Five Nights at Freddy's. Scott Cawthon
oder?“
„Ja, war es.“ Die Stimme seines Vaters klang seltsam, irgendwie nervös. Ein paar Sekunden schwieg er, dann sagte er: „Aber sie hat geschlossen.“
„Wie alles andere in dieser Stadt“, meinte Oswald.
„So ziemlich, ja“, sagte sein Vater und hielt vor der Bücherei.
Vielleicht bildete Oswald es sich nur ein, aber sein Vater schien erleichtert zu sein, dass sie ihr Ziel schon erreicht hatten und er keine weiteren Fragen zu dem Thema beantworten musste.
Pünktlich um elf ging Oswald hinüber zu Jeff’s Pizza, wie er es immer tat. Da Jeff nirgendwo zu sehen war, lief Oswald gleich zur Bällegrube. Nachdem er bis hundert gezählt hatte, stand er auf. Doch diesmal hörte er nicht die vertrauten Geräusche aus dem Freddy Fazbear’s. Sondern Schreie. Weinende Kinder. Hilferufe. Schnelle Schritte. Es herrschte Chaos.
Waren Chip und Mike da? Ging es ihnen gut? Ging es allen anderen hier gut?
Er hatte Angst. Einerseits wäre er am liebsten gleich wieder in der Bällegrube verschwunden, doch er machte sich Sorgen um seine Freunde. Außerdem brannte er vor Neugier, was eigentlich los war, obwohl er wusste, was immer es auch war, es musste schrecklich sein.
Er befand sich nicht in Gefahr, redete er sich ein, denn dies war die Vergangenheit, die lange vor seiner Geburt stattgefunden hatte. Sein Leben konnte kaum in einer Zeit in Gefahr sein, die stattgefunden hatte, bevor er überhaupt begonnen hatte zu existieren, oder?
Mit einem Knoten im Magen lief er durch die aufgescheuchte Menge, vorbei an weinenden Müttern mit Kleinkindern auf dem Arm, vorbei an Vätern, die nach den Händen ihrer Kinder griffen und sie schnell zum Ausgang führten, das Entsetzen ins Gesicht geschrieben.
„Chip? Mike?“, rief er, aber seine Freunde waren nirgends zu sehen. Vielleicht waren sie heute nicht ins Freddy Fazbear’s gekommen. Vielleicht waren sie in Sicherheit.
Ängstlich, aber von dem Gefühl getrieben, dass er herausfinden müsste, was los war, lief Oswald in die Richtung, aus der all die anderen kamen, und ihm wurde immer mulmiger.
Vor ihm tauchte der Mann in dem gelben Kaninchenkostüm auf … falls denn ein Mann darin steckte. Das Kaninchen öffnete eine Tür mit der Aufschrift „Privat“ und ging hindurch.
Oswald folgte ihm.
Der Gang dahinter war lang und dunkel. Mit ausdruckslosen Augen und einem eingefrorenen Grinsen blickte ihn das Kaninchen an, dann ging es den Gang hinunter. Oswald jagte das Kaninchen nicht. Er ließ sich von ihm führen, als befände er sich in einer grauenerregenden Variante von Alice im Wunderland und würde gerade in das Kaninchenloch hinabsteigen.
Das Kaninchen hielt vor einer Tür inne, auf der „Partyraum“ stand, und bedeutete Oswald, ihm hineinzufolgen. Oswald bebte vor Furcht, aber er war zu neugierig, um es nicht zu tun. Außerdem, dachte er, kannst du mir nichts tun. Ich bin ja noch nicht einmal geboren.
In dem Raum brauchte Oswald ein paar Sekunden, um zu begreifen, was er dort eigentlich sah und noch ein paar weitere Sekunden, bis sein Hirn das auch verarbeitet hatte.
Sie saßen aufgereiht an der Wand, die mit Bildern der Tiere aus dem Freddy Fazbear’s bemalt waren: dem grinsenden Bären, dem blauen Kaninchen und dem Vogelmädchen. Es waren ein halbes Dutzend Kinder, keins von ihnen älter als Oswald. Ihre leblosen Körper aufrecht hingesetzt, die Beine vor sich ausgestreckt. Einige hatten die Augen geschlossen, als würden sie schlafen. Die Augen anderer waren offen und leer wie die von Puppen.
Alle trugen sie Freddy-Fazbear-Partyhüte.
Oswald wusste nicht, wie sie gestorben waren, aber ihm war klar, das Kaninchen war dafür verantwortlich. Das Kaninchen wollte ihm sein Werk präsentieren. Vielleicht sollte Oswald sein nächstes Opfer werden und auch mit toten Augen neben den anderen an der Wand sitzen.
Oswald schrie. Das gelbe Kaninchen sprang auf ihn zu. Er stürzte aus dem Raum und den dunklen Korridor entlang. Vielleicht konnte das Kaninchen ihm etwas tun, vielleicht auch nicht. Aber Oswald hatte keine Lust, das herauszufinden.
Er rannte durch die nun leere Spielhalle zum Bällebad. Draußen schrien die Sirenen der Polizeiautos mit Oswald um die Wette. Das Kaninchen verfolgte ihn und kam ihm so nahe, dass er plötzlich eine pelzige Pfote auf seinem Rücken spürte.
Oswald hechtete in die Grube. So schnell er konnte, zählte er bis hundert.
Als er aufstand, hörte er Jeffs Stimme. „Da ist der kleine Stinker!“
Oswald drehte sich um und sah, wie sein Vater auf ihn zukam. Er schien außer sich zu sein, und Jeff war offensichtlich auch nicht besonders glücklich – wenn das auch nichts Besonderes war.
Völlig erstarrt von dem gerade Erlebten stand Oswald da.
Sein Vater packte ihn am Arm und zog ihn aus dem Bällebad. „Was hast du dir dabei gedacht, dich in dem dreckigen alten Ding zu verstecken?“, fragte Vater. „Hast du mich denn nicht rufen hören?“
Nachdem Oswald aus der Grube geklettert war, beugte sich sein Vater über die Grube. „Sieh dir nur an, wie schmutzig das ist. Deine Mutter …“
Zwei gelbe Arme tauchten zwischen den Bällen auf und zogen seinen Vater unter die Oberfläche.
Der Kampf hätte etwas Komisches gehabt, wäre er nicht so erschreckend gewesen. Die Füße seines Vaters in ihren braunen Arbeitsschuhen erschienen strampelnd und zwischen den Bällen und verschwanden wieder. Dann tauchte ein Paar pelzige gelbe Füße auf, die auch gleich darauf nicht mehr zu sehen waren. Die Bälle in der Grube wogten wie ein sturmgepeitschtes Meer. Kurz darauf lag die Oberfläche wieder unbewegt da. Dann erhob sich das gelbe Kaninchen aus der Grube, rückte seine rote Fliege zurecht, klopfte sich den Pelz ab und wandte sich grinsend Oswald zu.
Oswald wich zurück, aber schon war das Kaninchen neben ihm, den Arm fest um seine Schultern gelegt, und führte ihn zum Ausgang.
Oswald blickte zu Jeff, der hinter dem Tresen stand. Vielleicht konnte Jeff ihm helfen. Doch Jeff hatte den gleichen niedergeschlagenen Hundeblick wie immer im Gesicht und sagte nur: „Bis später dann.“
Wie konnte Jeff – wie konnte irgendjemand – so tun, als sei die Situation völlig normal?
Draußen vor der Tür öffnete das Kaninchen die Beifahrertür vom Auto seines Vaters und stieß Oswald hinein. Dann stieg es selbst auf der Fahrerseite ein, schloss den Anschnallgurt und startete den Wagen.
Oswald versuchte, die Tür zu öffnen, aber das Kaninchen hatte die Tür vom Fahrersitz aus verschlossen.
Das Maul des Kaninchens schien in einem Grinsen erstarrt. Seine Augen waren ausdruckslos.
Noch einmal versuchte Oswald, die Tür zu öffnen, obwohl er wusste, dass es nicht funktionieren würde. „Moment mal“, sagte Oswald dann. „Kannst du das überhaupt? Kannst du Autofahren?“
Statt einer Antwort fuhr das Kaninchen einfach los. Da es an einer roten Ampel hielt, ging Oswald davon aus, dass es sehen konnte und grundsätzlich wusste, was Verkehrsregeln bedeuteten.
„Was hast du mit meinem Vater gemacht? Wohin bringst du mich?“ Oswald hörte die Panik in seiner Stimme. Eigentlich wollte er stark und tapfer sein, klang aber nur verängstigt und verwirrt. Was er auch war.
Das Kaninchen antwortete nichts.
An einer vertrauten Ecke bogen sie ab und dann noch einmal, in die Straße mit Oswalds Haus.
„Woher weißt du, wo ich wohne?“, wollte Oswald wissen.
Immer noch schweigend fuhr das Kaninchen auf die Einfahrt vor Oswalds Haus, das im Ranchstil gebaut war.
Ich haue ab, dachte Oswald. Sobald dieses Ding die Tür entriegelt, laufe ich zum Nachbarhaus und rufe von da die Polizei. Die Schlösser klickten, und Oswald sprang aus dem Wagen.
Irgendwie stand das Kaninchen plötzlich direkt vor ihm. Es packte seinen Arm. Er versuchte, sich loszureißen, aber der Griff war zu fest.
Das Kaninchen zerrte Oswald zur Haustür und riss ihm die Kette mit