Leni Behrendt Staffel 3 – Liebesroman. Leni Behrendt
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Inhalt
Dem Glück bezahlt ich meine Schuld
Silvester war’s. Nur noch drei Stunden waren dem alten Jahr beschieden, dann mußte es abtreten und dem neuen Platz machen. Nun, dann sollten ihm seine ungebärdigsten Trabanten wenigstens noch den Abschiedsmarsch blasen, was sie denn auch mit dem größten Vergnügen taten.
Huuuiii! orgelte der Nordost mit Hohngelächter. Sein starker Atem blies die Flocken durcheinander, die vom grauverhangenen Himmel kamen und ausgeschickt waren, um die Erde warm und weich zuzudecken mit ihrem schneeigen Weiß. Doch bevor sie noch die Erde erreichten, ließ der blanke Frost, ein Spießgeselle des Nordosts, sie zu Eisnadeln erstarren.
Wehe dem Menschen, der bei dem eisigen Wetter unterwegs war. Der irrte bei dem Schneegestöber bestimmt vom Weg ab und konnte Gott danken, wenn er irgendwo ein schützendes Dach erreichte, bevor er selbst zu Eis erstarrte.
Und die sich unter solch einem schützenden Dach befanden, wußten es bei dem Unwetter gar wohl zu schätzen. Wie zum Beispiel die Bewohner des Herrenhauses vom Hörgishof. Das Dach war stabil, die Stube warm, und die Polster waren weich, in denen man saß. Auf dem Tisch standen Gläser mit dampfendem Silvesterpunsch, ein bunter Knabberteller, und in der Röhre des vor Hitze fauchenden Kachelofens brutzelten Bratäpfel, gar lieblich ihren würzigen Duft verströmend.
Vier Menschen waren es, die auf dem bequemen Ecksofa saßen. Die Herrin des Hauses, Freiin Erdmuthe von Hörgisholm, eine stattliche Dame von zweiundfünfzig Jahren. Das dunkelblonde Haar, im Nacken zu einem weichen Knoten geformt, zeigte noch keinen grauen Faden. Aus dem rundlichen Gesicht mit den frischen Farben schauten zwei blaue Augen freundlich in die Welt. Eine gebietende Persönlichkeit, die Achtung erheischte, wohin sie auch kam.
Die zweite Dame, Ermenia von Hörgisholm, war klein und zierlich, flink und munter wie ein Wiesel. Unter dem mittelblonden, schlicht gescheitelten Haar lachten dunkelblaue Augen verschmitzt, das Gesicht der Endvierzigerin war rotwangig wie ein Äpfelchen.
Der ältere der beiden Herren, Rupert von Bärlitz, war groß und hager, das Gesicht wie gegerbtes Leder, das Augenpaar von intensiver Bläue. In dem rechten Auge klemmte das Monokel wie festgewachsen, beileibe nicht lächerlich wirkend, sondern die Persönlichkeit dieses Feudalherrn noch unterstreichend. Auf dem schmalen Kopf stand das leichtergraute Haar dicht wie eine Bürste.
Jedenfalls sah man auch heute noch dem vitalen Fünfziger den früheren Offizier sofort an, der er ja auch gewesen war in einem vornehmen Ulanenregiment. Genauso wie sein Schwager, Baron von Hörgisholm, der Gatte der Frau Erdmuthe. Als dann die Herrlichkeit nach dem Krieg zu Ende war, wurden sie beide Landwirte in fremden Diensten. Ein Schicksal, das sie mit tausenden andern teilten.
Leider starb Hilbrecht von Hörgisholm vor zwei Jahren und erlebte es somit nicht mehr, daß sein Sohn, gleichfalls ein Landwirt, von seinem Onkel zweiten Grades den Hörgishof erbte.
Dieser junge Erbe, Arvid von Hörgisholm, war der vierte in der gemütlichen Runde und unbestritten eine blendende Erscheinung. Wie Jung-Siegfried anzuschauen in seiner Blondheit, dem prächtigen Wuchs, dem rassigen, kühngeschnittenen Gesicht und den blitzblauen Augen mit dem scharfen Blick eines Falken. So die richtige Traumgestalt der schwärmerischen Frauenwelt.
Vor sieben Monaten hatte er das Erbe des Onkels angetreten – und zwar mit einem lachenden und einem weinenden Auge. Mit einem lachenden, weil er nach jahrelanger Abhängigkeit in fremden Diensten sozusagen über Nacht zur eigenen Scholle kam, mit dem weinenden, weil das große Rittergut schon ziemlich heruntergewirtschaftet war. Denn Jasper Hörgisholm hatte damit Raubbau getrieben. Hatte immer nur Geld aus dem Besitz gepreßt, um seine kostspieligen Liebhabereien damit bezahlen zu können. Na was, leibliche Erben besaß er keine, und der andere bekam immer noch genug.
Doch der sollte nicht etwa denken, daß er das Gut so ohne weiteres verkaufen und sich das Geld dafür einstecken konnte. O nein, der sollte nur arbeiten, daß ihm die Schwarte knackte, wenn er Wert auf den Besitz legte. Wenn nicht, fiel er an eine Stiftung, so lautete das Testament.
Nun, der junge Freiherr hatte natürlich nicht verzichtet, er übernahm das verschuldete Gut.
Daß seine Mutter mit ihm ging, war selbstverständlich. Auch seine Tante Ermenia, die Schwester seines Vaters, die von jeher in dessen Haus gelebt hatte. Aber daß auch der vorzügliche Landwirt Rupert von Bärlitz sich anschloß, gleichfalls der tüchtige Kämmerer des Gutes, auf dem Arvid als Inspektor gearbeitet hatte, war für diesen ein außerordentlich großer Gewinn. Mit solchen Kräften zur Seite sollte es dem jungen Besitzer wohl gelingen, allmählich Ordnung in die Verwahrlosung zu bringen.
Übrigens gehörte noch jemand zu den Verschworenen. Und zwar der Diener des Verstorbenen, der laut Testament von dem Erben auf Lebenszeit zu übernehmen war. Jasper hatte ihn nämlich als verwaisten Knaben bei sich aufgenommen und sich in ihm einen vorbildlichen Diener herangezogen. Und so wie dieser dem einen Herrn gedient, so diente er auch dem andern. Und nicht nur als ausgesprochener Diener, sondern als Faktotum. Wenn irgendwo Not am Mann war, so war Franz zur Stelle – denn er hörte, sah, wußte und konnte alles.
Soeben trat er mit einem Tablett ein, auf dem Tassen und eine Kanne standen, aus der es aromatisch duftete. Ein Mann Anfang Dreißig, von mittelgroßer, geschmeidiger Gestalt. Tadellos rasiert und frisiert, mit der herablassenden Miene des herrschaftlichen Dieners. Peinlich saubere Hose und gestreifte Weste, ein Anzug, den Franz bei jeder Arbeit trug. Zu einer gröberen band er allerdings eine grüne Gärtnerschürze um.
Was da hinter ihm sichtbar wurde, war ein Wesen, das seinen Namen, Josepha Freundlich, zu Unrecht trug. Denn sie war eher mürrisch, die große, starkknochige Person, aber seit zwei Jahrzehnten ihrer Herrschaft treu ergeben, zuerst als Hausmädchen und jetzt als Mamsell. Überall fand sie sich zurecht und konnte arbeiten für zwei – genauso wie Franz.
»Sephchen, das stand doch gar nicht auf dem Tagesprogramm«, bemerkte die Hausherrin lachend, als ihre Getreue einen Teller mit knusprigbraunen Krapfen auf den Tisch stellte, und resolut erfolgte die Antwort:
»Ob Programm oder nicht, zu Silvester gehören diese Dinger nun mal. Guten Appetit.«
Weg war sie, gefolgt von Franz, und die anderen machten sich mit Vergnügen über die goldbraunen Bälle her.
Schön knusprig waren sie, der Zucker darauf glitzerte wie Christbaumschnee.
»Kinder, was geht es uns doch bloß gut«, stöhnte Ermenia vor Wohlbehagen beim Genuß des dritten Krapfens. »Wir haben bei diesem grausigen Wetter ein Dach überm Kopf, eine warme Stube und allerlei lukullische Genüsse. Ich muß schon sagen, daß für uns das alte Jahr einen guten Abschied nimmt.«
»Wenn auch mit Donnerwetter«, spann Rupert den