Kapitalismus und politische Moral in der Zwischenkriegszeit oder: Wer war Julius Barmat?. Martin H. Geyer

Kapitalismus und politische Moral in der Zwischenkriegszeit oder: Wer war Julius Barmat? - Martin H. Geyer


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bestehende Konzerne ein, oder sie übernahm überschuldete Firmen. So entstand ein merkwürdiger Zwitter: Zum einen war die Berliner Amexima in Bezug auf die konzerneigenen Banken eine Finanzierungs- und Beteiligungsgesellschaft, zum anderen gelangte der Konzern zunehmend in den Besitz von Industrieunternehmen.

      Der Erwerb der in Berlin ansässigen Deutschen Merkurbank war für den Expansionskurs in Richtung Finanzierungsgesellschaft von besonderer Bedeutung. Denn diese Bank wurde zu einem wichtigen Bestandteil des entstehenden Barmat-Konzerns, wenngleich Barmat sie zu keinem Zeitpunkt vollständig kontrollierte. Die Merkurbank war eine Gründung des Jahres 1922 und ging aus der vormaligen Bank von Beneckendorff hervor (mit Verbindungen zu der Familie des Weltkriegsgenerals und späteren Reichspräsidenten Paul von Beneckendorff und von Hindenburg). Sie war eine der vielen, zunächst erfolgreichen Inflations(neu)gründungen und befand sich in einer der besten Lagen Berlins, Ecke Friedrich- und Behrenstraße. Ihre Geschichte ist bezeichnend für die Inflationszeit: Seit 1922 hatte sie mehrmals die Besitzer gewechselt und gelangte 1923 unter anderem in die Hand des Kaufmanns Hermann Weber, der als Inhaber der Deutschen Spirituosenwerke unter dem Namen »Sprit-Weber« über Berlin hinaus wegen großer »Alkoholschiebungen« auch in die USA sowie wegen Steuerhinterziehungen bekannt war. Spekulationsgeschäfte mit französischen Franken hatten die Bank in Bedrängnis gebracht. Gegen Abdeckung des Frankenengagements »Sprit-Webers« und einen Kredit im Wert von über 150000 GM an die Deutschen Spirituosenwerke beteiligte sich Barmat mit seiner Amexima an der Bank. Dazu diente eine Erhöhung des Aktienkapitals von 50000 auf 2 Mio. GM. Barmat wurde damit jedoch nicht zum Mehrheitseigner der Bank, denn zwei ihrer Direktoren namens Lichtenstein und Schäffer besaßen mit vielfachen Stimmrechten ausgestattete Vorzugsaktien, die ihnen bei Abstimmungen die entscheidende Mehrheit sicherten. Trotz der massiven Kapitalerhöhung, die allein Barmat stemmte, behielten sie über ihre Vorzugsaktien ein Mitspracherecht. Das Landesfinanzamt machte davon die Anerkennung des wichtigen Depot- und Depositenrechts abhängig, wahrscheinlich um der »Überfremdung« der Bank und Kapitaltransfers ins Ausland einen Riegel vorzuschieben. Das Resultat war aber, dass diese beiden Direktoren auch weiter ihre eigenen Geschäfte betrieben – mit und ohne Absprache mit Barmat.21

      Wie eng die Merkurbank und die Amexima Berlin zusammenarbeiteten, wird daran deutlich, dass die Amexima ihre Geschäftsräume in die der Merkurbank verlegte und von nun an einen großen Teil der Geschäfte über die Merkurbank abwickelte, während das Privatkundengeschäft der Bank dagegen ganz in den Hintergrund trat.22 Die Merkurbank übernahm selbstständig eine ganze Reihe von Betrieben im Bereich der Eisen-, Textil- und Elektroindustrie, aber auch kleinere Betriebe wie die Münchener Terrakotten-Kunst A. G. und den Keller-Konzern in Barmen (Wuppertal), der in der Herstellung von Maschinen und Werkzeugen aller Art tätig war. Zu nennen sind ferner zwei Banken, nämlich die profitable Preußische Hypotheken-Aktien-Bank Berlin und die Allgemeine Garantiebank-Versicherungs-Aktiengesellschaft. Bei der Garantiebank handelte es sich um eine Rückversicherungsgesellschaft, die eine wichtige – später umstrittene – Rolle bei der Konzernvergrößerung spielte. Der Erwerb der im Gegensatz zu den anderen Betrieben profitablen Garantiebank war zwar recht teuer – bei der Erhöhung des Kapitals Ende Juni übernahm die Amexima 1,25 Mio. GM und verschaffte sich dadurch die Mehrheit –, er war aber insofern wichtig, weil es auf diese Weise gelang, in Form von Kreditbürgschaften Kredite der eigenen Konzerngesellschaften abzusichern (wobei das Risiko in der Regel mit zahlreichen anderen in- und ausländischen Rückversicherern geteilt wurde).23

      Ein wichtiges, wenn auch durch und durch unsolides Standbein des entstehenden Barmat-Konzerns war das Finanzkonsortium mit dem an der Börse gelisteten Roth-Konzern. Die Dachgesellschaft dieses Konzerns, die Roth A. G. Berlin, besaß als eigenes Werk die große Maschinenfabrik Perleberg und die Eisengießerei und Maschinenfabrik J. Roth in Ludwigshafen und Oggersheim mit wiederum neun größeren Firmen. Dazu gehörten Unternehmen in Jugoslawien und der Tschechoslowakei mit 22 Unterfirmen im Bereich der Eisen-, Stahl- und Metallindustrie in Deutschland, Österreich und der Schweiz. Dieses Konsortium machte sich nun 1924 ebenfalls auf Einkaufstour, indem weitere Betriebe aus dem Bereich Eisengießerei, Maschinenbau und Eisenkonstruktion von Brücken einverleibt wurden. Einer der größten Brocken war die Berliner Burger Eisenwerke A. G., wiederum mit einer Reihe von abhängigen Firmen und Beteiligungen. Wie im Falle der Merkurbank war Barmats Amexima nicht die Mehrheitseigentümerin des Roth-Konzerns und kontrollierte auch nicht dessen Expansion. Barmat vertraute dabei vielmehr auf die beiden älteren Besitzer der Firma, Alfred Staub und Julius Rabbinowitz, die zusammen mit ihm die Aktienmehrheit von Roth besaßen.

      Das Problem war, dass der kleine Roth-Konzern schon bei der Übernahme in großen Zahlungsschwierigkeiten steckte. Gläubiger waren zum einen namhafte deutsche Großbanken, die sich mit der Geschäftsleitung zuvor auf ein Stillhalteabkommen und Zahlungsaufschübe geeinigt hatten, zum anderen die Preußische Staatsbank, der ob ihres Engagements offenbar mulmig wurde. Warum sich Barmat in diesem für ihn fatalen Geschäft engagierte, war schon damals nicht mehr genau zu eruieren. Seine Anwälte (wie im Übrigen sein Freund Ernst Heilmann und die Direktoren der Merkurbank) behaupteten, dass die Initiative dafür von der Staatsbank ausgegangen sei, da auf diese Weise die Schulden des Roth-Konzerns bei der Bank stark reduziert werden konnten; außerdem habe die Amexima Amsterdam sehr viel Geld in den Betrieb gesteckt. Ähnliches geschah bei der Berliner Burger A. G., die bei der Staatsbank ebenfalls mit hohen Krediten von etwa 1,5 Mio. GM in den Büchern stand. Wie auch immer, diese Kaufentscheidungen hatten desaströse Folgen. Der Finanzbedarf dieser Firmen glich einem Fass ohne Boden: Die Rede war von 13 Mio., die man in die Roth-Gruppe gepumpt habe, eine Zahl, die von den Ermittlungsbehörden weitgehend bestätigt wurde.24

      Zusammenfassend lässt sich sagen, dass der deutsche Amexima-Konzern gegen Ende des Jahres 1924 etwa 85 selbstständige und untereinander verflochtene Betriebe umfasste. Neben Banken und Versicherungen findet man auffallend viele Firmen im Bereich Maschinenbau und Eisenverarbeitung. Die Industriebetriebe standen vielfach in Konkurrenz zueinander, und es sind keine Initiativen zu erkennen, dass sie aus Effizienzgründen zusammengelegt werden sollten. Der Barmat-Konzern glich somit in mehrerer Hinsicht den vielen sogenannten Inflationskonzernen, die unter einem gemeinsamen Dach oft ein Kunterbunt von Firmen umfassten. Die innere Struktur des Konzerns war außerordentlich schlecht, denn niemand, auch nicht Julius Barmat, hatte nach den hektischen Zukäufen wirklich eine Übersicht über die wirtschaftliche Lage der einzelnen Konzernbestandteile: Beim Kauf war keine genaue Revision der Betriebe vorgenommen worden, und viele Betriebsleiter arbeiteten ohne Kontakt zur Konzernspitze, ja verteidigten ihre Selbstständigkeit und Interessen, wenn sie nicht sogar in die eigene Tasche wirtschafteten. Das Kernproblem war, dass die meisten Firmen infolge der scharfen Wirtschaftskrise Geld »verbrannten« und auf Kreditspritzen angewiesen waren. Überall verließ man sich darauf, dass Barmat Geld beschaffte, woher auch immer, sei es aus eigenen Quellen oder vermittels Krediten.

      Noch im November 1924 versuchte Barmat, umzusteuern und den Konzern mithilfe von zwei Experten seines Vertrauens zu reorganisieren: Der Bereich Kredit- und Finanzangelegenheiten wurde Emil Kautz übertragen, der ursprünglich aus der Finanzverwaltung Preußens und des Reiches stammte, zeitweise das Reichsverwertungsamt geleitet und in diesem Zusammenhang auch Barmat kennengelernt hatte. Im Oktober 1924 kehrte er aus der Türkei zurück, wo er wie schon vor dem Ersten Weltkrieg das Amt eines Generaldirektors der staatlichen türkischen Landwirtschaftsbank bekleidet hatte. Für den Bereich industrielle Organisation und die wirtschaftliche Zusammenschließung der Konzernfirmen engagierte Barmat Gerhard Lewy, der sich selbst als »überzeugte[n] Monarchist[en]« und als Parteigänger der DVP bezeichnete.25

      Ein spekulationsbereiter Partner:

      Die Preußische Staatsbank

      Alle Unternehmenskäufe waren kreditfinanziert, und Ende 1924 war der Barmat-Konzern hoch verschuldet. Das galt für die meisten deutschen Firmen. Die brisante politische Frage lautete, warum gerade ein »Ausländer-Konzern« Kredite in dieser Höhe erhalten hatte, und mehr noch, ob es dabei mit rechten Dingen zugegangen war.26 Vor allem die Preußische Staatsbank befand sich angesichts der Barmat gewährten Kredite in Erklärungsnot, zumal dieses öffentliche Kreditinstitut nicht gerade auskunftsfreudig war und die Tatsachen nie auf den Tisch legte. Darüber hinaus verfolgte


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