Kapitalismus und politische Moral in der Zwischenkriegszeit oder: Wer war Julius Barmat?. Martin H. Geyer

Kapitalismus und politische Moral in der Zwischenkriegszeit oder: Wer war Julius Barmat? - Martin H. Geyer


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seien.77

      Öffentliche Skandalisierungen

      Barmats große Lebensmittelgeschäfte mit dem Reich und dem Land Sachsen sowie die Amsterdamer Ereignisse im Zusammenhang mit dem Hafenarbeiterstreik hatten zur Folge, dass Schmidts Nachfolger als Ernährungsminister, der Zentrumspolitiker Andreas Hermes, sich weigerte, auch nur Gespräche mit Barmat zu führen, und das obwohl sich der Ex-Reichskanzler und Gewerkschafter Gustav Bauer sowie der sächsische Wirtschaftsminister Albert Schwarz für den Amsterdamer Unternehmer verwandten. Es stand die Behauptung im Raum, »Barmat sei ein Schieber«. Hermes wich aus, verwies auf die Verdächtigungen von Beamten der Reichsfettstelle, die sowohl Preise wie Qualität moniert hätten.78

      Die Angelegenheit hatte ein Nachspiel. Hegte der bei dem Gespräch Bauers mit Hermes anwesende und außerordentlich erregte Barmat Rache und mobilisierte die SPD gegen den Zentrums-Minister? Der Leiter der Einfuhrgesellschaft des Reiches für Getreide und Futtermittel, ein bekannter Hamburger Kaufmann auf dem Gebiet des internationalen Getreidehandels, unkte rückblickend, dass die ablehnende Haltung von Minister Hermes der Grund für die in dieser Zeit von der SPD gegen ihn und sein Ministerium erhobenen Misswirtschafts- und Korruptionsvorwürfe gewesen sei. Absurd ist dieser Verdacht nicht. Auch Barmats Freund Ernst Heilmann (SPD) engagierte sich in der Angelegenheit und titulierte Hermes als »Volksschädling«.79

      Hermes’ Verhalten gegenüber Barmat und dessen heftige Reaktionen lassen sich damit erklären, dass der Kaufmann seit dem Spätsommer 1919 massiven Angriffen ausgesetzt war. Die Spuren führen in die Niederlande, wo seit dem September ein anonymer Bericht mit dem Titel »Was man sich in eingeweihten Kreisen an der Börse in Rotterdam erzählt« zirkulierte. In leicht veränderter Form veröffentlichte die Handelskammer Bochum diesen Bericht in ihren Mitteilungen, nicht ohne darauf hinzuweisen, dass es sich bei dem Autor um einen »Vertrauensmann der deutschen Regierung« handle: »Während zahllose deutsche Gemeinden und Fachverbände seit Monaten vergeblich versuchen, Einfuhrgenehmigungen für den Bezug von Lebensmitteln aus dem Auslande zu erhalten, während die zuständigen Reichsstellen das ihnen Mögliche aufbieten, Kredite im Ausland zu erlangen, weil ihnen die zur Bezahlung der gekauften Lebensmittel notwendigen Devisen nicht mehr zur Verfügung stehen, gibt es auch heute noch einzelne Bevorrechtete, die Einfuhrgenehmigungen in scheinbar unbegrenztem Umfange in Händen haben, die sich viele Millionen in ausländischer Währung mit leichter Mühe verschaffen und auf Kosten des deutschen Volkes ungezählte Summen in ihre Taschen strecken.«

      In dem Bericht wurde Barmat erstmals einem größeren Leserkreis explizit vorgestellt. Dabei ging es um seine vermeintlichen Sympathien für die Bolschewiki wie »seine persönlichen Beziehungen zu den höchsten Regierungsstellen in Berlin« und in diesem Zusammenhang auch um den angeblichen Besitz eines Schreibens aus der Kanzlei des Reichspräsidenten, »wonach ihm bei allen Behörden jede gewünschte Unterstützung zu gewähren ist«. Vermerkt wurden auch Privilegien bei der Revision seines Gepäcks an der Grenze, überhöhte Preisabsprachen mit den Reichsbehörden und andere zweifelhafte Geschäfte, alles Themen, die dann später in der Presse und den Ausschüssen verhandelt wurden. Explizit antisemitische Formulierungen aus dem Rotterdamer Bericht strich die Bochumer Handelskammer, darunter den Hinweis, dass derjenige, der die Amexima in Amsterdam betrete, »die Bekanntschaft mit den Herren Cohn, Isaak oder Veilchenduft« mache.80 Andere Zeitungen fügten neue und schärfere hinzu: Der »Bolschewist Barmat« war demnach der »Millionennutznießer der deutschen Bettelarmut«, der sich zusammen mit anderen Glaubensgenossen auf Kosten der deutschen Bevölkerung bereicherte. Bis in die 1930er Jahre sollten immer wieder Passagen aus dieser Mitteilung der Bochumer Handelskammer abgedruckt oder zitiert werden.81

      Alles deutete darauf hin, dass diese Skandalisierung der Geschäfte Barmats vom deutschen Generalkonsulat in Amsterdam gezielt gefördert, wenn nicht gar sogar betrieben wurde. Für den Generalkonsul von Humboldt war Barmat »ein wirtschaftlicher Schädling der schlimmsten Sorte für das deutsche Volk«, den er nicht begünstigen wollte.82 Der Ärger über die umstrittene Visumsvergabe im Frühjahr 1919 saß tief, zumal sich dieser Prozess nach Ablauf des Dreimonatsvisums im August in weniger spektakulärer Form wiederholte. Für noch mehr Unmut sorgten Gerüchte, Barmats Einfluss auf die deutschen Dienststellen in den Niederlanden sei so groß, dass sich der Kaufmann angeblich rühme, »dass er jedem, der es wollte, seinen Pass für die Reise nach Deutschland mit einem Visa versehen oder umgekehrt verweigern konnte«.83 Not amused waren die deutschen Diplomaten, wenn die linke Zeitung Het Volk im Oktober 1919 mit Blick auf Barmats Einfluss stichelte, man könne ihn ja zum neuen deutschen Gesandten in den Niederlanden machen.84 Zudem irritierte die Diplomaten, dass, so ihr Eindruck, eine Privatperson auf eigene Faust (Wirtschafts-)Diplomatie betrieb, etwa indem sie eine sächsische Delegation unter Führung des früheren Ministerpräsidenten Georg Gradnauer (SPD) mit belgischen sozialistischen Politikern wie Camille Huysmans und dem Minister für öffentliche Arbeit Edward Anseele miteinander in Kontakt brachte.85

      Im Kreis konservativer Sozialdemokraten:

      Gesellige Runden in Berlin und Schwanenwerder

      Ein zentraler Grund für die beschriebenen Verdächtigungen war die Tatsache, dass sich Barmat seit seiner Ankunft in Deutschland im sozialdemokratischen Milieu der Stadt Berlin bewegte. Der Sozialdemokrat Wilhelm Keil, der 1920 im Auftrag des württembergischen Ernährungsministers Verhandlungen mit ihm in Berlin führte, berichtete in seinen Erinnerungen über einen Besuch bei dem Unternehmer, dem der Ruf vorauseilte, »gewaltige Mengen Fett«, »Fett, wonach die Bevölkerung lechzte«, aus Holland nach Berlin und Sachsen einzuführen. Er habe sich bei Barmat im Hotel Bristol angemeldet und »eine wunderbar ausgestattete Hotelwohnung« betreten. Barmat sei sofort auf sein Anliegen eingegangen, habe aber die geschäftlichen Bedingungen nicht direkt besprechen wollen. Er habe ihn zunächst zu einem »solennen Abendessen« eingeladen, bei dem führende Parteigenossen um die Tafel versammelt gewesen und edle Weine, Zigarren und Sekt serviert worden seien. Dabei wurde es wohl spät, und der Württemberger verabschiedete sich unter irgendeinem Vorwand »zu einer Stunde, als die Gesellschaft noch nicht daran dachte, sich aufzulösen«. Am folgenden Tag habe er zwar die ihm angebotene Zigarre und den Cognac angenommen, aber die Einladung zum Mittagessen abgelehnt; den Geschäftsabschluss über eineinhalb Millionen Mark überließ er seinem württembergischen Ernährungsminister, ebenfalls einem Sozialdemokraten.86

      Diese Essen Barmats mit Parteifreunden wurden später genau unter die Lupe genommen. Stimmte es, dass sich der Amsterdamer Unternehmer privat mit Hausmannskost, gebratenen Heringen und Rindfleisch begnügte, wie sein Freund Ernst Heilmann im preußischen Untersuchungsausschuss den ungläubigen bis belustigten Zuhörern mitteilte? Oder wurde bei Barmat doch »geschlemmt«, wie das auch Keil insinuierte und was in einer Zeit mit »Schlemmereigesetzen« besonders verwerflich war? Das später verhörte Hotelpersonal des »Bristol« konnte das nicht bestätigen: Barmat lebte offenbar tatsächlich eher bescheiden und verhielt sich ansonsten nicht anders als die meisten anderen »Devisenausländer«, was vielen Deutschen in dieser Zeit aber verwerflich genug erschien.87 Von einem kommunistischen Abgeordneten auf die »glänzende Bewirtung« bei Barmat angesprochen, meinte der Gesandte Sachsens in Berlin, Georg Gradnauer (SPD), mit einem Augenzwinkern, dass das wohl stimmen möge – aber dass die Bewirtung »nicht so glänzend« wie etwa in der sowjetischen Vertretung gewesen sei.88

      Barmat prahlte zweifellos mit seinen politischen Kontakten zur neuen republikanischen Regierung und versuchte, seine politischen Beziehungen gezielt auszuspielen. Für ihn, den Aufsteiger und Ausländer, der über keine langjährigen Verbindungen zu Politik und Bürokratie verfügte, waren diese Kontakte wichtiges soziales Kapital. Fast alle, die mit ihm in Berührung kamen, zogen solche Schlüsse – spätestens 1925. Einigen dämmerte dabei auch, dass Barmat die vielen Liebesgabenpakete, die er von Holland an Bedürftige sowie alte und neue Bekannte verschicken ließ, die Spenden wie die für ein Kinderheim im sächsischen Pirna, das er auf Bitte des sächsischen Ministerpräsidenten Schwarz unterstützte, oder die bescheidenen finanziellen Zuwendungen für das sozialdemokratische Köpenicker Tageblatt, gezielt als Werbekosten für seine eigene Sache einsetzte (was dann dem Vorwurf der Bestechung


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