Kapitalismus und politische Moral in der Zwischenkriegszeit oder: Wer war Julius Barmat?. Martin H. Geyer

Kapitalismus und politische Moral in der Zwischenkriegszeit oder: Wer war Julius Barmat? - Martin H. Geyer


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ihm anhaftenden Ruch des »Kriegs- und Inflationsgewinnlers« abzustreifen. Dazu zählte der Hinweis auf sein solides Vermögen als Grundlage, ferner, dass er kein Börsen- und Devisenspekulant sei, was ihm ja im Zusammenhang mit den Lebensmittelgeschäften 1919/20 vorgeworfen worden war. Ein Unterschied zwischen dem Barmat-Konzern und verschiedenen anderen in dieser Zeit schnell wachsenden Konzernen bestand, wie Ende 1924 zu lesen war, darin, »daß ich nicht börsenmäßig neue Aktienpakete hinzukaufe bzw. in meinem Besitz befindliche veräußere, Transaktionen, die ja immer einen etwas spekulativen Einschlag haben, also [dass ich] nicht ein Bank- bzw. Finanzkonzern bin, der u. a. auch verschiedene Aktienpakete im Besitz hat, sondern in erster Linie bitte ich, mich als Industriekonzern anzusehen«.10 Der Kaufmann wollte damit betonen, dass er einen Beitrag zu »produktiver Arbeit« leistete.

      Ein neuer Unternehmertyp im modernen Kapitalismus

      Diese (Selbst-)Stilisierungen Barmats zielten nicht nur darauf ab, die Seriosität seiner Geschäfte zu betonen, sondern zeugten auch von der Bemühung, ihn in die Reihe erfolgreicher »Konzern-›Genies‹« und »neuer Konzerngrößen« zu stellen. Damit verband man einen modernen, zeitgemäßen Unternehmertypus, deren Vertreter als Ikonen einer neuen Zeit gehandelt wurden.11 Wie zugkräftig dieses Thema war, zeigt das Buch Deutsche Wirtschaftsführer des Wirtschaftsjournalisten Frank Faßland (alias Felix Pinner), das nach der Erstveröffentlichung 1924 innerhalb kürzester Zeit in bald 15, immer wieder erweiterten Auflagen erschien. Dem alten Industrieadel, »greisen Wirtschaftsführern«, vertreten durch u. a. August Thyssen oder Emil Kirdorf, stellte der Autor ein zwar kritisch unterlegtes, aber dennoch hymnisches Porträt der »neuen Männer« gegenüber. Darunter befanden sich bis heute bekannte ebenso wie unbekannte Namen wie Friedrich Flick, Hugo Stinnes, Jakob Michael und viele andere, unter denen wiederum der Typus der »Dreißigjährigen« hervorstach. Nicht nur wegen ihres Alters waren sie als Vertreter einer neuen Generation anzusehen; ihr Instinkt habe gerade darin bestanden, die »umgekehrten Regeln zu befolgen wie in der soliden Bauzeit vor dem Kriege, wo man sich weder mit Projekten noch mit Schulden überlasten durfte, wenn man reüssieren wollte«. Kühnheit und Unkonventionalität des Denkens war das Kennzeichen dieser »neuen Männer«: »Der Leichtsinn als geschäftliches Aufbauprinzip ging am schnellsten und stärksten in den Instinkt Derjenigen [sic!] ein, die noch nichts gelernt und nichts zu verlieren hatten.« Damit überflügelten sie die ältere Unternehmergeneration, machten diese gar obsolet.12 All das reflektiert die Goldgräberstimmung der Inflationszeit.

      Der am Ende der Inflationszeit gerade einmal 34-jährige Barmat entsprach in vielerlei Hinsicht diesem Bild kühnen Unternehmertums, vermittelte aber zugleich wirtschaftliche Solidität. In einem Teil der Wirtschaftspresse wurde der Amsterdamer Kaufmann dann auch »nach allen Regeln der Kunst besungen, abgemalt, [und] mit Genealogie, Stammbäumen und Allem, was dazu gehört«, hochgelobt.13 Ein anderer Autor, dessen Buch etwas unzeitig nach dem Zusammenbruch des Konzerns erschien, strich in lobhudelnder Manier hervor, dass es Barmat dank seiner »reichen Mittel« gelinge, »immer mehr wertvolle Objekte an sich zu bringen, sodass der Barmat-Konzern heute wohl zu den zukunftsreichsten seiner Art zählt«.14 All das ließ sich unter der Rubrik »Umschichtung der europäischen Vermögen«, und zwar im Sinne einer Umschichtung in stärkere Hände neuer dynamischer Wirtschaftsführer, beschreiben.15

      Solche Lobgesänge ließen sich als nebensächlich abtun, könnte man darin nicht zugleich populäre Varianten der von Josef Schumpeter schon vor dem Krieg formulierten Theorie der »schöpferischen Zerstörung« erkennen, in der, damals wie heute, dynamische Unternehmer eine zentrale Rolle spielen. Die Zerstörung alter Strukturen, die den Boden für neue Kombinationen von Produktionsmitteln bereitete, war ein schmerzlicher Prozess, da mit dem Aufbau neuer, starker, innovativer und leistungsfähiger Betriebe immer auch altbewährte Traditionen, etwa in der betrieblichen Organisation und den Arbeitsvorgängen, verloren gingen.16 Das war der Stoff für viele kulturkritische Betrachtungen der Nachkriegszeit, zumal nicht klar ersichtlich war, ob es sich dabei tatsächlich um eine produktive wirtschaftliche Reorganisation oder rein spekulative Transaktionen handelte. Auf der anderen Seite versprachen diese neuen Gründungen die Rettung der von Bankrott bedrohten Betriebe und Arbeitsplätze. Letzteres gefiel nicht nur Sozialdemokraten, sondern auch Vertretern des Zentrums. Ende 1924 war mit Blick auf den Barmat-Konzern immer wieder die Rede von 13000 bis 14000 Beschäftigten in 40 Unternehmen mit vielen Subunternehmen – auch das ein wichtiger Punkt bei der Kreditvergabe der Staatsbank.17

      Ein Koloss auf tönernen Füßen

      Der Einstieg Barmats ins industrielle Unternehmensgeschäft begann 1922 mit dem Engagement der Amexima in der Deutschen Margarine und Speisefett A. G. (Dema), einem der vielen Staatsbetriebe, die im Zusammenhang mit dem Abbau der Kriegswirtschaft teilweise privatisiert wurden. Das Reich besaß die Aktienmehrheit. Barmats Amexima stieg als Anteilhaberin ein, indem sie eine Kapitalerhöhung und in diesem Zusammenhang die Valutaschulden des Betriebs übernahm. Voraussetzung für die Beschaffung von Rohstoffen für die Margarineproduktion war der Zugang zum internationalen Devisenmarkt. Barmat besorgte sowohl Rohstoffe als auch Devisen. Das ebnete nicht nur den Weg zur Reichsbank sowie dauerhaft zur Preußischen Staatsbank, sondern auch ins Reichsfinanzministerium, das frühere Staatsbetriebe wirtschaftlich zu konsolidieren und zu verkaufen versuchte.18 Kritiker waren mit Blick auf diese Privatisierungen anderer Meinung: Hier werde wertvolles deutsches Tafelsilber, Volksvermögen, an »Spekulanten« verscherbelt, wenn nicht gar verschenkt, hieß es.19

      Die Berliner Amexima hatte ein Auge auf weitere vom Reich privatisierte Firmen. Dazu zählten die Chromo A. G. in Altenburg, die Chrompapiere und -kartons herstellte, sowie die Kunstseidenspinnerei Münchenbernsdorf (in der gleichnamigen thüringischen Stadt), womit der Barmat-Konzern erstmals in größerem Umfang in Industrieunternehmen einstieg. Die Zeitgenossen sprachen von »Sachwertanlagen«, mit denen man den Wertverlust von Papiergeld auszugleichen versuchte. Bei einem Papiermarkpreis von umgerechnet 41000 bzw. 100000 GM waren diese beiden Erwerbungen auf den ersten Blick ein »Schnäppchen«. Die Zukäufe waren kreditfinanziert, sodass Barmat wie alle anderen, die sich an der großen »Flucht in die Sachwerte« beteiligten (und dafür den erforderlichen Zugang zum Kreditmarkt besaßen), ordentliche Gewinne einzustreichen schien. Einmal mehr verdammten viele Beobachter diese Strategie als Ausdruck eines spekulativen Geistes, der sich zu dieser Zeit rasch im Wirtschaftsleben und in der gesamten Gesellschaft ausbreite.

      Spekulativ war 1923 auch der »günstige« Ankauf der Altenburger Sparbank A. G., einer kleinen regionalen Bank, die nach Berlin verlegt werden und dort Deutsche Handelsbank A. G. heißen sollte. Banken schossen während der Inflationszeit überall aus dem Boden; sie spielten eine wichtige Rolle bei kreditfinanzierten Geschäften. In diesem Fall ging die Rechnung nicht auf, da das preußische Finanzministerium ein Veto gegen die Verlegung einlegte. Das machte die Sache unattraktiv, da bei einer Umsiedlung das Depot- und Depositenrecht, d. h. das Recht, mit Wertpapieren und Devisen zu handeln und Kundengelder anzunehmen, weggefallen wäre.20

      Was Barmat im Jahr der Hyperinflation eher im kleinen Stil praktizierte, betrieb er im folgenden Jahr im großen Stil. Die Expansion des Konzerns erfolgte demnach während der Währungsstabilisierung, die sich bis in den Sommer 1924 hinzog. Das war in jeder Hinsicht ungewöhnlich. Viele andere während der Inflationszeit gegründete oder mit Krediten ausgebaute Betriebe suchten nun händeringend zahlungskräftige Käufer und Investoren. Denn mit der Währungsstabilisierung trocknete der Geldmarkt plötzlich aus, und die Banken forderten, wie noch genauer zu sehen sein wird, exorbitante Zinsen. Kein Wunder, dass der finanzstarke und gut etablierte Ausländer Barmat ein gefragter und umworbener Mann war. Viele erwarteten von ihm die Rettung. Barmat sah in dieser Situation eine große Chance – mit fatalen Folgen.

      Die Expansion der Amexima erfolgte nun in zwei Schüben. Bis Mai 1924 kamen zwei weitere Banken hinzu, darunter die in Berlin ansässige Deutsche Merkurbank, die selbst im Besitz von diversen Industrieunternehmen war und sich nach der Übernahme durch die Amexima noch weiter vergrößerte. Bis Juli 1924 nahm der eingeschlagene Expansionskurs ein atemberaubendes Tempo an und ließ die Umrisse eines Konzerns erkennen. Dabei waren es nun weniger kleinere Erwerbungen wie die der Bremer Privatbank, bei deren Kapitalerhöhung


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