Kapitalismus und politische Moral in der Zwischenkriegszeit oder: Wer war Julius Barmat?. Martin H. Geyer

Kapitalismus und politische Moral in der Zwischenkriegszeit oder: Wer war Julius Barmat? - Martin H. Geyer


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wurde. Die SPD müsse sich von zwielichtigen Gestalten wie Sklarz distanzieren, lautete die Parole.

      Enttäuscht von der Ablehnung, auf die sie in der Partei stießen, gingen Sonnenfeld und Davidsohn mit dem Enthüllungsmaterial bei der Berliner Presse hausieren und landeten schließlich bei dem den Deutschnationalen nahestehenden Pressedienst von Vater und Sohn Sochaczewski, die gleichermaßen politisches wie kommerzielles Interesse an der Geschichte hatten. Vater Martin Sochaczewski war als Mitarbeiter und Chefredakteur mehrerer Zeitungen im konservativen Umfeld gut vernetzt; bei der Gründung 1921 trat er dem Verband nationalkonservativer Juden bei. Seit dem 25. November 1919 verteilte sein Pressedienst hektografierte Berichte mit Titeln wie »Revolutionsschieber«, »Geschichte der Glocke« (bei der Glocke handelte es sich um die oben erwähnte, von Parvus-Helphand lancierte Zeitschrift, der vorgeworfen wurde, gegen gute Honorare Politiker zu kaufen), »Gefälschte Dokumente« und »Roßfleisch statt Rindfleisch«.110 Diese journalistischen Handreichungen fanden zusammen mit später erzählten Geschichten den Weg in den Rattenkönig.

      Diese Zusammenhänge sind nicht nur von Bedeutung, weil Transferprozesse zwischen linker und rechter Korruptionskritik deutlich werden. Aufmerksamkeit verdient dabei zunächst besonders das Engagement der Linken, die in der Vorkriegszeit Skandale und Korruption als Mittel der Herrschaftskritik eingesetzt hatte. Seit der Revolution wurde diese Kritik nun vom linken Flügel stark zugespitzt und richtete sich nicht zuletzt gegen Personen, die vormals zu scharfen Kritikern des Kaiserreichs gehört hatten. Auch vor diesem Hintergrund erklärt sich das Engagement der Linken im Fall Sklarz, wie später dann auch im Fall Barmat. Die zu dieser Zeit weitverbreitete USPD-Zeitung Die Freiheit und Franz Pfemferts Die Aktion. Zeitschrift für revolutionären Sozialismus schossen sich auf das Thema »Sklarz« ein, und den Widerhall finden wir in den folgenden Jahren bei so unterschiedlichen Personen wie dem KPD-Reichstagsabgeordneten und Historiker Arthur Rosenberg sowie dem Theaterregisseur Erwin Piscator, die beide aus der radikalen Antikriegsbewegung stammten.111 Immer ging es um »Kriegsund Revolutionsgewinnlerei«, um Profitgier, die über politische Moral triumphierte und einen Beigeschmack von Niederträchtigkeit, Gemeinheit und »Brudermord« hatte. Eine gute Illustration ist die private Anklageschrift gegen Sklarz, die Sonnenfels sen. in Form des Gedichts Protest gegen den 9. November formulierte, worin die Revolution als eine Verfallsgeschichte infolge von politischem Schieberund Gaunertum beschrieb wird:

      »Ha, wie verachte ich heimliches Verschwören,

      Und wie ich hasse, Meuchelmörderhand,

      Wenn in des Volkesretters Ruhmgewand,

      Schieber und Gauner meinen Groll empören.

      Aus der Hefe entstiegen zur Höhe,

      Halten sie offen die schmutzige Hand;

      Nichts an ihrem äußeren Gewand

      Zeigt die Stacheln der saugenden Flöhe.

      […]

      Ich werde dem Volk noch viel erzählen,

      Was sich begeben seit dem 9. November,

      In Steglitz, Regentenstraße und Bendler-,

      Wie Minister und Gauner sich vermählen.«112

      Diese Auseinandersetzungen in den Reihen der politischen Linken sind im Auge zu behalten, denn sie erklären das spätere Engagement des linken SPD-Flügels sowie der KPD in der Causa Barmat. Auch die der Berliner Demokratischen Partei zuzurechnende Berliner Volks-Zeitung schoss sich Anfang 1920 nicht nur auf Sklarz, sondern einen, wie man mutmaßte, damit zusammenhängenden neuen »Fall« ein, nämlich den des Julius Barmat. Dieser setzte sich aber vehement zur Wehr und verklagte die Urheber erfolgreich; die Verantwortlichen der Berliner Volks-Zeitung und der Deutschen Zeitung mussten eine Ehrenerklärung abgegeben.113

      4. Ein wichtiger Nebenstrang der Ereignisse um den Fall Sklarz verweist ebenfalls auf die Zukunft. Denn die Berliner Staatsanwaltschaft erhob Anklage gegen den Kaufmann Sklarz, sah sich dann aber bald selbst massiven Vorwürfen ausgesetzt, Recht mit politischen Interessen, wenn nicht gar mit antisemitischen Ressentiments zu vermischen. Ein Disziplinarverfahren und dann die Wegberufung des federführenden Berliner Staatsanwalts war das Menetekel, das noch ein langes Nachspiel haben sollte. Denn dieser Staatsanwalt setzte das sich lange haltende Gerücht in den Raum, dass es aus den Reihen der preußischen Regierung im Auftrag von Sklarz einen Bestechungsversuch gegeben habe, womit man ihn, den Staatsanwalt, angeblich zum Schweigen bringen wollte.114 Solche Geschichten erzählte man sich im Umfeld der politischen Rechten, und wie wir sehen werden, ließen sich dabei vielfältige Verbindungen auch zum Fall Barmat herstellen.

      Antisemitische Verschwörungsfantasien

      Fünf Jahre nach der Publikation des Rattenkönigs sprach der rabiate württembergische Antisemit Alfred Roth alias Otto Arnim 1925 vom »Rattenkönig Barmat«.115 Und fünfzehn Jahre später zeigte der nationalsozialistische Hetzfilm Der ewige Jude im Zusammenhang mit der Darstellung der Wanderung und Ankunft der Ostjuden in Deutschland einen Rattenkönig, inmitten eines Knäuels von mit ihren Schwänzen miteinander verflochtenen lebenden Ratten. 1919/20 grassierte in Deutschland ein bis dahin in dieser Form wenig bekannter Antisemitismus, der sich bis weit in die Gesellschaft erstreckte. Fragen wirtschaftlicher und sozialer Not, von Hunger und Teuerung, vermischten sich mit Revolutions- und Korruptionskritik und eindeutig rassistischen Diffamierungen zu einem soziokulturellen Syndrom des Antisemitismus. Selbst der später als Freund Julius Barmats in den Skandal gezogene Berliner Polizeipräsident Wilhelm Richter (SPD) sprach im Sommer 1920 in einem Schreiben an das preußische Innenministerium von einer »Ostjudenplage«, die Berlin »nicht nur lästige, sondern höchst gefährliche Ausländer« beschere. Mit Blick auf den illegalen Handel mit Gold, Brillanten und Banknoten war von »ausländischen Parasiten« die Rede. In der bestehenden Regelung, die eine Duldung und wohlwollende Behandlung vorschrieb, sah er ernste Gefahren für die Zukunft, und zwar wirtschaftlich und gesundheitlich; diese Auffassung werde auch »von einwandfreien deutschen Juden geteilt und habe nichts mit antisemitischen Bestrebungen zu tun«,116 so die nachgerade klassische antisemitische rhetorische Figur. Um die Dringlichkeit seines Arguments zu betonen, fügte er seinem Schreiben einen Bericht seines Amtsvorgängers Eugen Ernst (USPD) bei, der ein noch drastischeres Bild gezeichnet hatte: In Teilen des alten Scheunenviertels (Grenadier-, Dragoner- und anliegende Straßen) habe sich ein wahres Getto entwickelt, das im Berliner Volksmund allgemein die »jüdische Schweiz« genannt werde. Neben den Gefahren für die Volkshygiene und das wirtschaftliche Leben betonte er besonders die politischen Gefahren, nämlich die »bolschewistischen Anschauungen«. Vor diesem Hintergrund plädierte Richter ähnlich wie sein Amtsvorgänger für eine rasche Abschiebung in die Heimat. Bis dahin müssten die Ostjuden in Gefängnislagern untergebracht »oder richtiger gesagt unschädlich« gemacht werden. Verwiesen wurde auf das »aus tausend Wunden« blutende deutsche Vaterland.117 Ähnlich drastische Stimmen ließen sich aus dem preußischen Innenministerium zitieren, das sich, wie wir sahen, zur gleichen Zeit scharfen Anfeindungen wegen seiner Duldung von osteuropäischen jüdischen Flüchtlingen aus humanitären Gründen ausgesetzt sah.118

      Die Stellungnahme Richters war mit großer Sicherheit nicht von ihm selbst verfasst worden, sondern stammte aus der labyrinthischen Bürokratie des Berliner Polizeipräsidiums am Alexanderplatz, in diesem Fall wohl der Fremdenpolizei. All das hinderte die radikale Opposition nicht, die Sozialdemokraten scharf anzugreifen. Hatte die preußische Regierung im November 1918 nicht die zuvor erlassene Grenzsperre für Ostjuden aufgehoben? Hatte sie nicht Personen wie Julius Barmat begünstigt? Solche von den Radikalen im politischen Kampf selbst gestellte Fragen beantworteten sie eindeutig: Die Sozialdemokraten schützten die Juden. Diese Politik habe es ermöglicht, dass sich Männer wie Julius Barmat, Iwan Kutisker und »Tausende von minder prominenten galizischen und russischen Juden […] in Berlin breit gemacht, hier im Gegensatz zu einheimischen Bedürftigen zum Teil Paläste bezogen und in kurzer Zeit die finanzielle Sahne der Meuterei von 1918 abgeschöpft« hätten.119 Wohnungsnot, Schieberei und Wucher, illegaler Handel mit Wertmetallen und Kriminalität waren wiederkehrende Themen, die nicht nur


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