Fürchte die Dunkelheit. Peter Gerdes

Fürchte die Dunkelheit - Peter Gerdes


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sehr nützlich im Beruf.

      Aber wenn er ehrlich war …

      Die Bürotür öffnete sich erneut, wieder ohne dass angeklopft worden wäre, und Stahnke war nicht überrascht, seinen direkten Vorgesetzten zu erblicken. Kriminaloberrat Fritz Manninga suchte gern den Kontakt zu seinen Leuten, tauchte häufig in deren Amtsstuben auf, meistens ohne konkreten Grund oder offenkundige Kontrollabsichten. Nur so früh am Morgen begegnete man ihm eher selten.

      »Na, mein Bester, interne Frühbesprechung schon beendet?« Manninga streckte seine nikotingelbe Hand über Stahnkes Schreibtisch, und der Hauptkommissar erhob sich, um für das kleine Ritual gerüstet zu sein. Manninga war fast dreiundsechzig, gab sich großväterlich und kokettierte gern mit seiner bevorstehenden Pensionierung, verfügte aber nach wie vor über Bärenkräfte. Und er hatte einen kindlichen Spaß daran, diese Kräfte zu messen.

      Der Moment des Zufassens war entscheidend, das wusste Stahnke aus böser Erfahrung. Gelang es einem der beiden, seinen Griff so anzusetzen, dass er Druck auf die Fingergelenke und die Knöchel des anderen ausüben konnte, dann war das Duell schnell beendet. Auch ein Ehering konnte verhängnisvoll sein, vor allem ein etwas zu großer, der sich unter Druck verkantete und seinem Träger unerträgliche Schmerzen verursachte. Zum Glück trug er seit Jahren keinen mehr. Zum Glück? Ja, doch, inzwischen konnte er das so sehen, lange genug hatte es gedauert, die Trennung von Katharina zu überwinden. Auch Manninga trug keinen Ring. Witwer war er, seit vielen Jahren schon. Also irgendwie gleiche Voraussetzungen.

      Zwei Pranken schnellten vor wie Klapperschlangenköpfe, zwei Daumen rasteten ein, zwei Satz Finger umschlossen einander, zwei Kiefer verkrampften sich, zwei Muskelpakete traten in Aktion. Aber nur einen Augenblick lang, dann war das Duell gelaufen. Dies war ein typischer Remis-Griff, der keinem der beiden einen Vorteil verschaffte, das spürten die Kontrahenten sofort. Muskel traf auf Muskel, Druck auf festes Fleisch. Patt. Grinsend ließen sie los.

      Manninga pflanzte seinen breit gebauten Körper auf den wackeligen Besucherstuhl und bedeutete auch seinem Hauptkommissar, Platz zu nehmen. »Na, viel zu tun im Moment?«

      Stahnke horchte auf. Natürlich wusste Manninga genau, welche Fälle sein 1. Fachkommissariat derzeit bearbeitete. Solch eine Frage konnte nur bedeuten, dass neue Arbeit auf ihn und seine Leute zukam.

      Auch Kramer musste das mitbekommen haben, denn seine schmale Gestalt tauchte plötzlich im Durchgang auf. Der Oberkommissar schien über ein körpereigenes Sonar für solche Dinge zu verfügen, wie ein Delfin. Oder vielmehr über ein angeborenes Radar, wie eine Fledermaus, das kam besser hin, rein figürlich. Jedenfalls stand er mit verschränkten Armen im Durchgang und schwieg auffordernd, wie nur er schweigen konnte.

      »Geht so«, sagte Stahnke. »Könnte schlimmer sein.«

      »In der Tat«, erwiderte Manninga und nickte bedächtig. »Schlimmer geht’s immer, nicht wahr, das muss uns alten Haudegen keiner mehr erzählen, was? Womit ich Sie natürlich nicht älter machen will, als Sie sind, Stahnke. Fünfzig sind Sie jetzt, nicht wahr? Oder wie war das?«

      »So etwa«, sagte Stahnke. Etwa fünfzig, das reichte, genauer musste das keiner wissen. Er selbst schon gar nicht. Also besser zurück zum Thema. »Tja, wie schlimm kommt es denn nun?«

      Manninga strich sich ein paar Strähnen seines dichten, etwas filzigen grauen Haarschopfs aus der Stirn. »Der Fall Frerichs«, sagte er in bekümmertem Tonfall. »Draußen in Moormerland. Die erschossene Frau. Wie weit sind Sie damit?«

      Stahnke zuckte die Achseln. »Die Täterschaft ist eindeutig, auch wenn der Mann bisher schweigt. Die Waffe haben wir auch. Heimtückischer Mord oder Totschlag im Affekt, das ist noch die Frage. Motiv – vermutlich Eheprobleme. Sicher, da ist noch einiges zu klären, aber das läuft uns ja nicht weg.« Während seines kurzen Vortrags wurde es Stahnke zunehmend unbehaglicher zu Mute. Sein eigenes Denken und Handeln kam ihm jetzt unglaublich schematisch vor. Ungewohnt. Und unverantwortlich.

      Aber durfte ein Fall denn nicht auch einmal klar liegen? Schließlich war in jedem zweiten Fall von Mord oder Totschlag an einer Frau das Opfer mit dem Täter verwandt, verheiratet oder eng befreundet. Die Statistik war da eindeutig. Gewalt innerhalb einer Beziehung war längst ein Straftatbestand wie jeder andere. Allerdings ein überproportional häufiger.

      »Wir dürfen diese Sache nicht auf die leichte Schulter nehmen«, sagte Manninga. »Die Leute reden.«

      Ach ja, die Leute. Manninga gab viel auf Volkes Stimme, und er war sehr besorgt um den Ruf seiner Inspektion und damit seinen eigenen. Mit schlechter Presse konnte er leben, wenn nur die Leute nicht murrten.

      »Die Leute reden doch immer«, sagte Stahnke, aber es klang nicht überzeugend, nicht einmal für ihn selbst. Also fragte er: »Was reden sie denn diesmal?«

      »Über Esdert Frerichs reden sie«, sagte Manninga. »Jetzt, wo er sitzt. Klar. Vorher gab’s kein böses Wort über ihn. Auf seine Nachbarn lässt man ja nichts kommen. Aber plötzlich …«

      Jetzt endlich fiel bei Stahnke der Groschen. Natürlich, Manninga wohnte ja in Veenhusen, und das lag in der Gemeinde Moormerland, ein paar Kilometer nördlich von Leer. Kein Wunder, dass er die Leute reden hörte, wenn es um den Fall Frerichs ging. Nachbarschaftsklatsch, das war es also. Beruhigt lehnte er sich zurück. »Ist er also früher schon gewalttätig gegen seine Frau geworden?«, fragte er. »Hat sie geschlagen und bedroht?«

      »Kein Stück«, sagte Manninga. »Die Ehe wird als sehr harmonisch geschildert, auch jetzt noch. Aber sonst, also quasi nach außen hin, soll er sich gelegentlich brutal verhalten haben. Auch gegenüber Frauen. Frauen und Mädchen. Angezeigt hat ihn aber nie eine. Klar.«

      »Klar.« Stahnke nickte. Er kannte sie gut, diese dörfliche Verschwiegenheit, die keiner brechen durfte, der nicht ausgestoßen werden wollte wie ein Leprakranker. Und natürlich die Kumpanei der Kerle, die sich in aller Regel auch auf die dazugehörigen Ehefrauen erstreckte. Da wurde von Fahrerflucht bis Vergewaltigung alles gedeckt, was diese doppelkorngesättigten Hirne für Kavaliersdelikte hielten. Nur wenn einer zu weit ging, wenn er ein Tabu verletzte, wenn er zum Beispiel seine Gattin nicht nur grün und blau schlug oder sie auf dem Ehebett gewaltsam an ihre Pflichten erinnerte, sondern ihr mit einer Ladung Grobschrot den Hinterkopf wegsprengte, dann hatte er die Solidarität verwirkt, dann ließ man ihn fallen wie eine heiße Kartoffel. So wie jetzt Esdert Frerichs, offenbar.

      »Und er soll noch weitere Waffen besessen haben«, fuhr Manninga fort.

      Stahnke runzelte die Stirn. »Laut Waffenbesitzkarte hatte er zwei Jagdgewehre«, sagte er. »Die Tatwaffe, eine Schrotflinte, und einen Zwilling. Beide haben wir sichergestellt. Von weiteren Waffen steht nichts im Bericht.« Kramer war vor Ort gewesen, und Stahnke hatte keine Veranlassung, an dessen Akribie zu zweifeln.

      »Frerichs ist nicht nur Jäger, sondern auch Mitglied im Schützenverein«, warf Kramer ein. »Vielleicht bewahrt er seine Sportwaffen im Schützenhaus auf.« Stahnke zuckte bei diesen Worten zusammen; wieder einmal war es seinem Kollegen gelungen, seine Anwesenheit aus dem Bewusstsein seiner Vorgesetzten zu tilgen. Diesen Mann konnte man sehen, ohne ihn wahrzunehmen. Der Teufel mochte wissen, wie er das machte.

      Manninga schüttelte den Kopf. »Auch solche Waffen müss­ten auf Frerichs’ Waffenbesitzkarte vermerkt sein. Außerdem geht es hier nicht um Sportpistolen oder Kleinkaliberwaffen. Die Rede ist von Schnellfeuergewehren. Armeewaffen. Kriegsgerät.«

      Stahnke pfiff leise durch die Zähne. »Ach. Und wozu? Ich meine, was hat er damit gemacht? Oder machen wollen?«

      »Keine Ahnung«, sagte Manninga. »Mehr wusste mein Informant nicht. Oder vielleicht wollte er auch nicht mehr sagen, wer weiß. Eben nur, dass Frerichs notorisch gewalttätig ist und dass er über gefährliche Waffen verfügt.«

      »Wenn er auch noch Moslem ist und einen Bart trägt, dann ist er jetzt reif für ein Flächenbombardement«, sagte Stahnke. »Anruf bei George W. Bush genügt, und wir sind den Fall los.«

      Manninga zeigte nur ein freudloses Grinsen. »Einen Anlass für Witze kann ich hier nicht erkennen«, sagte er. »Nicht einmal für schlechte.«

      Abermals


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