Befehle von oben. Franz Taut

Befehle von oben - Franz Taut


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      Vollständige E-Book-Ausgabe der im Rosenheimer

      Verlagshaus erschienenen Originalausgabe 2013

      ©2014 Rosenheimer Verlagshaus GmbH & Co. KG, Rosenheim

      www.rosenheimer.com

      Titelfoto: © Bundesarchiv Bild 101I-090-3949-04A /

      Fotograf: Etzhold

      Satz: SATZstudio Josef Pieper, Bedburg-Hau

      eISBN 978-3-475-54341-8 (epub)

      Der Ablauf des militärischen Geschehens entspricht

      der geschichtlichen Wahrheit. Die Namen der

      handelnden Personen sind frei erfunden.

      Eventuelle Ähnlichkeiten sind daher rein zufällig.

      Inhalt

       Vorwort

       Der Spiegel

       Im Kreisel

       Führerreserve

       Flucht nach vorn

       Das Ende

      Vorwort

      Die Aufzeichnungen des Leutnants Lemke – ein Stoß loser, eng beschriebener Blätter – wurden im September 1943 im Kompaniegefechtsstand eines wiederbesetzten Kampfgrabens an der Front des Kuban-Brückenkopfes gefunden.

      Vor dem Eingang des Erdbunkers lag wie ein stummer Wächter ein gefallener russischer Kapitän. Seine Augen starrten zum Himmel auf. Es war der Himmel Russlands. Aber die erloschenen Augen des Toten sahen ihn nicht.

      Bis zum Verlust der Stellung hatte Leutnant Lemke in dem Erdloch gehaust.

      Auf Umwegen gelangten die Aufzeichnungen in die Heimat.

      Eine Frau hütete die vergilbenden Blätter als das Vermächtnis eines Mannes, der im Donner der Schlachten zum Rebellen gegen Krieg und Gewalt geworden war.

      Der Spiegel

      Gestern früh trat das ein, was ich wochenlang, genau gesagt: vier Monate und neun Tage lang, von mir gewiesen hatte.

      Stabsarzt Nüßle nahm mir eigenhändig die Verbände vom Gesicht und meinte mit kritisch prüfendem Blick: »Einigermaßen haben wir Sie ja wieder hingekriegt. Ganz passable Visage, wenn man überlegt, wie Sie mir eingeliefert worden sind. Mancher, glauben Sie mir, mancher, der mit Ihnen in Stalingrad war, hätte gern einen höheren Preis bezahlt, wenn er das Glück gehabt hätte, herauszukommen.«

      »Vermutlich, Herr Stabsarzt«, sagte ich voll düsterer Ahnung, denn die Narben und Nähte in meinem Gesicht spannten, als reiche die Haut nicht aus. Und bitter fügte ich hinzu: »Das alles verdanken wir unserem Führer.«

      Der Diener Aeskulaps im weißen Mantel lachte kurz auf und schüttelte mit pflichtgemäßer Missbilligung den Kopf.

      »Sie haben ein loses Mundwerk, Herr Lemke. Nur gut, dass im OP kein Abhörmikrofon eingebaut ist! In der Narkose haben Sie gefährliches Zeug ausgeplaudert. Ja, und noch etwas: Vorsicht beim Rasieren, wenn die ersten Stoppeln sprießen. Und die Augen schonen! Sie werden es schon bemerkt haben: der Lidschlag ist vorerst beeinträchtigt. Und die Wimpern werden nur spärlich nachwachsen. Zwei Wochen werden wir Sie noch zur Nachbehandlung hier behalten. Dann geht’s ab in die Heimat. Sie haben’s hinter sich, mein Lieber. Ich werde Sie zunächst in ein Erholungsheim überweisen. Wenn Sie herauskommen, werden Sie entlassen. Auch ganz schön, als Ehrenbürger der Nation von Weitem zuzuschauen.«

      »Entlassen?«, warf ich ein. »Das ist doch nicht Ihr Ernst, Herr Stabsarzt!«

      Dr. Nüßle ergriff meine Hand, an der ja nun auch ein Finger fehlt.

      »Kopf hoch, Lemke! Sie werden sich schon zurechtfinden – ein Kerl wie Sie!« Und dann: »Ach ja, beinah hätt’ ich’s vergessen.«

      Er schob seine Hand in die Tasche seines weißen Mantels, aus der ein Stethoskop hervorsah, und brachte ein goldenes Verwundetenabzeichen zum Vorschein.

      »Hoffentlich findet sich noch ein Plätzchen an Ihrer reich dekorierten Feldbluse«, sagte er, indem er mir das Abzeichen formlos zusteckte mit der Geste eines Vaters, der seinem Jungen zum Trost für ein aufgeschundenes Knie einen Groschen gibt. Nur dass es bei mir nicht das Knie ist, sondern das Gesicht.

      Nun war ich also Besitzer des goldenen Verwundetenabzeichens. Höher ging es nicht mehr. Das schwarze hatte man mir in Frankreich – nach der Aisne – verabreicht, das silberne im November 41 in Charkow.

      Warum ich das alles niederschreibe? Weil man nicht alles unausgesprochen mit sich herumtragen, und weil man es nicht aussprechen darf, denn die Gespräche sind verstummt. Es gibt keinen Widerhall, und gelegentlich lauert das Ohr eines Übereifrigen oder ein verborgenes Mikrofon.

      Stalingrad war der Wendepunkt – in meinem Leben, wie in dem von Zehntausenden; Deutschen, Italienern, Rumänen, Ungarn und Kroaten.

      Von Stalingrad ins Lazarett nach Krakau, zu Stabsarzt Nüßle und zu Schwester Thekla – von der eisigen Zone des Todes und der Verdammnis in ein Einzelzimmer mit Dampfheizung, weißer Bettlade, weißem Tisch und weißem Spind. Alles ist vorhanden, nur der Spiegel fehlt über dem Waschbecken mit den Hähnen für kaltes und warmes Wasser.

      Stalingrad. Zur Eroberung der Stadt an der Wolga – nach Hitlers Meinung, die er am 30. September 42 kundgab, nur ein erweitertes Stoßtruppunternehmen – waren wir nicht bestimmt. Jedenfalls nicht mein Bataillon.

      Wir lagen nach einem Vormarsch, der für uns am 28. Juni 42 bei Bjelgorod begann, seit September als Reserve hinter der Don-Front der 3. rumänischen Armee. Die Aufgabe der Rumänen war es, die Nordflanke des Keils zu schützen, den unsere 6. Armee mit Infanterie- und Panzerdivisionen ins Ruinengewirr von Stalingrad getrieben hatte.

      Meine Division befand sich nach empfindlichen Verlusten im Stadium der Reorganisation und Auffrischung. Im Laufe des Oktober hatte sie ein Grenadierregiment, das Pionierbataillon, eine Sanitätskompanie und noch einiges mehr nach Stalingrad abgegeben.

      Die Mehrzahl der ausgepumpten Pferde war weit nach rückwärts in Pferdeerholungsstätten gebracht worden. Die Motoren zahlreicher Kraftwagen wurden in Rostow, Stalino und Dnjepropetrowsk überholt oder in Stand gesetzt. Es war wie ein herbstliches Großreinemachen für kommende Taten im Frühling. Wieder einmal, wie im Vorjahr, waren wir in die Winterquartiere gegangen.

      Die Bekleidung der Kampftruppe unterschied sich zwar vorteilhaft von der, in der das deutsche Ostheer im Winter zuvor mit knapper Not einer Katastrophe entgangen war, aber sonst wiederholte man mit unverdrossener Selbstüberschätzung viele der Fehler, die im Winter 41/42 beinahe zum Bankrott geführt hatten. Allzu lange hatte es geheißen: »Führer befiehl! Wir folgen dir.«

      Nun nützte er die Blankovollmacht aus und befahl. Wer ihm entgegentrat, wurde niedergeschrien oder beseitigt. Im Offizierkorps kursierten finstere Flüsterparolen über sein Wüten im Hauptquartier. Nach Generalfeldmarschall von Brauchitsch, der im Dezember 41 hatte gehen müssen, war im Frühherbst 42 Generaloberst Halder, der Chef des Generalstabes, abgehalftert worden. Mit ihm Feldmarschall List, der OB der Heeresgruppe A, der den fehlgeschlagenen Kaukasusfeldzug rechtzeitig liquidieren wollte. Wir waren informiert, aber solche Nachrichten gingen nur heimlich um.

      Der Oberste Befehlshaber


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