der Braune kam aus der Tür und gab mir ein Zeichen, ihm in den dritten Raum zu folgen, wo ich eine sehr schöne Stute mit zwei Füllen sah, die mit ihren Hinterschenkeln auf künstlich geflochtenen und vollkommen reinen Strohmatten saßen.
Nachdem ich eingetreten war, erhob sich die Stute von ihrem Sitz, trat nahe an mich heran, betrachtete genau mein Gesicht und meine Hände und warf mir einen im höchsten Grade verächtlichen Blick zu; dann wandte sie sich zu dem Hengste, und ich hörte, wie zwischen beiden häufig das Wort Yähu ausgesprochen wurde. Die Bedeutung dieses Wortes konnte ich aber noch nicht verstehen, obgleich es das erste war, dessen Aussprache ich erlernt hatte. Allein bald wurde ich zu meiner ewigen Kränkung darüber unterrichtet. Der Hengst winkte mir mit dem Kopfe und wiederholte mir das hhuun hhuun wie unterwegs, was ich bereits verstand und womit er andeutete, ich solle ihm folgen. Alsdann führte er mich in den Hof, wo in einiger Entfernung vom Hause ein anderes Gebäude stand. Wir traten ein, und ich sah drei dieser scheußlichen Kreaturen, die ich nach meiner Landung zuerst angetroffen hatte; sie nährten sich von Wurzeln und vom Fleische einiger Tiere, wie ich nachher erfuhr von Hunden und Eseln und bisweilen auch von krepierten Kühen. Mit dem Halse waren sie durch starke Weidenruten an einem Balken festgebunden. Sie hielten ihre Nahrung mit den Vorderpfoten und zerrissen sie mit ihren Zähnen.
Das Herr-Pferd befahl einem fuchsroten Klepper, der sein Diener war, das größte dieser Tiere loszubinden und in den Hof zu bringen. Die Bestie und ich wurden nahe aneinandergestellt und unsere Gesichtszüge sowohl vom Herrn wie vom Diener aufmerksam verglichen, worauf sie beide das Wort Yähu mehreremal wiederholten.
Hier kann ich meinen Abscheu und mein Erstaunen, als ich in diesem verabscheuungswürdigen Tier eine vollkommene Menschenfigur erblickte, nicht beschreiben. Das Gesicht war zwar flach und breit, die Nase eingedrückt, die Lippen geschwollen und der Mund sehr groß. Diese Verschiedenheiten von unserer Gesichtsbildung sind aber allen wilden Nationen gemein, die ihre Kinder auf dem Boden herumkriechen lassen oder sie auf dem Rücken tragen, so daß die Kinder mit dem Gesicht über den Schultern ihrer Mütter gesäugt werden. Die Vorderpfoten des Yähu waren von meinen Händen nur durch die Länge der Nägel, durch die Rauheit und Bräune der Handflächen und durch den haarigen Rücken verschieden. Dieselbe Ähnlichkeit fand zwischen unseren Füßen statt, wie ich sehr wohl wußte; die Pferde jedoch ahnten dies nicht, weil ich Schuhe und Strümpfe trug. Dasselbe war an jedem anderen Teile unseres Körpers der Fall, mit Ausnahme der Haare und Farbe, wie ich schon beschrieben habe.
Die größte Schwierigkeit, die sich den beiden Pferden zu bieten schien, bestand darin, daß sie meinen Körper von dem des Yähu so sehr verschieden sahen. Dies verdankte ich meinen Kleidern, wovon sie keinen Begriff hatten. Der fuchsrote Klepper bot mir eine Wurzel, die er nach Art der Hauyhnhnms, die ich am geeigneten Orte beschreiben werde, zwischen seinem Huf und dem Fußgelenk hielt; ich nahm diese in meine Hand, roch daran und gab sie so höflich, wie es mir möglich war, wieder zurück. Dann brachte er aus dem Stall der Yähus ein Stück Eselsfleisch; es stank aber so furchtbar, daß ich es mit Ekel zurückwies. Hierauf warf er es dem Yähu vor, der es mit Begier verschlang. Dann zeigte er mir ein Bündel Heu und einen Kübel voll Hafer, allein ich schüttelte den Kopf, um anzudeuten, beides sei kein Futter für mich. Auch fürchtete ich wirklich schon den Hungertod, wenn ich kein Individuum meiner Gattung anträfe; denn was die schmutzigen Yähus betraf, so muß ich gestehen, daß ich nie so in jeder Hinsicht verabscheuungswürdige Geschöpfe gesehen habe, obgleich es damals nur wenige gab, welche die Menschheit in demselben Grade liebten wie ich. Je näher ich ihnen kam, desto verhaßter sind sie mir geworden, solange ich im Lande blieb. Dies bemerkte das Herr-Pferd aus meinem Benehmen und schickte deshalb den Yähu in seinen Stall zurück. Dann legte es seinen Vorderhuf an den Mund, worüber ich erstaunte, obgleich er diese Bewegung ungezwungen und ganz natürlich ausführte; zugleich gab es mir auch durch andere Zeichen zu verstehen, ich möchte andeuten, was ich zu essen wünsche. Ich konnte ihm aber keine Antwort geben, die es zu begreifen vermochte, und wäre dies auch der Fall gewesen, so sah ich keine Möglichkeit, mir irgendeine Nahrung zu verschaffen. Während wir so uns gegenseitig verständlich zu machen suchten, bemerkte ich, daß eine Kuh vorbeiging; ich zeigte auf diese und drückte meinen Wunsch aus, sie melken zu dürfen. Dies hatte die richtige Wirkung. Das Pferd führte mich ins Haus zurück und befahl einer Stute-Magd, mir ein Zimmer zu öffnen, wo ein ziemlicher Vorrat von Milch in irdenen und hölzernen Gefäßen reinlich und ordentlich verwahrt war. Die Magd gab mir hierauf eine große Schale voll Milch, die ich mit großem Appetit trank und wodurch ich sehr erfrischt wurde.
Gegen Mittag sah ich eine Art Fuhrwerk, einem Schlitten ähnlich, das von vier Yähus gezogen wurde, vor dem Hause anlangen; darin befand sich ein altes Pferd, das eine Person von Stande zu sein schien. Es stieg mit den Hinterfüßen herunter, da es unglücklicherweise am linken Vorderfuße verletzt worden war. Es wollte mit unserem Pferde zu Mittag speisen und wurde von diesem mit großer Höflichkeit empfangen. Man speiste im besten Zimmer und erhielt Hafer in Milch gekocht als zweiten Gang der Tafel. Das alte Pferd aß diese Speise warm, die übrigen kalt. Die Tröge wurden im Kreise aufgestellt und in mehrere Abteilungen geschieden. Die Pferde saßen dabei mit ihren Hinterschenkeln auf Strohbündeln. In der Mitte befand sich eine große Krippe mit Winkeln, die jeder Abteilung der Tröge entsprachen, so daß jedes Pferd sein ihm bestimmtes Heu nebst dem Gemisch von Milch und Hafer sehr anständig und ordnungsgemäß aß. Das Benehmen der männlichen und weiblichen Füllen war sehr bescheiden und das des Herrn und seiner Gemahlin außerordentlich heiter und gefällig gegen den Gast. Der Braune befahl mir, mich an seine Seite zu stellen; er und sein Freund hielten über mich eine lange Unterredung, wie ich aus den Blicken des Fremden und aus der häufigen Wiederholung des Wortes Yähu bemerken konnte.
Ich trug zufällig meine Handschuhe. Als dies der Braune, das Herr-Pferd, bemerkte, schien er sehr erstaunt und gab mir durch Zeichen seine Verwunderung zu verstehen, was ich mit meinen Händen angefangen habe; er legte seinen Huf drei- oder viermal darauf, als wolle er mir andeuten, ich solle ihnen die frühere Form wiedergeben. Das tat ich auch; denn ich zog sogleich meine Handschuhe aus und steckte sie in die Tasche. Dies veranlaßte ein ferneres Gespräch, und ich sah, daß die Gesellschaft mit meinem Betragen zufrieden war. Auch bemerkte ich bald die guten Folgen. Mir wurde befohlen, die wenigen Worte, die ich verstand, auszusprechen. Während die Gesellschaft bei Tische saß, lehrte mich der Herr die Namen für Hafer, Milch, Feuer, Wasser und einige andere Gegenstände, diese konnte ich ihm sehr bald nachsprechen, da ich von früher Jugend an viel Gewandtheit im Erlernen fremder Sprachen besessen habe.
Als das Mittagessen vorbei war, nahm das Herr-Pferd mich beiseite und gab mir durch Zeichen und Worte zu verstehen, es tue ihm sehr leid, daß ich nichts zu essen habe. Hafer wird in der Sprache der Hauyhnhnms Hlunnh genannt. Obgleich ich diese Speise zuerst zurückgewiesen hatte, so fiel mir doch gleich darauf ein, ich könne daraus eine Art Brot herstellen, das nebst der Milch genügen würde, mich am Leben zu erhalten, bis ich in ein anderes Land und zu Geschöpfen meines eigenen Geschlechts fliehen könnte. Das Pferd befahl sogleich einer weißen Magd-Stute aus seiner Familie, mir eine Masse Hafer in einer Art hölzernen Mulde zu bringen. Dieses Getreide erhitzte ich so gut wie möglich am Feuer, bis die Hülsen absprangen, worauf ich diese vom Korn zu sichten suchte;