An unsere Freunde. Unsichtbares Komitee

An unsere Freunde - Unsichtbares Komitee


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      Das Unsichtbare Komitee ist ein anonymes Kollektiv. Ihr Manifest Der kommende Aufstand (frz. 2007 / dt. 2010) wurde in viele Sprachen übersetzt und löste eine kontroverse internationale Debatte aus, auch wegen seiner Instrumentalisierung als angeblicher Beweis für die Bildung einer terroristischen Vereinigung durch die französische Regierung und der damit begründeten Inhaftierung der »Tarnac Nine«.

      »›Der kommende Aufstand‹ gilt als eine Art Manifest des militanten Aussteigertums und als Abkehr von bisherigen Proteststrategien. Es ist auch der radikalste und problematischste Ausdruck eines neuen gesellschaftlichen Unbehagens.«

       Der Spiegel

      »Die Autoren sind ein namenloses Kollektiv, was nicht verhindert hat, dass das Buch glänzend geschrieben ist. Das schmale Werk könnte das wichtigste linke Theoriebuch unserer Zeit werden.« Nils Minkmar, Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung

      »Das Besondere an dem Buch ist dessen glänzender Stil. Der Text kommt ohne das sonstige phraseologische Sperrholz linker Pamphlete aus, die Autoren schreiben mit situationistischem Schwung und gleichzeitig düsterrevolutionärem Zorn eine ›Ästhetik des Widerstands‹ für das neue Jahrtausend.«

      Alex Rühle, Süddeutsche Zeitung

      Die Originalausgabe des vorliegenden Buches

      erschien unter dem Titel A nos amis bei La Fabrique éditions, Paris 2014 © lundimatin

      Edition Nautilus Schützenstraße 49 a · D-22761 Hamburg www.edition-nautilus.de Alle Rechte vorbehalten · © Edition Nautilus 2015 Deutsche Erstausgabe April 2015 Umschlaggestaltung: Maja Bechert, Hamburg www.majabechert.de 1. Auflage Print ISBN 978-3-89401-818-4 E-Book ISBN 978-3-96054-080-9

       Inhaltsverzeichnis

       Merry crisis and happy new fear

       Sie wollen uns zum Regieren zwingen, wir werden uns auf diese Provokation nicht einlassen

       Die Macht ist Logistik. Blockieren wir alles!

       Fuck off Google

       Lass uns verschwinden

       Unsere einzige Heimat: die Kindheit

       Omnia sunt communia

       Today Libya, tomorrow Wall Street

       also für Billy, Guccio, Alexis und Jeremy Hammond

      Es gibt keine andere Welt. Es gibt nur eine andere Art zu leben. Jacques Mesrine

      Die Aufstände sind also gekommen. In so schneller Abfolge, seit 2008, und in so vielen Ländern, dass das ganze Gefüge dieser Welt Stück für Stück auseinanderzubrechen scheint. Wer vor zehn Jahren einen Aufstand vorhersagte, setzte sich dem Hohngelächter der Runde aus; heute machen sich die lächerlich, die die Rückkehr zur Ordnung verkünden. Nichts sei unerschütterlicher, gesicherter, hieß es, als Ben Alis Tunesien, die geschäftige Türkei Erdoğans, das sozialdemokratische Schweden, das Syrien der Baath-Partei, das ruhiggestellte Quebec und das Brasilien der Strände, der bolsa família und der friedensstiftenden Polizeitruppen. Was dann folgte, haben wir gesehen. Die Stabilität ist dahin. Selbst in der Politik denkt man unterdessen zweimal nach, bevor man ein Triple-A-Rating vergibt.

      Ein Aufstand kann jederzeit losbrechen, aus welchem Anlass auch immer, in welchem Land auch immer; und irgendwohin führen. Die Machthaber bewegen sich zwischen Abgründen, deren bloßer Schatten sie zu bedrohen scheint. Que se vayan todos! lautete ein Slogan, der zur Volksweisheit geworden ist – zum Basso continuo der Zeit, ein Gemurmel, von Mund zu Mund propagiert, um sich unvermittelt wie ein Beil zu erheben, gerade wenn man es am wenigsten erwartet. Die gewieftesten Politiker haben ihn sogar zu einem Wahlversprechen gemacht. Etwas anderes bleibt ihnen nicht übrig. Der heillose Abscheu, die reine Negativität, die absolute Verweigerung sind die einzigen erkennbaren politischen Kräfte des Augenblicks.

      Die Aufstände sind gekommen, nicht die Revolution. Selten konnte man in den letzten Jahren, in so komprimierter Zeit, so häufig erleben, wie ein offizieller Regierungssitz im Sturm erobert wurde, von Griechenland bis Island. Bald wird es ein elementarer politischer Reflex sein, Plätze mitten in den Stadtzentren zu besetzen, Zelte oder behelfsmäßige Hütten aufzustellen, Barrikaden und Kantinen zu errichten und Versammlungen abzuhalten, so wie man gestern einen Streik ausrief. Offenbar hat die Zeit sogar ihre eigenen Gemeinplätze hervorgebracht – allen voran dieses All Cops are Bastards (ACAB), das eine eigenartige Internationale fortan nach jedem neuen Ausbruch von Revolten auf den bröckelnden Mauern der Städte zurücklässt, ob in Kairo oder Istanbul, Rom, Paris oder Rio.

      Doch wie groß auch immer die Unruhen unter dem Himmel sind, die Revolution scheint überall im Stadium des Aufruhrs zu ersticken. Im besten Fall besänftigt ein Regimewechsel einen Moment lang das Bedürfnis, die Welt zu verändern, bevor er sofort wieder in dieselbe Unzufriedenheit mündet. Im schlimmsten Fall dient die Revolution nur jenen als Trittbrett, die sie zwar im Mund führen, aber eigentlich nur abwürgen wollen. Mancherorts, wie in Frankreich, bahnt das Fehlen ausreichend selbstbewusster revolutionärer Kräfte jenen den Weg, die sich darauf spezialisiert haben, Selbstbewusstsein vorzutäuschen und es als Spektakel zu inszenieren: den Faschisten. Die Ohnmacht verbittert.

      An diesem Punkt müssen wir Revolutionäre unsere Niederlage eingestehen. Nicht, weil wir die Revolution seit 2008 als Ziel nicht erreicht hätten, sondern weil sich die Revolution als Prozess fortlaufend von uns losgelöst hat. Wenn man scheitert, kann man die ganze Welt dafür verantwortlich machen und sich, gestützt auf tausend Ressentiments, alle möglichen Erklärungen zurechtlegen, selbst wissenschaftliche Erklärungen; oder man kann darüber nachdenken, was in uns selbst dem Feind einen Ansatzpunkt bietet, sodass wir nicht zufällig, sondern häufig scheitern. Vielleicht könnten wir fragen, was zum Beispiel noch links ist an den Revolutionären und sie nicht nur scheitern lässt, sondern einem allgemeinen Hass aussetzt. Ein gewisser Anspruch auf moralische Hegemonie, die sie sich gar nicht leisten können, ist ein Fehler, den sie von der Linken geerbt haben. Ebenso die unhaltbare Anmaßung, die richtige Lebensweise vorschreiben zu wollen – die wirklich fortschrittliche, aufgeklärte, moderne, korrekte, dekonstruierte, einwandfreie. Eine Anmaßung, die Mordgelüste in allen weckt, die sich dadurch unwiderruflich ins Lager der Reaktionären-Konservativen-Obskurantisten-Engstirnigen-Rüpel-Altmodischen gestoßen fühlen. Die leidenschaftliche Rivalität der Revolutionäre mit der Linken befreit sie mitnichten von dieser, sondern hält sie auf deren Terrain zurück. Ziehen wir Leine!

      Seit Der kommende Aufstand erschienen ist, haben wir uns dorthin begeben, wo die Epoche in Aufruhr geraten ist. Wir haben gelesen, wir haben gekämpft, wir haben mit Genossen aller Länder und Strömungen diskutiert, sind mit ihnen gegen die unsichtbaren Hindernisse der Epoche gestoßen. Manche von uns sind gestorben, andere waren im Gefängnis. Wir sind hartnäckig geblieben. Wir haben nicht aufgegeben, weder Welten zu errichten, noch die bestehende anzugreifen. Was wir von unseren Reisen mitgebracht haben, ist die Gewissheit, dass wir es nicht mit unsteten, getrennten Revolten zu tun haben, die nichts voneinander wissen und erst miteinander


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