Seewölfe Paket 33. Fred McMason

Seewölfe Paket 33 - Fred McMason


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liegen.

      Seine Finger verkrallten sich im Holz, die Fingernägel splitterten und die schwieligen Kuppen rissen auf und begannen zu bluten. Er merkte es nicht, auch nicht, daß er sich keuchend Stufe um Stufe in die Höhe zog.

      Über ihm fiel Helligkeit durch die Grätings. Er hörte Stimmen, im einen Moment wie aus weiter Ferne, im nächsten schon zum Tosen eines Orkans anschwellend. Vergeblich versuchte er, die Aufmerksamkeit der Männer auf sich zu ziehen.

       Feuer! wollte er schreien – er konnte es noch immer nicht. Seine Kehle war wie zugeschnürt.

      Zum erstenmal empfand er Angst. Erbärmliche, nackte Angst. Was war mit ihm los? War er kränker, als er sich eingestand?

      Die Luke wurde geöffnet. Jemand wollte hinuntersteigen, sah ihn und rief die anderen zu Hilfe. Mario Morales erlebte das Geschehen wie durch stetig dichter werdenden Nebel hindurch. Die Männer zogen ihn nach oben und legten ihn neben das Süll. Der Bootsmann schickte nach dem Arzt.

      Seltsamerweise konnte er das meiste von dem verstehen, was die Kerle sagten, obwohl er selbst nicht mehr als ein dumpfes Stöhnen hervorbrachte.

      „Das ist Mario. Er ist kaum wiederzuerkennen.“

      „Er sieht aus wie der wandelnde Tod.“

      „Seine Haut – so brüchig wie Pergament und so gelb wie – wie …“

      „Safran“, sagte der Koch. Er beugte sich über den Decksmann und zog seine flatternden Lider hoch. „Der macht es nicht mehr lange“, fügte er mit dem Gemüt eines Fleischerhundes hinzu.

      Dafür hätte ihm Mario den Hals umdrehen können. Doch das hatte Zeit. Später, wenn die Müdigkeit vorbei war, die sich in seinen Gliedern ausbreitete. Er gab sich ihr gerne hin.

      Daß der Feldscher endlich erschien, sich neben ihn kniete und ihm das Hemd aufriß, war das letzte, was er noch wahrnahm.

      „Und?“ fragte Kapitän Miguel Pigatto, nachdem der Feldscher eine Weile lang schweigend den Reglosen betastet hatte.

      Der Mann blickte nur flüchtig auf. Sein Kopfschütteln sagte genug. Zögernd packte er die verschiedenen Instrumente wieder in seine Tasche.

      „Woran ist er gestorben?“

      „Sehen Sie seine Haut, Capitán. Das ist Ikterus, im Volksmund auch Gelbsucht genannt. Allgemein wird angenommen, daß diese Farbveränderung durch eine Entzündung der Leber entsteht, etwa hervorgerufen durch übermäßigen Alkoholgenuß oder andere ausschweifende Lebensweisen. Da es sich bislang um den einzigen Fall an Bord handelt, nehme ich an, daß eine ansteckende Gelbsucht auszuschließen ist, die vor allem durch Ratten und Mäuse übertragen wird.“ Er beugte sich über das Gesicht des Toten und sog prüfend die Luft ein. „Der Mann hat erst vor kurzem Rum getrunken.“

      „Ausgeschlossen“, sagte der Capitán spontan. „Nicht eine Flasche befindet sich noch an Bord. Ich ließ zwar den Pulvervorrat in die achteren Räume verstauen, aber sämtlichen Rum von Bord schaffen. Schon mit Rücksicht auf das Verlangen des Generalkapitäns“, fügte er schnell hinzu, weil einige Männer plötzlich nicht mehr nur betrübt dreinblickten.

      „Dann hat es Morales irgendwie verstanden, sich neuen Rum zu besorgen.“

      „Wie und wann hätte er das tun sollen?“

      „Sie sind der Kapitän, Señor Pigatto, wenn Sie das nicht wissen …“

      „Der Mann ist wirklich tot?“

      „Von dem erfahren Sie nichts mehr.“

      Pigatto kehrte in einer unmißverständlichen Geste seine Autorität heraus. Die Fäuste in die Hüfte gestemmt, blickte er sich um.

      „Ich will wissen, wer Morales den Rum gegeben hat! Also los, wer hat etwas zu sagen?“

      Offenbar niemand.

      Ungeduldig begann der Capitán wieder einmal, die aus seinen Nasenlöchern wachsenden Haare auszureißen. Das war eine Arbeit, die ihn endlos beschäftigen konnte. Lauernd musterte er seine Leute, von denen keiner gleichgültig wirkte. Aber die einen schienen wirklich keine Ahnung zu haben, und die anderen gaben sich offenbar alle Mühe, ihr Wissen zu verheimlichen.

      „Du, Aparicio.“ Er wandte sich an den Koch. „Was weißt du?“

      „Nichts, Capitán. Bei allen Heiligen. Wir haben keinen Rum an Bord.“

      Pigatto begann eine unruhige Wanderung. Vor den versammelten Männern ging er auf und ab.

      Unvermittelt blieb er stehen und stieß Antonio Villasante mit der flachen Hand vor die Brust.

      „Heraus mit der Sprache!“

      Villasante hielt dem stechenden Blick, ohne mit der Wimper zu zucken, stand. Langsam hob er die Schultern und ließ sie gleich darauf wieder sinken.

      „Rede!“ fuhr der Kapitän ihn an.

      „Ich habe keine Ahnung.“

      „Natürlich nicht“, sagte Pigatto scharf. „Verdammt, ich lasse mich nicht für dumm verkaufen. Morales säuft sich zu Tode, und keiner will etwas gehört oder gesehen haben. Aber, so wahr ich hier stehe, ich kriege die Wahrheit heraus, und wenn ich erkenne, daß einer mich belogen hat …“ Die Drohung war unmißverständlich. Er brüllte, daß seine Stimme bis in den hintersten Winkel der Galeone zu hören war. Dem Befehl gehorchend, versammelten sich alle Männer auf der Kuhl, auf der es jetzt verdammt eng wurde.

      „Ich werde jede Meuterei schon im Keim ersticken!“ schrie der Kapitän. „Woher stammt der Rum? Also gut, ich habe Zeit. Meinetwegen steht ihr hier, bis ihr schwarz werdet.“

      Zornig stampfte er davon, zum Achterdeck, wo lediglich der Rudergänger noch auf seinem Platz verharrte.

      Der Konvoi segelte unter blauem, nur leicht bewölktem Himmel. Der Wind wehte überraschend konstant, Segelmanöver waren daher überflüssig. Also konnte er es sich erlauben, abzuwarten. Der Rum interessierte ihn im Grunde genommen nicht mehr, doch wenn schon bei Kleinigkeiten der Ungehorsam begann, wie sollte das erst in ernsten Situationen aussehen?

      Capitán Pigatto glaubte, daß er seinen Leuten immer genug Freiraum gelassen hatte, aber inzwischen orientierte er sich mehr und mehr am Vorbild des Generalkapitäns Don Ricardo de Mauro y Avila und gelangte zu der Überzeugung, daß ein härteres Durchgreifen der Disziplin bestimmt nicht schadete.

      Er begann eine ruhelose Wanderung von Steuerbord nach Backbord und zurück. Nicht einer der Männer auf der Kuhl wandte den Kopf oder muckste sich gar. Wie angewachsen standen sie da – hölzerne Figuren in einem Spiel, bei dem es darum ging, Überlegenheit und Stärke zu beweisen.

      Erst als der Rudergänger die Sanduhr umdrehte und die Schiffsglocke anschlug, wurde Pigatto bewußt, daß inzwischen eine halbe Stunde vergangen war.

      Hielten die Kerle ihn zum Narren? Die absolute Reglosigkeit, mit der sie verharrten, war nicht normal.

      Der Kapitän wirbelte herum, seine Finger verkrampften sich um den Handlauf der Balustrade, bis sein eigener Griff ihn schmerzte. Diesen Männern gegenüber fühlte er sich unterlegen. Von Anfang an, als er die Führung der „Respeto“ übernommen hatte, war er bei der Crew auf Widerstand gestoßen.

      Seinen Vorgänger hatten Soldaten tot im Hafen von Cadiz gefunden, mit einem Dolch im Rücken. Hinter vorgehaltener Hand war von einem Streit an Bord getuschelt worden. Hatte tatsächlich einer der Männer gewagt, die Hand gegen seinen Kapitän zu erheben? Von keinem hatte er bisher mehr als vage Andeutungen darüber gehört. Dabei traute er eine solche Tat mehreren Kerlen zu.

      Miguel Pigatto zuckte kurz zusammen, als er überrascht feststellte, daß seine Rechte auf dem Degenknauf lag. Fühlte er sich an Bord seines Schiffes nicht mehr sicher?

      „Ihr fühlt euch stark, was?“ brüllte er zur Kuhl hinunter. „Aber euch wird der Spaß vergehen, dafür sorge ich.“

      Er preßte die Lippen aufeinander. Ebensogut konnte


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