Die Stunde der Apachen: 12 Romane einer großen Western-Saga. Pete Hackett
Farm lag am Fuß eines hohen Berges, der Sierra Blanca genannt wurde, an der Quelle des Rio Ruidoso. Bei dem Häuptling waren seine Frau und seine beiden halbwüchsigen Söhne. In zwei Pferchen standen eine Milchkuh sowie insgesamt zehn Schafe und Ziegen. Ein schwerer Kaltblüter weidete hinter dem halbfertigen Wohnhaus auf einem Flecken Grasland. Einige Hühner pickten in den Staub auf der Suche nach Fressbarem.
Es war ein sonniger Apriltag, als Tyler Whitlock mit einer Patrouille auf der im Aufbau begriffenen Farm ankam. Er gebot seinen Männern am Fluss zu kampieren. Die Pferde wurden getränkt, dann versorgten sich die Soldaten.
Victorio erwartete den Lieutenant im Farmhof. Sie reichten sich die Hand. »Ich freue mich, dich zu sehen, Whitlock«, sagte Victorio. »Was mir nicht gefällt, ist, dass Soldaten durch das uns zugewiesene Land reiten und uns überwachen.«
»Irgendwie müssen wir ja beschäftigt werden«, versetzte Whitlock lächelnd. »Wobei ich dich beruhigen kann, Häuptling. Es herrscht absoluter Friede. Wie geht es dir? Ich sehe, deine Farm macht Fortschritte. Du wirst sehen, eines Tages wirst du hier ein sorgloses Leben in Frieden und Beschaulichkeit führen. Ich denke, dieses Land ist auf einem guten Weg.«
»Ich will es hoffen, Whitlock. Meine Familie hat mir von einem Mann namens Eskiminzin berichtet. Er ist Häuptling der Aravaipas und lebt in White Mountain. Auch er kämpfte gegen die Weißen. Nun lebt er seit vielen Jahren mit ihnen in Frieden. Er hat sich am Gila River eine Farm aufgebaut, versorgt sich und seine Familie mit dem, was das Land ihm gibt und verkauft seine Erzeugnisse sogar an die Armee.«
»Ein vernünftiger Mann. Ihn müssen sich Männer wie du als Beispiel nehmen. Dann wird der Friede in unserem Land dauerhaft sein.«
Die beiden Söhne Victorios brachten zwei Stühle.
»Setz dich, Whitlock«, forderte der Häuptling den Lieutenant auf. »Und erzähle mir, was es Neues im Lande gibt.«
»Es herrscht Frieden«, sagte Whitlock und ließ sich nieder. Auch der Häuptling setzte sich. Er forderte seine Frau auf, ihm Pfeife und Tabak zu bringen. Als die Pfeife brannte, brachte die Squaw noch einen ausgehöhlten Kürbis mit Mescal und zwei verbeulte Blechtassen aus Armeebeständen, schenkte etwas von dem selbstgebrannten Schnaps in die Trinkgefäße und reichte eines Whitlock, das andere dem Häuptling.
»Ich kann es noch immer nicht glauben, dass mich die Verantwortlichen bei der Armee ungeschoren lassen«, erklärte Victorio, nachdem er einen Schluck von dem Schnaps getrunken hatte. Versonnen schaute er Whitlock an. »Ich habe viele weiße Männer getötet und gegen die Gesetze der Weißen verstoßen. Manchmal habe ich das Gefühl, man will mich und mein Volk nur in Sicherheit wiegen.«
»Du machst dir unnütze Sorgen, mein Freund«, knurrte Whitlock. »Sieh dir diesen Eskiminzin an, von dem du mir eben erzählt hast. Auch er kämpfte gegen uns Weiße, tötete wahrscheinlich viele von uns, und nun lebt er als Farmer am Gila River und beliefert die Armee mit seinen Erzeugnissen. Männer wie er sind die Wegbereiter in eine friedliche Zukunft, in der Rot und Weiß in Eintracht miteinander leben werden. Warum solltest du nicht auch ein Wegbereiter sein, Victorio. Du hast für Aufsehen gesorgt. Die Öffentlichkeit nahm an deinem und dem Schicksal deiner Krieger Anteil. Du hast nicht nur Feinde unter den Weißen. Es gibt viele Männer, die sich für die Indianer einsetzen, denen das Schicksal des roten Mannes ausgesprochen am Herzen liegt. Auch in der Politik. Diese Männer haben Verständnis für eure Probleme, und sie weisen die Schuld an den blutigen Ereignissen der Vergangenheit vor allem der mangelhaften Indianerpolitik Washingtons zu. Man wird dich in Ruhe lassen, Häuptling. Denn deine Geschichte lässt die Armee in keinem besonders guten Licht erscheinen. Fehler und Versäumnisse würden aufgedeckt werden...«
»Ich habe ein schlechtes Gefühl, Whitlock.«
»Das rührt daher, weil du den Weißen misstraust, Häuptling. Colonel Randall, der den Stützpunkt Tularosa leitet, ist ein guter Offizier, der in Frieden mit Mescaleros und Mimbres leben möchte. Der Frieden aber wäre gefährdet, wenn man dich nicht in Ruhe deine Farm aufbauen ließe. Darum wird der Colonel nicht zulassen, dass gegen dich agiert wird – wer immer es auch sein sollte, der etwas im Schilde führt. Du stehst unter dem Schutz des Colonels.«
Whitlock nippte noch einmal an dem scharfen Mescal, stellte die Tasse auf den Boden und erhob sich. »Alles wird gut, Victorio«, versprach er. »Du wirst es sehen. Auch du wirst eines Tages deine Erzeugnisse an die Armee verkaufen, du wirst von der Viehzucht und vom Handel leben, und deine Söhne werden in Frieden aufwachsen. Ich denke, wir erleben den Beginn einer guten Zeit.«
Er verabschiedete sich von dem Häuptling und war überzeugt von dem, was er gesagt hatte.
Der Gedanke an Scott Wilburn war an den Rand von Whitlocks Bewusstsein gerückt. Er befand sich nun seit fast einem Monat in Tularosa und hatte sich eingelebt. Man hatte ihn freundlich aufgenommen. Der Ruf, der ihm vorausgeeilt war, sorgte dafür, dass er von seinen Vorgesetzten mit Respekt behandelt wurde. Es hatten sich auch schon erste Freundschaften mit anderen Offizieren angebahnt.
Tyler Whitlock machte die Arbeit im Mescalero-Reservat Spaß. Hier zeigte sich Fortschritt. Es bereitete ihm Freude, zu beobachten, wie aus nichtsesshaften, nomadisierenden Apachen, die seit Jahren die Armee in Atem gehalten hatten mit ihrem Kampf um Freiheit und angestammte Plätze, ein Volk von Farmern und Viehzüchtern wurde.
Whitlock begann auch seinen eigenen, inneren Frieden zu finden. Ein tiefschürfendes Gefühl der Sicherheit hatte sich seiner bemächtigt. Es war so etwas wie die Gewissheit, dass man sich besonnen, alte Vorwürfe ad acta gelegt und einer neuen Art der Indianerpolitik zugewandt hatte, die nicht nur darin bestand, die rote Rasse aus dem Weg zu räumen und zum Schweigen zu bringen, sondern die auf ein gleichberechtigtes Nebeneinander ausgelegt war, die Achtung, nicht Ächtung des roten Mannes zum Ziel hatte, die ihn in seinen Rechten und in seinem freien Handeln nicht mehr beschränkte und die ihm eine eigene Meinung gab.
Ein Trugschluss, wie sich herausstellen sollte.
*
Ein Mann kam nach Fort Wingate. Ein wild wuchernder Bart verdeckte den Großteil seines hohlwangigen Gesichtes. Er war mit einem langen Staubmantel bekleidet, über den er den Revolvergurt geschnallt hatte. Er brachte das Pferd in den Mietstall. Staub rieselte von seinen Schultern und der Krempe seines flachkronigen Stetsons, als er im Hof absaß.
Der Stallmann erschien im Stalltor. Es war ein junger Mann in einem blauen Overall, der auf einem Strohholm herumkaute und den Fremden neugierig musterte. Dieser sagte: »Ich möchte mein Pferd für zwei oder drei Tage bei Ihnen unterstellen.«
»Sicher, Mister. Dafür ist der Mietstall da. Sind Sie auf der Durchreise?«
»Zunächst mal will ich einige Tage in diesem Nest ausruhen. Ich komme von Arizona herüber.« Der Sprecher zog sein Gewehr aus dem Scabbard.
»Es kommen hin und wieder Reiter nach Fort Wingate«, sagte der Stallbursche. »Oft sind es Männer, denen das Gesetz auf den Fersen sitzt. Fort Wingate ist so etwas wie eine Oase in der Wildnis. Fünfzehn Meilen nordöstlich von hier ist eine kleine Stadt im Entstehen. Man hat ihr den Namen Gallup gegeben. Aber das ist im Umkreis von mehreren hundert Meilen auch schon alles. Ansonsten gibt es nur Steine, Staub, Hitze, Klapperschlangen und Skorpione.«
Der Fremde lachte. »Wie ist es mit Indianern?«
»Victorio hat sich im Februar ergeben. Man hat ihn und seine Leute nach Tularosa geschickt. Sie sollen im Mescalero-Reservat angesiedelt werden und jeder im Land hofft, dass die Rothäute endlich Ruhe geben und den Frieden wahren.«
»Ich hörte davon. In diesem Zusammenhang gab es doch auch die Geschichte von diesem Lieutenant, der in den Mimbres Mountains seine Patrouille verloren hat.« Ein verborgenes Lauern zeigte sich im Blick des Fremden. Er knüpfte seine Satteltaschen los und legte sie sich über die Schulter.
»Das ist die Geschichte von Lieutenant Tyler Whitlock.« Die Worte sprudelten nur so über die Lippen des Stallburschen. »Es wurde keine Anklage gegen ihn erhoben.