Tod in Rothenburg. Barbara Edelmann
Barbara Edelmann ist in Mindelheim geboren und aufgewachsen. Seit Jahrzehnten lebt sie glücklich und zufrieden im Allgäu. Ihr »Tal« verlässt sie höchstens für Ausflüge in ihre Lieblingsstadt Rothenburg ob der Tauber, weil sie sich vor Jahrzehnten unsterblich in diese bezaubernde Stadt mit ihrem historischen Flair verliebt hat. All ihre Erfahrungen und Beobachtungen verarbeitet sie in ihren Krimis.
Dieses Buch ist ein Roman. Handlungen und Personen sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen sind nicht gewollt und rein zufällig.
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© 2020 Emons Verlag GmbH
Alle Rechte vorbehalten
Umschlagmotiv: iStockphoto.com/Freeartist
Umschlaggestaltung: Nina Schäfer, nach einem Konzept von Leonardo Magrelli und Nina Schäfer
Umsetzung: Tobias Doetsch
Lektorat: Uta Rupprecht
eBook-Erstellung: CPI books GmbH, Leck
ISBN 978-3-96041-679-1
Franken Krimi
Originalausgabe
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»Zu hohe Schuhe gibt es nicht.«
Dodo Haug, Kommissarin
Sonntagabend, Rothenburg ob der Tauber
»Diese Germans sind auf liebenswerte Weise verrückt, und sie bauen hübsche Schlösser, aber die dicken Dinger aus Bayern esse ich nie wieder. Erinnerst du dich? Sie nennen sie ›Weißwürste‹.« Mary Walker, eine attraktive Frau Anfang fünfzig aus Lincoln, Nebraska, blickte ihren Mann George durch eine riesige getönte Brille vorwurfsvoll an. Ihre braun gefärbte Mähne ergoss sich in wallenden Locken über ein stramm sitzendes giftgrünes Viskoseshirt mit Blütendruck.
Das gemütliche Restaurant in der Galgengasse in Rothenburg ob der Tauber, in dem die beiden köstliche, mit Spinat und Ricotta gefüllte Ravioli mit Gorgonzolasoße und Nüssen genossen hatten, leerte sich allmählich. Schon vor über einer halben Stunde hatte sich die Nacht wie ein geheimnisvoller Schleier über die hübsche Stadt gelegt, sie verlieh den stillen Gassen ein bezauberndes Flair. Wer bereit war, einige am Straßenrand geparkte Autos zu übersehen, konnte sich mit ein wenig Phantasie vorstellen, sich auf einer Zeitreise ins Mittelalter zu befinden. Ziellos waren Mary und George einige Stunden zuvor durch die Gassen geschlendert und hatten sich dann, hin- und hergerissen angesichts der beachtlichen Anzahl englischsprachiger Speisekarten, die vor sämtlichen Lokalen aushingen, für das »Roma« entschieden, denn Mary hatte nach dem zweifelhaften Weißwurst-Experiment in München Appetit auf italienisches Essen.
»Wirklich kuschelig hier.« Sie sah sich kurz im Lokal um. »Viel Holz. Genauso hatte ich mir Deutschland vorgestellt. Und das Essen war großartig, nicht wahr? George? Warum sagst du nichts?«
Ihr Gatte, ein drahtiger Mann mit Bürstenhaarschnitt und der Miene eines depressiven Spaniels, zuckte zusammen, denn er war gedanklich etwas abgedriftet. Und anschließend mit offenen Augen eingeschlafen ab dem Moment, als seine Frau zum tausendsten Male damit begann, sich über den bisherigen Verlauf ihrer Reise auszulassen. Seine Zeit bei der US-Army hatte George gelehrt, jede Gelegenheit für ein kurzes Nickerchen zu nutzen – eine Fertigkeit, die ihm in seiner Ehe schon öfter zugutegekommen war.
Vor ihnen auf dem Tisch stand eine beinahe leere Flasche Bocksbeutel, die letzte von vieren, denn George – allem Neuen gegenüber aufgeschlossen – informierte sich vor jeder Reise wissbegierig über Land, Leute und Trinkgewohnheiten. Der Wein war seiner Meinung nach phantastisch, denn er hatte ihm geholfen, Marys quengelige Stimme beinahe vollständig auszublenden.
Nun warf er aufgeschreckt einen Rundblick durch die Gaststube und blinzelte dann enttäuscht, als ihm einfiel, dass er sich gerade weit entfernt von seinem Zuhause, seinem Barbecue-Grill und seinem Fernseher befand.
Mary redete noch immer. »Dieses Getränk hier schlägt mir auf den Magen, fürchte ich. Mir ist ein wenig flau.« Wie um ihre Aussage zu bestätigen, hob sie ihr Glas, in dem der Rest des Weißweins das Licht der Deckenlampen widerspiegelte. »Die nehmen hier ja scheinbar kein Blatt vor den Mund.« Stirnrunzelnd las sie die Aufschrift auf der Weinflasche. »›Bocksbeutel‹ – crazy Germans! Gott sei Dank konnte ich dich heute Mittag davon abbringen, diese angeblich einmaligen ›Sauren Zipfel‹ zu bestellen. Hör endlich auf, vor einer Reise im Internet nach regionalen Spezialitäten zu suchen. Was in einem Steak drin ist, weiß ich, aber diese weißen Würste in München …« Missbilligend schüttelte sie den Kopf.
»So schlecht kann es dir nicht geschmeckt haben«, antwortete George schwerfällig, der mit dem Sprechen allmählich so seine Schwierigkeiten bekam. Das kommt davon, wenn man die Klopfzahl einer Flasche anständigen Frankenweines unterschätzt. »Immerhin hast du noch einmal nachbestellt.«
»Weil ich solche Miniportionen nicht gewöhnt bin.« Mary zupfte an ihrem geblümten Oberteil, das nach dem opulenten Essen merklich spannte. »Willst du damit sagen, ich wäre zu dick? Ich habe deinen Blick sehr wohl bemerkt, als ich den Kellner nach Tiramisu gefragt habe.« Herausfordernd starrte sie ihren Ehemann an.
George versuchte, sich mittels seiner mit Frankenwein getränkten Synapsen krampfhaft zu erinnern, warum er seiner Gattin zur Silberhochzeit ausgerechnet eine romantische Deutschland-Rundreise geschenkt hatte anstatt eines Gutscheins für ihr Nagelstudio oder einen Spinningkurs. Es fiel ihm keiner ein. Für diesen verdammten Haufen Geld hätte er sich einen anständigen neuen Grill leisten können, um damit beim Barbecue seine Bowlingfreunde zu beeindrucken. Stattdessen musste er sich von seiner Angetrauten seit Tagen nur Beschwerden anhören. So viel mit offenen Augen schlafen, wie es nötig gewesen wäre, um Marys Klagen vollständig auszublenden, konnte kein Mensch. Da blieb einem nur der Alkohol, egal ob in kugeligen oder zylindrischen Flaschen. George war inzwischen so weit, dass er auch Brennspiritus getrunken hätte. Und er würde niemals wieder irgendwohin verreisen, das hatte er sich fest vorgenommen.
Fragen zu Marys Gewicht beantwortete er grundsätzlich nicht, denn das ähnelte dem Versuch, mit verbundenen Augen ein Minenfeld zu durchqueren. Stattdessen ging er strategisch geschickt zum Gegenangriff über. »Du löcherst mich seit fünfundzwanzig Jahren, dass du endlich in die alte Heimat deines Urgroßvaters reisen willst. Aber seit wir in Deutschland angekommen sind, lässt du an nichts ein gutes Haar.« Leider klang seine Offensive etwas verwaschen, denn jemand schien seinen Mund mit Wattebällchen gefüllt zu haben. Aber Mary verstand ihn schon. »Sogar Schloss Neuschwanstein war dir zu unordentlich und zu vergoldet. Zu vergoldet!«
Mary rückte energisch ihre Brille zurecht. Für ihre zweiundfünfzig Jahre war sie wirklich recht attraktiv, fand George. »Darling«, sagte sie, »ich weiß, du hast es gut gemeint mit deinem Geschenk, aber mittlerweile denke ich, wir hätten nach Disneyland fahren sollen. Hier ist alles so …«, sie überlegte einen Moment, »… realistisch. Und alt.«
Darauf hätte George eine gute Antwort parat gehabt, konnte sich aber trotz seines Blutalkoholspiegels von geschätzten eins Komma sechs Promille gerade noch bremsen. Immerhin war seine werte Gemahlin bei ihrer heutigen Ankunft in Rothenburg ob der Tauber endlich einmal delighted, also entzückt gewesen. Schon der erste im Schnellverfahren absolvierte Rundgang über die begehbare Stadtmauer hatte ihr ein »incredible!« nach dem anderen entlockt. Das pittoreske Meer aus Fachwerkfassaden und gotischen Türmen hatte sie zu mindestens zweihundert verwackelten Handyfotos inspiriert, mit denen sie per WhatsApp ihre hoffentlich neidischen Freundinnen im örtlichen Frauenverein von Lincoln im Minutentakt beglückte.
»Lass uns ins Hotel gehen, Honey«, lenkte Mary jetzt ein. »Es ist schon spät. Morgen möchte ich unbedingt