Du darfst nicht sterben. Andrea Nagele

Du darfst nicht sterben - Andrea Nagele


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      Dieses Buch ist ein Roman. Handlungen und Personen sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen sind nicht gewollt und rein zufällig.

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      © 2020 Emons Verlag GmbH

      Alle Rechte vorbehalten

      Umschlagmotiv: Ebru Sidar/Arcangel Images

      Umschlaggestaltung: Nina Schäfer

      Lektorat: Marit Obsen

      eBook-Erstellung: CPI books GmbH, Leck

      ISBN 978-3-96041-551-0

      Thriller

      Originalausgabe

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      Meiner Sophie

ERSTER TEIL

      1

      Ich will nicht sterben.

      Hart umschließen seine Hände meinen Hals. Durch den Druck der Daumen auf meine Kehle bekomme ich kaum Luft. Mein Kopf wird gegen das Kissen gepresst. Wenn er noch fester würgt, ersticke ich.

      Seine Ellbogen bohren sich in meine Brust. Er atmet schnell, fast hechelnd. Den Bruchteil einer Sekunde erinnert mich sein Geruch an früher.

      Panik!

      Kalter Schweiß tritt aus meinen Poren. Ich muss mich wehren, sofort.

      Mit letzter Kraft bäume ich mich auf, reiße meine Knie hoch und stemme sie gegen seine Rippen. Einen Moment lang lässt er meinen Hals los. Ich winde mich unter ihm und schnappe nach Luft.

      »Du«, krächze ich, »du kriegst mich nicht.«

      Aber da ist nur sein höhnisches Lachen.

      Und ich weiß, dass ich verloren habe.

      Ich muss eingenickt sein.

      Was hat mich geweckt?

      Das T-Shirt klebt an meinem Körper, mein Herz rast in einem beängstigenden Tempo. Mit zitternden Fingern nehme ich das Wasserglas vom Couchtisch, trinke langsam, Schluck für Schluck. Allmählich beruhige ich mich.

      Vor dem Fenster schwebt später Nebel über dem eingezäunten Wiesenstück und taucht es in ein diffuses Licht.

      Es war bloß ein Alptraum, besänftige ich mich.

      Und doch, irgendetwas ist anders als sonst.

      Kalte Luft.

      Wo kommt die her?

      Mit wackeligen Beinen tappe ich ins angrenzende Kinderzimmer. Dort schläft die Kleine ruhig im bläulichen Schein des Arielle-Nachtlichts. Helle Löckchen auf rosigen Wangen. Neben Hanna auf dem Kissen schlummert ihr brauner Plüschbär.

      Als ich zurück ins Wohnzimmer gehen will, weht mir ein vertrauter Geruch entgegen.

      Paul!

      Sein Schweiß hat ihn verraten, diese merkwürdige Mischung aus Ammoniak und Kreuzkümmel.

      Ich erstarre.

      Was soll ich tun? Was hat die Polizei uns für diesen Moment beigebracht?

      Einen schrecklichen Augenblick lang habe ich alle Verhaltensmaßregeln vergessen, dann reagiere ich.

      Ich gehe zurück ins Kinderzimmer und hebe Hanna vorsichtig aus dem Bett. Verschlafen schmiegt sie sich an mich, gibt einen wohligen Laut von sich, ahnt nichts von der drohenden Gefahr. Vor Angst graben sich meine Zähne in die Unterlippe, so tief, dass sie aufplatzt und ich Blut schmecke. Meine Hand lege ich sanft auf Hannas Mund, streichle gleichzeitig ihre Wangen. Sie schläft.

      Schon habe ich die Kleidung im Schrank beiseitegeschoben und die schmale Rückwand entfernt. Ich lege das kleine Bündel auf die Matratze, mit der die dahinterliegende, zum Panikraum umfunktionierte Fläche versehen ist, und ziehe lautlos die mit Luftlöchern versehene Pappe an ihre alte Stelle.

      Nach einem letzten kontrollierenden Blick schleiche ich aus dem Kinderzimmer, haste den Gang entlang und stoße die Klotür auf. Leise ziehe ich sie hinter mir ins Schloss, verriegle sie und greife zum Handy.

      Ich schaffe es gerade noch, die Notrufnummer zu wählen, bevor das Holz der Tür splittert. Die Schneide einer Axt ragt mir entgegen, und ich ducke mich unter ihrer Schärfe.

      Ich schreie.

      Dann ist Paul auch schon über mir und schleudert mich gegen die Wand. Zitternd lehne ich an den blau-weißen Kacheln.

      »Wo ist Lili? Ich will meine Frau!«, zischt er und packt mein Haar, zerrt daran, bis mein Gesicht ganz nahe vor seinem ist. Hass und Zorn lassen seine Stimme kippen, bis tief hinunter, wo der Ton verstummt. Seine Augen glühen, sein Atem riecht nach kalter Asche.

      Lili? Ich bin nahe daran, hysterisch aufzulachen. »Lass uns in Ruhe.«

      Seine Züge versteinern. Mit der rechten Faust schlägt er mir so schnell ins Gesicht, dass ich nicht ausweichen kann.

      Es muss wehgetan haben, doch ich spüre nichts.

      Jetzt umklammern seine Hände meine Schultern. Ich bin eingekeilt wie in einem Schraubstock.

      Wo bleibt die Polizei?

      Salzig-saure Flüssigkeit klebt auf meinen Lippen. Blut, Speichel, Tränen.

      »Ich will nicht sterben.« Die Worte sind aus meinem Mund gefallen, ohne dass ich es verhindern konnte.

      »Dein Leben? Das ist wertlos.« Seine Stimme, jetzt seidenweich, trieft vor Hohn. Sie hallt von den Wänden des kleinen Raumes wider.

      Sie müssen jeden Moment hier sein.

      Diese Gewissheit gibt mir die Kraft, ihm mein rechtes Knie in den Unterleib zu rammen.

      Und gleich darauf das linke.

      Eine Sekunde lang löst sich sein Griff. Er krümmt sich vor Schmerz, und ich drängle mich an ihm vorbei, hinaus aus der Toilette, ins Wohnzimmer.

      Jetzt ist er zu allem bereit. Ich bete, dass Hanna nicht aufwacht und zu weinen beginnt.

      Draußen vor dem Fenster schimmert, noch ein gutes Stück entfernt, flackerndes Blaulicht.

      »Die Polizei kommt! Du hast keine Chance!«, schreie ich und versuche, die Tür zwischen uns zu bringen. Er wirft sich so heftig dagegen, dass ich auf den Teppichboden geschleudert werde. Mein Kopf knallt gegen die Kante der Glasvitrine. Der jähe Schmerz schneidet mich in zwei Hälften. Benommen versuche ich, unter den Tisch zu kriechen. Paul umklammert meine Beine, reißt mich herum und setzt sich rittlings auf mich.

      »Zum letzten Mal. Wo ist Lili?«

      Ich drehe den Kopf zur Seite. Es ist nur ein weiterer Alptraum, beschwöre ich mich. Gleich werde ich aufwachen, so wie vorhin.

      Doch auf einmal ist da ein Messer, mein angstverzerrtes Gesicht spiegelt sich in der blanken Klinge.

      »Ich will nicht sterben«, wimmert eine Stimme, die sich seltsam fremd anhört. Ist es wirklich meine?

      »Aber das wirst du.«

      Ich spucke in sein Gesicht.

      Im Lärm der näher kommenden Polizisten dringt das Messer durch meine Haut, senkt sich in meinen Hals, als wäre er aus feinstem, seidenem Stoff.

      Dann ist da nur noch metallisch schmeckendes Blut, das ich krampfhaft zu schlucken versuche und an dem ich ertrinke.


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