Kapitalismus und politische Moral in der Zwischenkriegszeit oder: Wer war Julius Barmat?. Martin H. Geyer

Kapitalismus und politische Moral in der Zwischenkriegszeit oder: Wer war Julius Barmat? - Martin H. Geyer


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sahen. Barmats Antwort auf die Frage, wie ihm das alles gelang, war einfach. Nicht nur, dass er im Gegensatz zu seinen Konkurrenten in den Niederlanden und Deutschland bis weit nach Belgien und in die USA über Händlerkontakte verfügte; sein Verfahren habe darin bestanden, dass er seinen Zulieferern die gleichen Konditionen anbot wie die Reichsstellen ihm: »Wenn ich einen Kontrakt in Holland gemacht habe, wir wollen einmal sagen: mit Cohen van der Laan in Margarine, Schmalz und Fett, dann habe ich dem Lieferanten gesagt: Das sind die Bedingungen, die ich mir dabei mache, und du mußt dich an diese Bedingungen halten; ich will dir aber als Sicherheit von mir aus 100000 Gulden einzahlen […] und […] den Rest auf der Basis, wie ich das mit der Reichsstelle machte, kannst du das mit mir machen.«68 Auf diese Weise habe er die Lieferanten an den Risiken beteiligt und sein eigenes Risiko minimiert. Das war für alle Beteiligten unsicher, ein System von Zusagen und Versprechungen, die oft nicht eingehalten werden konnten, was möglicherweise auch erklärt, dass Barmat der Ruf vorauseilte, dass man mit ihm vorsichtig sein müsse.

      Offen blieb die Frage, ob sich Barmat mit den Nachweisen über die deutschen Lieferungsaufträge Gulden beschaffte und diese dann für Währungsspekulationen benutzte. Seine Konkurrenten versuchten das zu skandalisieren, stand damit doch der Verdacht im Raum, »der Kriegsgewinnler« habe auf den Niedergang des Markkurses spekuliert und sei damit auch ein Inflationsgewinnler. Beweisen ließ sich das nicht. Und ob solche spekulativen Währungsabsicherungen wirklich strafbar gewesen wären, war, wie auch der Vorsitzende des preußischen Untersuchungsausschusses Eugen Leidig (DVP) bezweifelte, eine ganz andere Frage.69

      Viele andere Punkte blieben offen, darunter der, wie es dem Kaufmann gelingen konnte, unter den Bedingungen der Markabwertung 1919/20 – erst im Frühjahr 1920 zog der Markkurs wieder an – den deutschen Stellen auf relativ lange Dauer Kredit zu geben und zugleich einen Gewinn zu erwirtschaften. Außer Frage stand dagegen, dass Barmat ein geschickter Finanzjongleur mit einem offenbar phänomenalen Zahlengedächtnis war, der in den Ausschüssen aus dem Stegreif über die kompliziertesten Details, Zusammenhänge und Namen Auskunft geben konnte, was offensichtlich auch den Vorsitzenden Leidig, selbst Jurist und Syndikus verschiedener Firmen, beeindruckte. Klar war aber auch, dass es offenbar Unregelmäßigkeiten gab, wobei sich jedoch die Behörden und Beamten, welche die Geschäfte abwickelten (und nicht die Politiker), an die eigene Nase fassen mussten.70

      Der niederländische Hafenarbeiterstreik 1919

      Ein Coup besonderer Art gelang Barmat anlässlich des großen Streiks der niederländischen Hafenarbeiter, der sich über zwei Monate bis Anfang Mai 1920 hinzog und mit einer Niederlage der Streikenden endete. Gelöschte, schon bezahlte Waren im Wert von fast einer Milliarde Goldmark allein nach Deutschland und weitere Lieferungen nach Österreich (Geschäfte, die aber offenbar so gut wie gar nicht von der Barmat’schen Amexima, sondern oft direkt mit den amerikanischen Packern getätigt worden waren) konnten nicht abtransportiert, sondern mussten zu hohen Kosten gelagert werden; verderbliche Lebensmittel wie Butter und Fleisch drohten zu verrotten. Abgesehen davon, dass es um extrem knappe Devisen-Millionen ging, musste der Streik Rückwirkungen auf die öffentliche Ernährung haben, und das ausgerechnet in der Zeit des Kapp-Putsches, als die politische Lage in Deutschland außerordentlich angespannt war und insbesondere in den Industrieregionen eine große Lebensmittelnot herrschte. Die syndikalistische Federatie von Nederlandsche Transportarbeitere propagierte im Gegensatz zum gemäßigten, sozialdemokratischen Centraale Bond von Transportarbeideres einen politischen und nicht nur einen wirtschaftlichen Kampf. Die erklärte Solidarität mit der revolutionären Bewegung im Ruhrrevier als Reaktion auf den Kapp-Putsch spielte dabei eine wichtige Rolle. Die Parole der radikalen Linken lautete Generalstreik.71

      Barmat versprach Hilfe, indem er Reichswirtschaftsminister Schmidt zusicherte, er könne bei den niederländischen Gewerkschaften für den Abtransport der Warenlieferungen sorgen. Dazu reiste eine eigens zusammengestellte Abordnung aus Deutschland an, darunter der Vertreter der deutschen Transportarbeitergewerkschaft Johannes Döring, der mittlerweile aus dem Dienst beim Reichspräsidenten ausgeschiedene Reichstagsabgeordnete und gute Bekannte Barmats Franz Krüger (SPD) sowie Wilhelm Koenen (USPD, später KPD). Vom 7. bis 13. April fanden in Amsterdam und Rotterdam die Verhandlungen statt – in Amsterdam zeitweise im Geschäftshaus Julius Barmats, der zusammen mit seinem Vertrauten Matthijsen als Vertreter der holländischen Sozialisten bei den Verhandlungen anwesend war, ohne dass er dabei aber eine direkte Rolle spielte.

      Die Verhandlungen, in die eine Reihe anderer Personen involviert war, gestalteten sich langwierig und kompliziert. Das dabei erzielte Arrangement mit den niederländischen sozialdemokratischen und syndikalistisch-kommunistischen Gewerkschaften war jedoch ein Erfolg – zumindest für die deutsche Regierung, da die Arbeiter zügig die Löschung der Lieferungen nach Deutschland und Österreich durchführten. Der Kompromiss bestand darin, dass die Hafenarbeiter als Gegenleistung dafür eine Erhöhung des Tageslohns von 6,60 Gulden auf den geforderten Lohnsatz von 8 Gulden erhielten. Doch der Teufel lag im Detail der Vereinbarung: Denn tatsächlich bekamen die Arbeiter weiterhin nur den bisherigen Tagessatz; der Differenzbetrag zu den 8 Gulden wurde offenbar stattdessen den Gewerkschaften zur Verfügung gestellt. Es ist nicht klar, wie das genau gehandhabt wurde: Vermutlich übernahm die Deutsche Transportzentrale in Rotterdam die Zahlung dieser Gelder; aber auch Barmat will als »Belohnung« für die Freigabe einen Beitrag für den Unterstützungsfonds der Streikenden geleistet haben, so jedenfalls erklärte er das später.72

      Wer für das für Deutschland günstige Arrangement schließlich verantwortlich war, blieb ungeklärt (auch wenn einiges für die aktive Rolle der deutschen Delegation und Barmats spricht). Noch 1925 polterte Reichswirtschaftsminister Schmidt, die »Herren der Gesandtschaft« hätten gewusst, »was für einen Rock die Gräfin X oder Y in einer Gesellschaft angehabt hat, aber nichts über Arbeiterverhältnisse und Gewerkschaftsfragen«; wenig Ahnung schrieben er und andere in der Regierung auch den, so der Vorwurf Schmidts, inaktiven Reichsernährungsstellen zu, deren Beamte aus der Kaufmannschaft gemeinsame Sache mit ihren niederländischen Unternehmerkollegen gemacht hätten.73

      Das schließlich gefundene Arrangement war aber auch in Gewerkschaftskreisen umstritten. Edo Fimmen, der bekannte linke Führer der Internationalen Transportarbeitergewerkschaft, wandte sich in der Folgezeit scharf gegen Barmat: Der Kaufmann sei »immer nur ein Schieber gewesen, wie es deren in der kapitalistischen Gesellschaft in unbegrenzter Anzahl gibt«.74 Der Verdacht stand im Raum, dass der Reichswirtschaftsminister aus Dank für Barmats Einsatz bei der Lösung des Streiks diesem ein »großes Lebensmittelgeschäft« zugeschanzt habe. Beweisen ließ sich dieser Vorwurf nicht.75

      Wie bereits erwähnt, fiel der niederländische Streik in die Zeit des Kapp-Lüttwitz-Putsches. Die Republik war bedroht, die Koalitionsregierung unter Gustav Bauer (SPD) kurzzeitig aus der Hauptstadt geflohen. Die Antwort der Gewerkschaften war ein – erfolgreicher – Generalstreik, der jedoch in Teilen des Landes in eine revolutionäre Aufstandsbewegung der Arbeiter mündete. Stockende Nahrungslieferungen aus den Niederlanden waren das Letzte, was die Regierung brauchte; dies wäre Wasser auf die Mühlen der radikalen Rechten wie der Linken gewesen. Barmat gab auf seine Weise eine Loyalitätsbekundung für die Republik ab, indem er der verfassungsmäßigen deutschen Regierung ohne jede Sicherheitsleistung Lebensmittel und Kredite zur Verfügung stellte. Reichkanzler Gustav Bauer lehnte diesen »Beweis des Vertrauens« angesichts der sich bald klärenden politischen Entwicklungen dankend ab. Aber der Sache haftete ein Beigeschmack an. War das einmal mehr ein Beispiel für die opportunistische »Vielseitigkeit« Barmats, wie der Abgeordnete Joseph Kaufhold (DNVP) meinte? Vor allem war das nicht ein Indiz dafür, wie eng Barmat und die Sozialdemokratie kooperierten?

      Korruptionsdebatten im Übergang vom Kaiserreich zur Republik

      Die Geschäftstätigkeit Barmats wurde von Anfang an kritisch beäugt und seit 1919 skandalisiert. Korruptionsdebatten waren nicht neu. Vor dem Krieg hatten insbesondere Sozialdemokraten immer wieder versucht, das Thema auf die politische Tagesordnung zu setzen.76 Seit der Revolution sah das anders aus: Viele der früheren Kritiker und die republikanischen Parteien wurden zur Zielscheibe massiver, vielfach schmutziger Korruptionsvorwürfe.


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