Die Frau des schönen Mannes. Mario Schneider
kam mir unpassend vor. Ich zögerte. Mir war nicht klar, warum ich das tat. Doch, es war mir klar. Ich wollte Sex, nur Sex.
»Ich wollte das einfach ausprobieren, und da ich gerade solo bin, dachte ich, jetzt oder nie.«
»Du hast keine Frau?«, fragte sie mich.
»Seit einem Jahr.«
»Ach so, würdest du das hier nicht machen, wenn du eine Frau hättest?«
»Nein, da würde doch etwas nicht stimmen, oder?«
Sie schaute mich einen Augenblick an, dann sagte sie: »Du bist mein erster Kunde«, und klopfte mir dabei vertraulich auf den Oberschenkel, »du hast doch nichts dagegen, wenn ich dich so nenne, nein, du bist mein erster Kunde, der keine Frau hat.«
Ich war verblüfft. »Das glaub’ ich nicht.«
»Ist aber so, die haben fast alle Frauen.« Sie überlegte. »Und Kinder. Die zeigen mir gleich am ersten Abend die Fotos von den Kindern und ihrer Frau und erzählen dann, wie hübsch sie sind und wie toll sie ist oder wie kompliziert.«
Sie trank einen Schluck. »Ich habe den Glauben verloren, dass es anständige Männer gibt, glaub’ mir. Du bist da wirklich der Erste. Das imponiert mir.«
Ich fühlte mich geschmeichelt, und gleich darauf kam ich mir wieder abartig und schlecht vor, ja, wie jemand, der etwas unsagbar Schlechtes tut. ›Wir könnten uns doch einfach nur unterhalten. Sie behält das Geld, und am Ende bedanke ich mich bei ihr für den schönen Abend.‹ Das war eine gute Idee, und dabei wurde mir ganz wohl. Ich fühlte mich wie ein guter Mensch.
»Wie lange machst du das schon?«, fragte ich so normal wie möglich.
»Vier Monate«, antwortete sie.
»Das ist nicht lange.«
»Das ist sehr lange«, sagte sie. Sie kramte in ihrer Handtasche. »Darf ich rauchen?«, fragte sie in ihre Tasche hinein.
»Ich glaube schon, auf dem Tisch steht ein Aschenbecher.«
»Ja schon, aber du schläfst hier.«
»Ach so.« Ich überlegte. »Ja, ja, das geht schon.« Sie öffnete die Schachtel ›P&M‹ und nahm sich eine Zigarette heraus.
»Darf ich auch?«, fragte ich.
»Du rauchst?«
»Nur wenn ich nervös bin.«
Sie hielt mir die Schachtel hin. »Du wirkst ganz und gar nicht nervös.«
»Das ist äußerlich.«
Sie zog den Rauch, nachdem sie ihn mit der Nase ausgeblasen hatte, mit dem Mund wieder ein. Es war, als wäre sie allein auf der Welt.
Ich bemerkte, wie ich sie anstarrte.
»Was ist?«, fragte sie.
»Du bist so schön.«
Sie lächelte. »Och, danke, ich verstehe trotzdem nicht, wieso du mich ausgesucht hast.«
»Wegen deiner Augen. Sie sahen ehrlich aus.«
»Ach komm, das glaubst du ja selbst nicht, oder?«
Es gab auch ein Bild von ihr, auf dem sie halb nackt war, und ihr Körper war makellos. »Nein, wirklich«, sagte ich.
»Du siehst auch gut aus«, sagte sie und schaute mir ins Gesicht.
›Das muss sie jetzt sagen‹, dachte ich.
»Das meine ich ernst, ich wäre vorhin fast wieder gegangen.« Sie ruckte kurz mit ihrem Kopf. »Wegen dem Zimmer. Ich bin geblieben, weil du nett aussiehst. Und ich glaube, du bist es auch.«
›Das muss sie jetzt sagen.‹ Sie nahm einen letzten Zug, dann drückte sie die Zigarette im Ascher aus. »So, jetzt könnt’ ich einen Sekt vertragen.«
»Oh ja, sicher.« Ich ging hinüber zum Tischchen und griff die Flasche. Ich ließ den Korken nicht knallen, holte zwei Zahnputzgläser aus dem Bad und setzte mich wieder neben sie. Ich traute mich nicht, auf die Uhr zu schauen. Ich hatte Lust auf sie und wusste nicht, wie viel Zeit mir von den zwei Stunden noch geblieben war. Wir stießen an. Dann erzählte sie mir von ihrem letzten Urlaub am Mittelmeer, von ihrem Ex-Freund, mit dem sie noch zusammenwohnte, von ihren zwei Hunden, ihren drei Kanarienvögeln, ihrer Eidechse und der Schildkröte, die dreißig Jahre älter war als sie.
»Von wem hast du sie?«, fragte ich. Sie trank ihren Sekt aus und antwortete nicht.
Ich streichelte ihren Arm, mit dem sie sich auf dem Bett abstützte, und sie blickte verwundert auf meine Hand, wie sie ihren Arm streichelte. Wir schwiegen, und ihr Lächeln wurde zu der Frage, die sie dann auch stellte: »Das ist seltsam, oder?«
›Ja, sie hat recht, es ist seltsam, ich verliebe mich gerade in sie. Aber es ist nicht echt, und das ist seltsam.‹
»Ja«, sagte ich. ›Ich möchte sie jetzt küssen, und sie wird es zulassen.‹ Ich beugte mich zu ihr, griff unter ihren Arm, zog sie etwas zu mir heran und küsste sie. Ihr Mund war weich, und ihre Zunge begegnete der meinen mit solcher Bereitschaft und Ruhe, dass ich mich ihr voll und ganz überließ.
Ich weiß nicht mehr, wie lange wir uns küssten. Es war der beste Kuss, es war der Kuss meines Lebens, mit einer Frau, die ich nicht kannte und die ich gekauft hatte, die mich küsste, als würde sie mich lieben, die mich küsste wie keine der Frauen, die mich geliebt hatten.
Mir war schwindlig, und ich beugte mich von ihr zurück.
»Du küsst gut«, sagte sie.
›Das muss sie jetzt sagen, natürlich muss sie das.‹
»Ich gehe jetzt kurz ins Bad, und du kannst ja versuchen, etwas gemütlicheres Licht zu machen.« Und dann war sie weg.
Ich war bereit. Ich löschte die Nachttischlampe und öffnete die Gardine etwas. Ein Spalt Licht schlug ins Zimmer und wechselte immerfort die Farbe. Sie kam aus dem Bad, als es blau wurde. Sie hatte nur noch schwarze Unterwäsche an, und ihr Körper erschien mir noch weißer und strahlte in dem Blau, dem Rot und dem Grün. Sie war wie eine Galionsfigur und hinter ihr ein Schiff aus schwarzem Stahl, das sie schwer zu mir ins Zimmer schob.
Ich lag ausgestreckt auf dem Bett und wartete auf ihre Hände, die mich ausziehen würden. Sie knöpfte mein Hemd auf und küsste sanft meine Brust. Ich nahm ihr kleines, weißes Gesicht zwischen meine Hände, zog sie zu mir und küsste ihren Mund. Und ich dachte: ›Das ist Wahnsinn.‹ Ich nahm nicht wahr, wie sie meine Hose auszog, wie sie meine Strümpfe von den Füßen streifte und meine Shorts über die Beine zog. Ich war bereit. Die ganze Zeit über. Ich öffnete ihren BH. Ihre Brüste waren klein, die Haut wie Samt. Ich weiß nicht mehr, wie ich ihren Slip auszog. Dann lag sie neben mir und schaute mir in die Augen. »Du machst mich nervös«, sagte sie. Ich spürte ihren warmen Körper.
»Wie?«
»Du machst mich nervös.«
Ich verstand das nicht. ›Meint sie das ernst?‹
Sie küsste meine Schulter, und ihre Zunge fuhr meinen Hals entlang und langsam hinab an meiner Brust.
›Meint sie das ernst? Was ist hier los? Ich mag sie. Das kann nicht echt sein. Wie kann so etwas echt sein?‹
»Halt, warte.« Ich zog sie zu mir nach oben. »Warte«, sagte ich.
Sie schaute mich fragend an. Dann umarmte sie mich. Wir passten genau zusammen. Unsere Körper passten ganz genau zusammen. Ich drückte sie fest an mich, und sie verschwand in mir, denn sie wollte verschwinden und ich nahm sie auf, weil ich gewartet hatte auf jemanden wie sie.
»Du magst mich. Das ist das Problem, stimmt’s?«
»Ja, es ist verrückt, wir kennen uns nicht, aber ich mag dich.«
»Nein, das ist nicht verrückt, ganz und gar nicht, ich mag dich auch.«
›Sie muss das sagen‹, dachte ich, und dann