Arizona Gunfighter - 10 Western: Sammelband Januar 2018. Pete Hackett
12.
Der Morgen war nicht mehr fern. Bald würde die Insel mitten im Moor in einer Blumenpracht aufleuchten, wie man sie selten zu sehen bekam. Die ganze Vegetation hatte etwas Grelles und Buntes, so dass man meinen konnte, im Paradies zu sein. Hinter dem Leuchten der Farben und dem Duft, den die Blumen verströmten, lauerte das Entsetzen. Die Gräber derer, die hier an Hunger oder Krankheit gestorben waren, die von Bluthunden gehetzt und verletzt worden waren, die den Weg hierher gefunden und dennoch hatten sterben müssen, tauchten vor ihnen auf. Mondlicht geisterte über sie hin, und flirrende Lichtreflexe streuten einen Hauch Unwirklichkeit über die Stätten, die den Menschen zur letzten Ruhe geworden waren.
Ringsum breitete sich das große Schweigen aus, das auch die Lebenden zu fassen schien. Fast lautlos bewegten sich die Pferdehufe über einen dicken Teppich abgestorbenen Laubes. Eine Lichtung öffnete sich, und schwarze Silhouetten von Hütten wurden sichtbar. Als sie näher kamen, weitete sich die Lichtung längs eines die Insel durchziehenden Grabens, in dem das braune, in der Nacht schwarz scheinende Moorwasser stand.
Dan blieb plötzlich stehen. Ein Pferdeschnauben kam von der Insel. Bevor man die Lage richtig erfasst hatte, wieherten die Pferde von Paul und Lee Millard ihrem Artgenossen zu. Alle drei Männer waren wie auf ein Kommando stehengeblieben, alle drei in geduckter Haltung, die Hände an den Waffen, bereit zu ziehen und zu schießen.
Jetzt wussten sie Bescheid. Kan Palmer war nicht allein auf der Insel zurückgeblieben. Sie waren zu sicher gewesen, dass Jim Jugens den Alten allein zurücklassen würde. Es fragte sich jetzt, wie viele Gegner man vor sich hatte. Es musste so schnell wie möglich herausgebracht werden.
„Vorsicht, Dan!“, kam es leise von Lees Lippen.
„Nicht schießen, Jim Jugens und der Großteil der Meute ist sicherlich noch in der Nähe. Wir können nur hoffen, dass man da drüben nichts bemerkt hat.“
„Es fehlte uns noch, dass man uns den Weg zurück abriegelt und wir in der schlimmsten Falle sitzen, die man uns jemals gestellt hat“, sagte Paul mit zusammengekniffenen Augenlidern. „In diesem Falle können wir Kan Palmer Gesellschaft leisten und bis zum Jüngsten Tag darauf warten, dass man uns hilft.“
Paul lachte dumpf in sich hinein. Seinen beiden Partnern jagte ein Schauer über den Rücken. Ihre Blicke versuchten die Schwärze der Abschied nehmenden Nacht zu durchdringen. Nichts regte und rührte sich bei den Hütten. Kein Wunder, dass die Spannung wuchs und die drei Partner nur noch Auge und Ohr waren. Die Nervenbelastung schien schier unerträglich zu werden. Alle drei waren dazu bereit, ein erneutes Pferdeschnauben zu verhindern.
Ganz langsam verging die Zeit. Die grauen Nebelschleier des Morgens vertrieben die Nacht. Ein starker Nebeldunst beengte die Sicht immer mehr, dass die Hütten vor ihnen unsichtbar wurden.
„Das ist die Chance“, sagte Dan in das Schweigen hinein, das sich zwischen ihnen ausgebreitet hatte. „Ich will wissen, was bei den Hütten los ist. Ihr könnt mich nicht mehr zurückhalten. Ich denke, dass Jim Jugens mit seiner Mannschaft jetzt weit genug fort ist, um keine Schussdetonationen mehr zu hören. Sollten sie aber immer noch in der Nähe sein, so ist das auch nicht mehr zu ändern. Palmer muss von den Wächtern befreit werden.“
„Warum nur ließ man sie zurück?“
„Doch nur um ganz sicher zu sein, dass Palmer den gut getarnten Rückweg nicht findet“, beantwortete Dan Lees Frage. „Dieser Jim Jugens will auch den Zufall aus seinen Berechnungen ausschließen.“
„Wenn das so ist, Dan, dann hätte er seine Fähigkeiten in den Dienst einer besseren Sache stellen sollen. Bisher hatte er großen Erfolg. Er und sein Vater haben sich Land und Stadt untertan gemacht. Seine Gier nach Macht aber ist geblieben und hat erschreckende Formen angenommen. — Nun gut, fangen wir an! Ich bleibe und bewache den Pfad zur Teufelsinsel. Soweit ich die Lage überblicken kann, ist der Zugang gut zu verteidigen, gleich wie viele es versuchen wollen. Getrennt
vorgehen und vereint schlagen, lautet die Parole. Also, Cheerio ihr beiden, los denn!“
Lee und Dan nickten Paul zu. Lee wandte sich nach links und Dan nach rechts. Paul blieb bei den Pferden zurück und würde den Zugang zur Insel blockieren, eine Aufgabe, die nicht leicht war. Paul tat, als wäre es das Selbstverständlichste von der Welt, den schwersten Teil zu übernehmen.
Bald schon sah Dan nichts mehr von seinen beiden Partnern. Lautlos wie ein Indianer setzte er die Fußspitzen nach innen, um das Buschwerk zu teilen. Er erreichte den Wassergraben, als die aufsteigenden Morgennebel vom Wind in Wallung gebracht wurden. Er glitt in den Graben hinein und benutzte ihn eine Zeitlang als Deckung. Dort, wo der Graben ihn ganz nahe an die erste Hütte brachte, lag er eine Zeitlang still und beobachtete. Der Morgen brach sich mit seinem Licht jetzt endgültig Bahn. Es versprach ein strahlend schöner Tag zu werden.
Als er gerade im Begriff war weiterzuschleichen, gewahrte er den Schatten an der Hütte, der sich nur langsam bewegte und sich im nächsten Moment als die Silhouette eines Mannes entpuppte, der aufmerksam dorthin blickte, wo sich ungefähr Paul befinden musste.
Das Herz schlug ihm schneller, denn jetzt wusste er, dass man sie bemerkt hatte. Er nahm sich zusammen und wartete, bis seine Erregung abflaute. Wenig später fand er eine Erdrinne, die erfreulicherweise vom Laubwerk frei war, so dass er nun schneller vorwärts kam. Dann aber, als er sich erneut orientieren wollte und vorsichtig den Kopf hob, blieb ihm fast das Herz stehen. Keine zehn Schritte von ihm entfernt lauerte Stuart Jugens, der Mann, der ihm den Vater genommen hatte, der ihn um die Ranch gebracht hatte und ihn als Mörder abgestempelt hatte. Die Jahre hatten ihn älter gemacht. Einst hatte sein Gesicht ein scharfes Profil gehabt, jetzt war es verschwommen. Graues Haar und ein bitterer Zug um den Mund waren deutlich für Dan auszumachen.
„Bist du wirklich sicher, dass jemand die Teufelsinsel entdeckte, dass es nicht Jim war, der zurückkam und sich aus irgendeinem Grunde nicht sehen lässt?“
„Zweimal haben die Pferde gewiehert“, antwortete Jugens einem Manne, „zweimal in nicht allzu großen Zeitabständen.“
Er brach ab und sprang auf, als risse ihn eine unsichtbare Faust im Nacken aus seiner Lauerstellung auf die Beine. Dan, der sich gerade fragen wollte, warum Stuart Jugens von zweimaligem Pferdewiehern gesprochen hatte, erschrak heftig, als er keine fünf Schritte entfernt zwei Gestalten wahrnahm, die sich aus ihrem Versteck lösten und sich mit vorgehaltenen Waffen Stuart Jugens zeigten. Sie boten ihm den Rücken, doch als er nach dem ersten Schreck genauer hinsah, stockte ihm fast das Blut in den Adern.
„Red“, hörte Dan Stuart Jugens sagen, als er Red Jugens und den Revolvermann Hannigan erkannte. „Nicht schießen!“, warnte er heiser seinen Begleiter, mit dem er kurz vorher noch gesprochen hatte, als dieser den Versuch machen wollte, trotz der vorgehaltenen Colts sein Eisen zu ziehen. „Er ist mein Ältester, mein Sohn Red.“
Stuart Jugens’ Partner schien Red nicht zu kennen und sagte rau:
„Nun gut, es ist deine Sache, wie du mit deinen Söhnen auskommst. Red hat sich einen schlechten Ort für ein Wiedersehen ausgesucht, denke ich.“
„Gewiss, einen höllischen Ort“, erwiderte Jugens rau. „Was in drei Teufels Namen führt dich hierher ins Land, und wo ist Larry?“
„Das hast du behalten, dass Larry und ich wie Pech und Schwefel zusammengehören?“, gab Red seinem Vater höhnisch zur Antwort. „Du hast uns doch abgeschrieben, mich und Larry. Es kam dir damals gut zustatten, dass wir Klein-Jims Haut ritzten und du uns zum Teufel jagen konntest. Inzwischen hat sich viel getan. Jim hat eine Haut bekommen, bei der es auf eine Scharte mehr oder weniger nicht mehr ankommt, und wir erinnerten uns daran, dass wir noch einen Vater und einen Bruder haben, und suchten unseren guten Joe Hannigan auf, der kein guter Freund von dir ist, denn zwischen euch ist noch eine alte Rechnung auf. Darauf möchte ich aber nicht eingehen. Hannigan half dir dabei, die Drei-Stäbe-Ranch in deinen Besitz zu bringen. Er bekam