Sophienlust Paket 3 – Familienroman. Patricia Vandenberg

Sophienlust Paket 3 – Familienroman - Patricia Vandenberg


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öffnete Julia impulsiv ihre Tasche und zog das Babyhemdchen mit den kornblumenblau umhäkelten Rändern heraus. Dann erzählte sie der weisen älteren Schwester, was für eine Bewandtnis es damit hatte.

      Die Schwester lachte nicht, wie Julia eigentlich erwartet hatte. Im Gegenteil, in ihre Augen trat so etwas wie Schrecken. »Ja, das ist uns damals schon merkwürdig vorgekommen«, sagte sie zu Julias Überraschung. »Ich kann mich noch genau an dieses Hemd­chen entsinnen, weil es etwas ausgefallen war. Auch habe ich Ihre Entschuldigung wegen der Häkelarbeit nicht vergessen. Und dann legte ich das Hemdchen mit zu den Sachen für den Kreißsaal. Und die Hebamme behauptete damals fest, sie habe Ihrem Kind das Hemdchen angezogen. Später aber trug es das Kind dieser Studentin.«

      »Lucy Bomans, nicht wahr?«, fragte Julia, die sich den Namen genau gemerkt hatte.

      »Ja, Lucy Bomans. Aber wie kommen Sie nur auf diese absurde Idee, dass die Kinder verwechselt wurden? Sie bekommen doch kleine Plaketten mit ihren Namen, damit so etwas nicht passieren kann. Und das Baby, das noch am gleichen Tag starb, trug die Plakette mit Ihrem Namen, Frau van Arx.«

      »Ich verstehe das auch nicht. Vielleicht bin ich wirklich ein bisschen verrückt«, gab Julia offen zu. »Trotzdem möchte ich Lucy Bomans kennenlernen. Was hat sie denn studiert?«

      »Medizin. Sie müsste schon fertig sein. Immerhin sind seit dieser Zeit mehr als fünf Jahre vergangen.«

      »Ja, ich weiß.« Julia erhob sich. »Ich danke Ihnen für Ihre Hilfe, Schwester Gertruidje.«

      »Hoffentlich habe ich Ihnen helfen können.«

      Julia kehrte in ihr Hotel zurück und ließ sich das Telefonbuch geben. Diesmal schien ihr das Glück hold zu sein. Denn sie fand die Adresse von Dr. Lucy Bomans und rief dort an. Die junge Ärztin war selbst am Telefon. Julia machte mit ihr ein Rendezvous in ihrem Hotel aus.

      Voller Unruhe fieberte sie dann dem Nachmittag entgegen. Die Zeit schien im Schneckentempo dahinzukriechen. Endlich läutete das Telefon auf ihrem Nachttisch. Der Portier sagte ihr, eine Dame warte unten in der Halle auf sie.

      Lucy Bomans war eine hübsche kräftige Frau mit mittelblonden Haaren und hellblauen Augen. Die wilden turbulenten Jahre ihrer Studienzeit konnte man ihr beim besten Willen nicht mehr ansehen. Auch trug sie einen Verlobungsring.

      »Ja, Frau van Arx?«, fragte sie. »Den ganzen Tag habe ich mir den Kopf zerbrochen, wer Sie sind und was Sie von mir wollen. Nun, wo ich Sie sehe, habe ich das Gefühl, dass wir einander schon irgendwann einmal begegnet sind.«

      »Wir kennen uns flüchtig. Wir haben damals zur gleichen Zeit unsere Kinder bekommen.«

      Dunkle Röte flammte über das Gesicht der Holländerin. Man sah ihr an, wie peinlich es ihr war, von dieser Angelegenheit sprechen zu müssen. Aber sie sagte sich, dass es keinen Sinn habe, den Kopf wie der Vogel Strauß in den Sand zu stecken und zu glauben, niemand sehe sie. »Warum spielen Sie darauf an?«, fragte sie sachlich und sah Julia fest an.

      »Weil … Ja, weil ich glaube, dass man Ihr Kind mit meinem verwechselt hat«, sagte sie aufs Geratewohl.

      »Verwechselt? Aber nein, das glaube ich nicht. Wie kommen Sie nur darauf?«

      Julia entschloss sich, ihre Karten offen auf den Tisch zu legen. Kopfschüttelnd hörte Lucy sie an. »Ja, es ist wahr, ich wunderte mich auch über das fremde Hemdchen. Aber ich dachte, es sei vom Krankenhaus. Denn ich habe das Kind ja nicht mit nach Hause genommen.«

      »Nicht mit nach Hause genommen? Aber …« Julia stockte. »Ist es denn auch gestorben?«

      »Ach wo, der kleine Junge war kerngesund. Und wenn ich damals nicht versprochen gehabt hätte, ihn herzugeben, hätte ich es später bestimmt nicht mehr getan. Glauben Sie mir, ich war verzweifelt, als der Arzt mir den kleinen Jungen fortnahm und ihn der anderen gab. Auf all das Geld, das mir mehrere sorglose Studienjahre in Aussicht stellte, hätte ich damals liebend gern verzichtet. Aber er ließ sich nicht erweichen. Denn er liebte die andere trotz allem noch immer. Und ich liebte ihn. Lächerlich, nicht wahr? Es war ja auch sein Kind. Obwohl ich ihm gesagt hatte, dass ich an seiner Vaterschaft zweifelte. Mein Gott, war ich damals dumm, aber eben so schrecklich jung.«

      »Wer war die andere?«, fragte Julia tonlos und wusste es doch schon.

      »Die andere? Die Gattin eines reichen Industriellen. Sie wollte mit dem Kind die Liebe ihres Mannes zurückgewinnen, was ihr allem Anschein nach auch gelungen ist. Und Claus hat ihretwegen Amsterdam verlassen und sich im Busch verkrochen. Was, die Welt ist manchmal zum Lachen?«

      »Betty Cornelius? Ja, es muss Betty Cornelius gewesen sein.« Julias Herz pochte hart. Dann war der kleine Pieter vielleicht doch ihr Kind. Ihr totgeglaubter Sohn. Aber noch gab es dafür keine sicheren Beweise. Wie sollte sie die nur finden? Wie? Wenn ihr jemand dabei helfen konnte, dann nur Dr. Claus Aarhof. Nur er besaß den Schlüssel zur Wahrheit.

      Julia fragte Lucy nach seiner Adresse. Aber die junge Ärztin konnte ihr nur antworten, sie kenne seine Anschrift nicht.

      Julia kehrte unverrichteter Dinge aus Amsterdam zurück. Trotzdem war sie sicher, einen kleinen Schritt in ihren Nachforschungen vorangekommen zu sein. Sollte sie Betty Cornelius im Sanatorium besuchen? fragte sie sich immer wieder. Vielleicht konnte sie ihr ebenfalls helfen? Aber ob sie das wollte? Ob sie Pieter wieder hergeben wollte? Von einer solchen Frau war doch keine Hilfe zu erwarten, dachte Julia resigniert.

      Nach einigen Tagen, die ausgefüllt waren mit ihren zwiespältigen Gefühlen, entschloss sich Julia, doch in die Eifel zu fahren, um an das Gewissen von Betty Cornelius zu pochen.

      *

      Betty Cornelius blickte den Mann, der ihr gegenübersaß, wie das siebte Weltwunder an. Noch immer konnte sie nicht fassen, dass Claus zu ihr gekommen war. Der Mann, der sie – ihrer Ansicht nach – seit Jahren erpresste und ihr dadurch das Leben zur Hölle gemacht hatte. Doch wie sehr hatte er sich verändert. Er war in den letzten fünf Jahren um das Doppelte gealtert.

      Claus hatte ähnliche Gedanken. Bettys Aussehen war für ihn ein richtiger Schock. Auch erkannte er an ihren fahrigen Bewegungen, an dem unsteten Flackern ihrer Augen, dass sie süchtig sein musste.

      Noch hatten beide nicht die Kraft aufgebracht, mehr als belanglose Worte zu sagen. Noch waren sie auch zu sehr mit ihrer verhaltenen Wiedersehensfreude beschäftigt. Betty machte dann den Anfang. Mit einem bitteren Zug in ihrem Gesicht sagte sie: »Wie du siehst, habe ich nicht meine Ehe retten können. Ich bin am Ende, Claus. Und das habe ich nur dir zu verdanken. Ja, dir und deinem Bruder!« Ihre so lange zurückgehaltene Verzweiflung brach nun mit aller Gewalt aus ihr hervor.

      »Betty, deshalb bin ich ja gekommen. Glaube mir, ich habe nichts mit dieser ganzen Geschichte zu tun. Rein gar nichts. Dein Brief hat bei mir wie eine Bombe eingeschlagen. Darum habe ich mir auch so schnell wie möglich Urlaub genommen, um dir zu helfen. Martin hat dich ohne mein Wissen erpresst.«

      »Der Gedanke ist mir auch schon gekommen. Aber als dein Bruder das letzte Mal hier war, hat er fest und steif behauptet, ihr beide wärt euch einig und wolltet euch mit dem Geld von mir eine neue Existenz aufbauen. Er …«

      »Mein Gott, wie ist das nur möglich.« Claus fuhr sich mit dem Taschentuch über seine schweißfeuchte Stirn. »Ich habe dich doch geliebt, Betty. Ja, ich habe dich mehr als mein Leben geliebt. Hätte ich mir sonst mein Leben so ruiniert?«

      »Warum ruiniert?« Mit zitternden Händen griff sie nach dem Glas mit Wasser. Blitzschnell fuhr ihre Hand in die Tasche ihrer Jacke und ebenso unauffällig steckte sie eine Tablette in den Mund.

      Aber Claus hatte es doch bemerkt. »Was nimmst du da?«, fragte er.

      »Eine Beruhigungstablette. Sonst nichts.« Sie atmete auf. »Wieso ist dein Leben ruiniert? Ich hätte niemals jemandem von dem untergeschobenen Kind erzählt. Schließlich fällt doch alles auf mich zurück.«

      »Nicht ganz, Betty. Ich habe bestätigt, dass du ein Kind zur Welt gebracht hättest.«

      »Mein Gott, wenn du nicht mit deinem Bruder gesprochen hättest, würde niemand


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