Dr. Laurin Staffel 17 – Arztroman. Patricia Vandenberg
lächelte.
»Wenn alle dieser Meinung sind, lassen wir den kleinen Schreihals schlafen«, erklärte sie. »Trinken Sie mit uns ein Glas Sekt, Eva. Es ist wirklich ein Glück, dass wir Eva haben. Sie ist einfach perfekt. Ich brauche mich um nichts zu kümmern. Alles läuft wie am Schnürchen.«
Sie machte einen Schritt auf Dr. Laurin zu und legte ihre kraftlose Hand auf seinen Arm. »Ich weiß, dass ich Ihnen diesen guten Geist zu verdanken habe«, sagte sie. »Hätte ich nur immer auf Sie gehört und nicht auf das Geschwafel von anderen.«
Dann traf ein vernichtender Blick ihre Mutter, die fahl wurde.
»Wenn Mama sich nur nicht in alles einmischen würde«, fuhr Bettina aggressiv fort. »Ich werde mein Kind niemals mit solcher Affenliebe plagen.«
Eine prekäre Situation war das.
Schweigen herrschte.
Dann sagte Katrin: »Mütter sind sehr fürsorglich, Bettina.«
»Manchmal sind sie lästig«, erwiderte Bettina darauf.
»Wenn wir stören, können wir ja gehen«, ließ sich Jonas Bernulf vernehmen.
Sein energischer Tonfall ließ Bettina aufhorchen. »So war es doch nicht gemeint, Onkelchen«, lachte sie blechern auf. Dann griff sie sich an die Stirn. »Ich möchte mich ein paar Minuten ausruhen. Seid mir bitte nicht böse. Amüsiert euch, Conny ist sowieso am liebsten mit mir allein.«
Constantin sah, wie sie schwankte. Er führte sie hinaus.
Charlotte brach in ein haltloses Schluchzen aus, als die Tür ins Schloss fiel.
Katrin war die Erste, die sich fing. »Man muss bedenken, dass es schnell einen Stimmungsumschwung geben kann«, sagte sie leise. »Mein Vater hat mich darauf vorbereitet.«
»Ich wusste nicht, dass es so plötzlich kommt«, schluchzte Charlotte. »Lass uns gehen, Jonas.«
»Nein, nicht jetzt«, erwiderte ihr Mann. »Wir sollten ruhig darüber reden. Wir wussten ja alle, dass es kein Freudenfest werden würde – du ausgenommen, Charlotte. Aber es scheint an der Zeit zu sein, dass du dich endlich mit den nackten Tatsachen abfindest.«
»Bitte, setzen Sie sich«, sagte Dr. Laurin.
*
Constantin hatte Bettina auf ihr Bett gelegt. Sie umklammerte seine Hand mit so festem Griff, dass er sie nicht zu lösen vermochte. Es war erstaunlich, wie viel Kraft die Kranke in solchen Situationen entwickelte. Schon mehrmals hatte er dies erfahren.
»Sie ist albern«, stammelte Bettina. »Sie will immer die erste Geige spielen.«
»Wer?«, fragte er rau.
»Mama. Fällt dir das nicht auf?«
»Nein«, erwiderte er. »Sie ist sehr besorgt um dich, aber jetzt hast du sie gekränkt, Bettina.«
»Ach was, man kann sie nicht kränken. Sie will mich nur als kleines, hilfloses Mädchen behandeln. Sie will keine große Tochter haben, sie will nicht Großmutter sein. Und diese Katrin bildet sich wunder was ein, weil sie sich Jonas geangelt hat. Dabei ist er doch nur auf die Klinik ihres Vaters aus.«
»Rede dir doch so was nicht ein«, stieß er hervor, weil es seinem Wesen widersprach, ihr in allem recht zu geben.
»Sie stellt doch gar nichts dar«, sagte Bettina mit schriller Stimme. »Sie ist genauso unscheinbar wie Eva. Du kannst stolz auf mich sein, Conny. Sag es, dass du stolz auf mich bist. Schick die Leute fort. Ich möchte allein mit dir sein.«
»Du wolltest die Party, Bettina«, wandte Constantin heiser ein.
»Sie langweilen mich«, schrie sie ihn an. »Sie verderben mir die Stimmung. Ich war so gut gelaunt. Und nun schreit Sandra wieder, weil sie so laut sind.« Bettina hielt sich die Ohren zu. »Ich kann dieses Geheul nicht ertragen. Bring das Kind fort, Conny. Ohne die Kleine wären wir so glücklich wie früher.«
Er hatte sich aus ihrem Griff befreien können und hielt nun ihre Arme fest.
»Es ist unser Baby, Bettina«, sagte er hart. »Ich will das Kind behalten.«
»Du wolltest es nicht haben, ich wollte es nicht haben. Mama hat mir eingeredet, dass ich es zur Welt bringen muss. Soll sie es doch nehmen.«
»Jetzt ist es auf der Welt, und wir werden es behalten«, sagte Constantin. »Du wolltest es auch haben, vergiss das nicht.«
»Aber es hat mich krank gemacht«, stöhnte sie, »und ich kann das Geschrei nicht ertragen.«
»Das Kind schreit nicht. Du schreist«, sagte er. »Sei still, dann wirst du merken, dass alles ruhig ist.«
Sie verstummte. Sie vergrub ihr Gesicht in den Kissen. Und von Sekunde zu Sekunde schlief sie ein. Er blickte auf sie hinab, und heißes Mitgefühl ergriff ihn. Arme Bettina, dachte er, du kannst nichts dafür. Niemand ist schuld an deinem Elend. Jeder möchte auf seine Weise damit fertig werden.
Aber wie soll es weitergehen?, dachte er, als er sich erhob. Was bleibt letztendlich übrig?
*
Eva gab dem Baby die letzte Mahlzeit. Sie blickte nicht auf, als die Tür geöffnet wurde. Sie konzentrierte sich ganz auf das kleine Wesen, das sie beim Trinken mit großen Augen anschaute.
»Ist alles in Ordnung, Eva?«, fragte Antonia Laurin.
»Hier schon«, erwiderte das Mädchen. »Hier ist alles normal.«
»Und sonst?«, fragte Antonia.
»Wie vorauszusehen«, erwiderte Eva leise. »Aber es ist erst der der Anfang. Wie es weitergeht, weiß ich nicht.«
»Werden Sie es durchhalten? Haben wir Ihnen zu viel zugemutet?«, fragte Antonia Laurin.
»Ich hätte ja nein sagen können«, antwortete Eva.
»Sie können doch aber den Haushalt nicht auch noch machen«, meinte Antonia.
»Es geht ganz gut. Es ist vielleicht sogar besser so. Sandra ist ein liebes Kind, sie schläft viel, also bin ich gar nicht ausgelastet.«
Das Baby hatte das Fläschchen ausgetrunken. Eva nahm Sandra empor. Zärtlich tätschelte sie der Kleinen den Rücken. »Mach schön dein Bäuerchen, dann kannst du schlafen, Püppeli.«
Antonia war gerührt von dem anmutigen Bild, das Eva mit dem Kind im Arm bot. Ganz weich war das sonst so herbe Gesicht des Mädchens, als sie das Baby ins Bettchen legte und über das seidige dunkle Haar strich.
Als sie dann Antonia anblickte, hatten ihre Augen einen nachdenklichen Ausdruck.
»Frau Bernulf sollte nicht so übermäßige Besorgnis zeigen«, stellte sie fest, »dadurch wird Frau Hammilton nur noch nervöser. Man darf ihr nicht alles aus der Hand nehmen. Frau Bernulf ist doch selbst nicht gesund, sie verbreitet nur Unruhe. Aber das kann ich doch nicht sagen.«
Bestürzt sah Antonia die Jüngere an. »Sie meinen, das Frau Bernulf krank ist?«, fragte sie gedehnt.
»Vielleicht auch nur labil. Sie raucht wahnsinnig viel und schluckt dauernd Tabletten, und Frau Hammilton raucht auch von Tag zu Tag mehr, und dann trinkt sie Unmengen Kaffee. Es gibt doch Sanatorien, die ausschließlich für diese Kranken eingerichtet sind, oder?«
»Die Schwierigkeit besteht allerdings darin, dass Frau Hammilton kaum einwilligen wird, in ein Sanatorium zu gehen.«
»Sie würde es vielleicht, wenn ihre Mutter ihr zureden würde, aber die ist ja die Einzige, die den Ernst der Situation noch immer nicht wahrhaben will«, sagte Eva. »Bei meinen Eltern war das anders, und deshalb lernte wohl auch Angela, ihr Leiden zu ertragen. Allerdings hatte sie keinen Mann und kein Kind, und sie hat nicht zu lange leiden müssen«, schloss Eva leise.
Sie wusste genauso gut wie Antonia Laurin, dass sich dieses Leiden über einen unendlich langen Zeitraum ausdehnen konnte und dass es keine Chance für eine Heilung gab nach dem derzeitigen