WIE MAN RIESEN BEKÄMPFT. David Kadel
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Wie man Riesen bekämpft – und auch besiegt!
David Kadel, Initiator des Mutmach-Buchs
Illustration: Friederike Lohrer
Ihr lieben Leserinnen und Leser,
dieses Buch ist eine Geschichten-Sammlung für Menschen jeglichen Alters. Es sind wahre Erlebnisse von inspirierenden Persönlichkeiten, die ich gesammelt habe, um junge Menschen, die noch wenig Halt im Leben gefunden haben, zu stärken. Um mittelalten Menschen (über diese Bezeichnung muss ich gerade lachen, weil sie nach Mittelalter klingt!), die irgendwie feststecken in ihrer Entwicklung, wieder „Leben einzuhauchen“. Und um alten Menschen, die vielleicht einsam sind, neue Freude und Inspiration in ihren oft grauen Alltag zu bringen.
Zusammen mit einigen guten Freunden habe ich mir überlegt, wie wir Dich mit diesem „Mutmach-Buch“ in einer ziemlich verrückten Zeit, die von Pandemie und Orientierungslosigkeit geprägt ist, stärken und inspirieren können. Denn „stark zu sein“ ist etwas, was wir heutzutage alle brauchen – ob groß oder klein, ob alt oder jung; wir alle haben immer wieder Situationen im Leben, die nicht einfach sind und in denen wir Kraft brauchen, um sie zu meistern.
In Deutschland, dem Prototyp der Leistungsgesellschaft, haben wir das Problem, dass wir schon sehr früh in der Kindheit „funktionieren“ sollen. Dieser Druck begleitet uns von klein auf – solange, bis uns jemand den Leistungsdruck nimmt, indem er uns erkennen lässt, dass wir „in Ordnung sind“, so wie wir sind!
Ich selbst bin ohne Vater aufgewachsen, als kleiner persischer Junge, dessen Eltern Mitte der 60er Jahre aus dem Iran nach Deutschland gekommen waren. In dem kleinen schwäbischen Örtchen Gaildorf (das heißt wirklich so!) waren wir wirklich „Exoten“, also eine Familie, die man sich genauer anschaut – schon allein wegen der seltenen glänzenden schwarzen Haarfarbe unter all den blonden Schwaben. Ich muss gerade selber lachen, denn im Herzen war ich sicher auch so ein kleiner „blonder Schwabe“ und konnte besser schwäbeln, als mancher „Bua“ von der Spätzles-Alb. Aber trotzdem hatte ich oft keine einfache Zeit in der Schule, denn wenn deine Mutter auch noch Lehrerin ist, dann erwarten alle den perfekten Jungen, von dem ich leider so weit entfernt war, wie die Erde vom Mars. Also ich war ein echter Rabauke und habe es immer als erster gerochen, wenn sich eine Chance ergab, irgendeinen Sch... anzustellen. Dass ich dann sogar in der 11. Klasse für eine Woche von der Schule flog, hat mich leider auch nicht daran gehindert, mir mit meinen Jungs immer wieder neue Streiche auszudenken.
Mir fehlte damals mein Vater sehr, der unsere Familie für immer verließ, als ich drei Jahre alt war. Und dadurch fehlte mir auch die Aufmerksamkeit und die Liebe, die ein kleiner Junge so dringend braucht von seinem Papa, um sich gut und sicher zu fühlen.
Diese Liebe eines fürsorglichen Vaters ist unersetzlich. Und seit ich denken kann, war es in meinem Leben so gewesen, als ob mir dadurch etwas Lebenswichtiges fehlen würde, als ob ich nicht „normal“ wäre. Vor allem, wenn ich andere Kinder aus meiner Klasse sah, die am Wochenende an der Hand von Mama und Papa fröhlich durch die Stadt liefen, dann hatte ich immer dieses Gefühl in mir, dass ich nicht in Ordnung bin, weil das Wichtigste fehlt. Zum Tippkick-Spielen war ich oft bei meinem Schulfreund Armin und habe es immer geliebt, wenn seine Mutter den Kopf ins Zimmer streckte: „Jungs, kommt ihr Kuchen essen? Die Oma hat gebacken!!“ Das war ziemlich genial, denn im Haus dieser Familie Frey gab es jeden(!) Tag Kuchen. Ich muss dazu sagen, dass meine Mutter nie Kuchen gebacken hat. Sie kam aus dem Iran und hatte eine komplett andere Vorstellung von Essen als die Schwaben, mit denen ich aufwuchs. Torte oder Kuchen gab es nur einmal im Jahr an meinem Geburtstag. Da kaufte sie im Aldi einen Tortenboden für 50 Pfennig, legte ein paar Scheiben Ananas oder Pfirsich drauf, bedeckte das Ganze schnell mit Sahne – und fertig!
Wenn meine Mutter, die unser Buch sicher im Himmel liest, es könnte, würde sie jetzt von ihrer Wolke da oben runtersteigen und mir eine (liebevolle) Ohrfeige geben! „Waaaaas? Dir hat meine Torte nicht geschmeckt??“ Dann würde ich ihr antworten: „Doch, doch Mutti! Also die Sahne war immer wirklich lecker!“ Das mit der Sahne konnte sie tatsächlich richtig gut, und ich mag bis heute keine Sahne, wenn sie nicht so richtig süß ist. Ich glaube, meiner Mutter ist immer die ganze Zuckerdose in die Sahneschüssel gefallen, so süß war sie!
Nun, ich wollte Dir ja nicht von der großen Kunst des Backens erzählen, sondern von meinem nicht vorhandenen Vater und dem „Loch“, das er in meinem Herzen hinterlassen hatte, als er urplötzlich für immer verschwand. Je älter ich wurde, desto öfter hatte ich diese innere Stimme, die mir sagte: „David, es fehlt etwas in deinem Leben!“ Es fühlte sich so an, als ob ich unvollkommen wäre, oder wie wenn man innerlich im Herzen krank ist. Das Schlimmste im Leben ist, wenn man über sich denkt: „Ich bin nicht in Ordnung!“ Denn das ist eine Lüge, die sich durch bestimmte Umstände langsam in den Kopf schleicht und sich dort wie ein Gift ausbreitet, bis sie in unser Herz gelangt. Und am Ende glauben wir das wirklich, dass wir „nicht in Ordnung“ sind.
Die Wahrheit ist: Es gibt keine heile Welt da draußen. Wir alle haben mit Herausforderungen zu kämpfen. Der eine mag körperlich gesund sein, hat aber mit den Krankheiten in seinem Kopf zu kämpfen, weil er zu oft schlecht von sich denkt. Die andere mag gesund sein nach außen, doch kaum einer weiß, dass sie ihre Nase und ihre Haare nicht mag und sehr darunter leidet, nicht so hübsch auszusehen, wie die „Schönheit der Klasse“. Ein dritter mag kerngesund sein, aber er leidet heimlich unter Minderwertigkeitskomplexen, weil er zu klein ist. Und sein bester Kumpel leidet unter denselben Komplexen, weil er mit 1,89 m für sein Alter viel zu groß ist und deswegen gehänselt wird.
Auch wenn wir älter werden, hört das nicht auf, dass manche Menschen in einer Art Teufelskreis immer wieder damit anfangen, etwas zu finden, wo sie scheinbar nicht in Ordnung sind. Deswegen sind ja so extrem viele Menschen heiß darauf, möglichst viele „likes“ auf Instagram und Facebook zu bekommen, weil sie sich nach Anerkennung sehnen und sich daraus das Gefühl ziehen, vielleicht doch „in Ordnung“ zu sein.
Nun, wenn man ein Kind ist oder ein Jugendlicher, dann hat man noch nicht dieses Selbstbewusstsein entwickelt, um zu verstehen, dass es wahrscheinlich allen anderen Menschen auch so geht. Ich bin mir sicher: Es gibt kaum einen Menschen auf der Welt, der nicht tagtäglich mit irgendeiner Herausforderung zu kämpfen hat. Und das ist auch wirklich gut so, denn nur wenn wir kämpfen, können wir wachsen und uns zu tollen Persönlichkeiten und Vorbildern entwickeln. Und darum geht es am Ende im Leben. Es geht nicht darum, dass man es immer leicht hat, sondern darum, „das Richtige“ zu tun und damit anderen ein Vorbild zu sein.
Ein Beispiel für Dich, warum „oben sein“ nicht immer das Richtige ist, und warum „unten sein“ oft die Basis bildet für ein erfolgreiches und glückliches Leben:
Wenn man oben auf dem Berg steht, dann sieht zwar alles erst einmal super aus und man hat diese mega Aussicht. Doch die wunderschönen Pflanzen und starken Bäume wachsen nun mal „unten“. Also da, wo man eigentlich nicht sein möchte: im „Tal des Lebens“. Wenn auch wir uns eine Zeit lang „unten“ fühlen, dann ist das manchmal gar nicht schlecht, weil wir in dieser Zeit zu tollen Menschen wachsen dürfen. Wie eine wunderschöne Blume, deren bunte Blüten man plötzlich sieht und sich daran erfreut. Doch es hat Zeit gebraucht, bis sich diese Blume zu einem „Hingucker“ entwickelt hat. Ich liebe schöne Bäume. Manchmal beim Spazierengehen mit meiner Frau bleibe ich stehen und sage zu Helena: „Schau mal, dieser Ahornbaum, wie alt mag der wohl sein? Wahnsinn, wie hoch und wie stark der ist!“ Und genau darum soll es in diesem Mutmach-Buch gehen. Wir möchten Dir beim „Wachsen“ Deiner Persönlichkeit helfen. Egal ob Du jung oder alt bist, Angestellter oder Führungskraft, wir wollen Dein Charakter-Bäumchen gießen mit Inspiration und mit faszinierenden Mutmach-Geschichten, so dass es von Tag zu Tag ein bisschen wächst und sich dann langsam zu einem wunderschönen, starken Baum entwickelt, den man schon von Weitem sehen kann.